Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Sebastian MiedeЧитать онлайн книгу.
in leicht unterschiedlichen Stadien auf dem Weg von der Inhalts- zur Kompetenzorientierung befinden. Empirische Unterrichtsforschung kann in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, den Ist-Stand der unterrichtlichen Implementierung des Leitziels der Kompetenzorientierung aufzuzeigen. Bislang gibt es diesbezüglich, gerade mit Blick auf die Oberstufe, einige Desiderate. Darauf wird in den Folgeabschnitten noch genauer eingegangen, da auch die vorliegende Studie sich in diesem Setting verortet.
2.5 Die Komplexität der Sprechkompetenz: kognitive und psycholinguistische Vorgänge
2.5.1 Sprachproduktion aus psycholinguistischer Perspektive
Sprechen gilt als eine Schlüsselfertigkeit im Prozess des Fremdsprachenlernens. Viele Lerner schätzen ihre fremdsprachliche Kompetenz auf Basis ihrer Sprechkompetenz ein – andererseits fällt gerade das flüssige Sprechen vielen Lernern besonders schwer (vgl. Stovall Burkart 1998). Kognitiv betrachtet ist das Sprechen ein hoch komplexer Vorgang, der viele interagierende Komponenten umfasst und viel Training erfordert, möchte man ihn perfektionieren (vgl. Thornbury 2005). Levelt zufolge, produziert ein geübter Sprecher des Englischen etwa 150 Wörter pro Minute in einer gewöhnlichen Kommunikation und wählt aus einem aktiven Wortschatz von 30000 Begriffen1 die der Situation angemessenen aus (Levelt 1989: 199). Rechnerisch bedeutet dies, dass in einer Sekunde zwischen zwei und fünf Entscheidungen alleine auf Wortschatzebene getroffen werden müssen. Es verwundert daher nicht, dass gerade die Sprechkompetenz Lernern Schwierigkeiten bereitet.
Empirische Forschung zur Sprachproduktion existiert vermehrt seit den 1960er Jahren und bezieht sich zunächst hauptsächlich auf Muttersprachler (Field 2011: 71). Für die Fremdsprachenforschung prägend ist die Modellierung der Sprachproduktion, die sich auf diese empirischen Erkenntnisse stützt und sich immer weiter entwickelt hat. Eines der ersten Modelle liefert Garrett (1980, 1988). Es geht davon aus, dass Sprecher einen vorläufigen syntaktischen Rahmen für sprachliche Äußerungen erstellen, in welchen sie parallel die Ergebnisse ihrer Entscheidungen auf lexikalischer Ebene integrieren. Dies impliziert das Vorhandensein einer dem Sprechen vorgeschalteten Planungsphase, in der die Äußerung zunächst abstrakt auf kognitiver Ebene erstellt wird, bevor sie konkret sprachlich realisiert wird (vgl. Garrett 1988). Auch wenn Garrett hervorhebt, dass syntaktische und semantische Entscheidungen derart ineinandergreifen, dass sie unmittelbar verknüpft erscheinen, hat neurolinguistische Forschung mittlerweile belegt, dass semantische und syntaktische Entscheidungen unterschiedliche Areale im Gehirn aktivieren und somit, zumindest kognitiv, nicht vernetzt sind (vgl. Kutas/ Federmeier/Serreno 1999: 367).
Eines der bekanntesten Modelle zur Beschreibung der Vorgänge beim Sprechen ist das von Levelt aus dem Jahr 1989. Es benennt vier Phasen, vier kognitive Hürden, die ein Sprachenlerner überwinden muss, wenn er eine Sprechabsicht in der Zielsprache realisieren möchte: conceptualization, formulation, articulation und self-monitoring (vgl. Levelt 1989, Skehan 2009, Field 2011).
In der Konzeptualisierungsphase entscheidet sich der Sprecher für ein Thema bzw. eine Idee, die er ausdrücken möchte. Die Effizienz wird wesentlich davon determiniert, ob es sich um völlig neue oder bereits bekannte Themen/Ideen handelt, die entsprechend im Langzeitgedächtnis gespeichert sind (vgl. Goh/Burns 2012: 37, Muranoi 2007).
Die Formulierungsphase bezieht sich auf die sprachliche Ebene. Die Ideen, die in der Konzeptualisierungsphase generiert wurden, werden nun bestimmten Wörtern im mentalen Lexikon des Sprechers zugeordnet. Goh und Burns beschreiben diese Phase als die herausforderndste im gesamten Sprechvorgang. Die Sprecher müssen eine Reihe von Entscheidungen treffen, daher ist sie auch überaus fehleranfällig. Es handelt sich um Entscheidungen auf mehreren sprachlichen Ebenen. Sie müssen die grammatikalischen Strukturen festlegen, die ihre Gedanken korrekt ausdrücken, auf lexikalischer Ebene die Bedeutungsnuancen zwischen vermeintlichen Synonymen unterscheiden, um die treffendsten Ausdrücke zu wählen und zudem auch den sozialen Kontext beachten, der wiederum die Angemessenheit gewählter Ausdrücke in der jeweiligen Diskurssituation festlegt (vgl. Goh/Burns 2012: 38).
In der nun folgenden Artikulationsphase setzen die Sprecher die zuvor mental konstruierten Ideen in konkrete Sprache um. Dies erfordert die Aktivierung mehrerer Sprechorgane (Lippen, Zunge, Lunge, Stimmbänder etc.). Auch wenn es sich hierbei um einen physiologischen Vorgang handelt, so ist auch diesem eine kognitive Komponente beizumessen. Schließlich gehört es ebenso zur Sprechkompetenz zu entscheiden, welche Betonungsnuancen schon zu Bedeutungsunterschieden führen (Minimalpaare) und welche Wörter im Kontext der gewählten Äußerung durch Betonung hervorzuheben sind (z.B. Fragen, Hervorhebungen). Zudem gilt eine korrekte Betonung häufig als Qualitätsmerkmal mit Blick auf die Sprechkompetenz und kann im Umkehrschluss dazu führen, dass Sprecher, die in der korrekten Betonung weniger sicher sind, eher zurückhaltend agieren und das Sprechen vermeiden (ibid).
Die letzte in Levelts Modell beschriebene Phase ist die der Selbstüberprüfung bzw. Selbstkorrektur (vgl. Levelt 1989). Sie folgt nicht linear den anderen drei Phasen, sondern ist diesen zwischengeschaltet. Das heißt, dass in jeder der oben genannten Phasen auch eine Selbstüberprüfung und gegebenenfalls Korrektur stattfinden kann. Ob dies der Fall ist und in welchem Umfang bzw. mit welcher Effektivität dies geschehen kann, hängt maßgeblich von dem metalinguistischen Wissen des Sprechers ab. Dieses umfasst sowohl Grammatik und Wortwahl wie auch die Kenntnis des sozialen Kontexts, in dem ein Diskurs stattfindet. Kompetente Sprecher reflektieren ihren eigenen Sprechprozess häufig und wählen ihre Worte auch unter Berücksichtigung der Kommunikationssituation sowie ihres Wissens über den Kommunikationspartner. Insbesondere Fremdsprachenlerner, die noch wenig Sicherheit beim Sprechen haben, können durch zu intensive Reflexionsphasen auch in negativer Weise beeinflusst werden, da sie sich zu sehr auf die Korrektheit ihrer Äußerung fokussieren und immer unsicherer werden (vgl. Goh/Burns 2012: 39).
Levelt selbst hat sein Modell weiter überarbeitet und liefert zehn Jahre später eine veränderte Version, in welcher die Konzeptualisierungsphase ausdifferenziert wird. Er unterschiedet nun in grammatical encoding, welches das mentale Konstruieren eines syntaktischen Rahmens und das Einfügen lexikalischer Bestandteile in die Äußerung umfasst, phonological encoding, in welchem die abstrakte Äußerung in phonologisch realisierbare sprachliche Strukturen umgewandelt wird und das phonetic encoding, in welchem schließlich die Laute in neuronale Informationen umgewandelt und an die Artikulatoren übermittelt werden (vgl. Levelt 1999). In diesen Modifikationen spiegeln sich vor allem die Erkenntnisse aus der Neurolinguistik, die das vorherige Modell, insbesondere die Prozesse während der Formulierungsphase, als zu einfach erscheinen lassen. Neben der Erkenntnis, dass Sprachproduktion ein psycholinguistisch komplexer Vorgang ist, liefert Levelts Modell auch Implikationen für die Fremdsprachenforschung. Es zeigt drei wichtige Informationsquellen auf, die die für die Sprachproduktion relevanten Informationen beinhalten: das mental lexicon zur Speicherung des Wortschatzes, das syllabary zur Speicherung der Informationen über Lautproduktion und der Übertragung von mentalen Konstrukten in konkrete Sprache, sowie den Speicher des world knowledge, welcher Grundlage der Konzeptualisierungsphase ist. Sprechkompetenzförderung muss so geschehen, dass alle Informationsspeicher bedient werden. Fehler in mündlichen Lernertexten lassen sich anhand dieser zuordnen und lernförderlich nutzbar machen, wenn bedacht wird, dass diese nicht nur in der Produktion entstehen, sondern manchmal bereits im Vorhinein, weil beispielsweise eine Aussage des Gesprächspartner inhaltlich oder sprachlich nicht verstanden wurde.
Field (2011) stellt heraus, dass dialogische Sprechaufgaben die Lernenden vor zwei kognitive Hürden stellen, die sie überwinden müssen. Zum einen vollziehe sich dialogisches Sprechen unter Zeitdruck. Im Vergleich zum Schreiben sei insbesondere die Planungs- und die Reflexionszeit verkürzt. Zum andere beschreibt er dialogisches Sprechen als reciprocal und bezieht sich auf das spontane Wechselspiel von Sprecherrolle und Zuhörerrolle innerhalb eines Gesprächs. Genau wie beim Schreiben müsse der Adressat die Intention des Gesagten und die Position des Gegenübers erkennen, anders als bei der Beantwortung von Mails und Briefen allerdings, geschieht dies dynamisch und erfordert eine schnellere und spontanere Reaktion. Zudem sei es möglich, dass sich die Position des Gegenübers im Verlauf des Gesprächs ändert und auch auf diese Entwicklungen spontan zu reagieren ist (Field 2011: 97).
Zusammenfassend