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Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.

Sinclair Lewis: Die großen Romane  - Sinclair Lewis


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sich wichtige Kreditinformationen zu verschaffen, indem er einen Buchhalter betrunken machte) kam er nach Sautersville, Nebraska, einer häßlichen, unternehmenden Industriestadt mit zwanzigtausend Einwohnern. Und in dieser frommen Laune sah er die Plakate einer Evangelistin, einer gewissen Sharon Falconer, einer Prophetin, von der er bereits gehört hatte.

      Vom Hotelsekretär und den Farmern im Gerätemagazin erfuhr er, daß Miss Falconer mit Unterstützung der meisten protestantischen Kirchen in der Stadt in einem Zelt Union-Meetings abhielt; sie versicherten ihm, daß sie schön und beredt sei, daß sie eine stattliche Anzahl von Hilfskräften mit sich führe, daß sie das »Großartigste, was jemals in diesen Flecken gekommen ist«, sei, daß man sie mit Moody, mit Gipsy Smith, mit Sam Jones, J. Wilbur Chapman vergleichen könne, und mit diesem neuen Baseball-Evangelisten, dem Billy Sunday.

      »Das ist Unsinn. Keine Frau kann das Evangelium predigen«, erklärte Elmer als Fachmann.

      Doch er besuchte noch an diesem Abend Miss Falconers Meeting.

      Das Zelt war ungeheuer groß; es mußte dreitausend Leute auf Sitzplätzen fassen, und weitere tausend konnten stehend untergebracht werden. Es war nahezu voll, als Elmer kam und sich majestätisch mit den Ellbogen seinen Weg nach vorn bahnte. An der Frontseite des Zeltes stand ein merkwürdiger Aufbau, ganz anders als die Tribünenkanzel mit der amerikanischen Flagge der Durchschnittsevangelisten. Es war eine pyramidenähnliche Konstruktion aus weißem Holz mit vergoldeten Kanten, die drei Tribünen hatte; eine für den Chor, weiter oben eine mit einer Sitzreihe für die Ortsgeistlichkeit; und an der Spitze eine kleine Tribüne mit einer Kanzel, die Muschelform hatte und in den Regenbogenfarben bemalt war. Rosen und Wein bedeckten sie über und über.

      »Heiliger Strohsack! Richtige Zirkusausstattung! Genau, was von einer verrückten Evangelistin zu erwarten ist!« war Elmers Urteil.

      Die oberste Tribüne war noch leer; wahrscheinlich hatte sie die Bestimmung, die Reize der Miss Sharon Falconer zur Geltung zu bringen.

      Der gemischte Chor, in Talaren und viereckigen Baretten, sang: »Werden wir am Fluß vereint?« Ein junger Mann, schlank, zu hübsch, mit zu geschweiftem Mund, mit Priesterweste und umgekehrtem Kragen, las an einem Pult auf der zweiten Plattform aus der Bibel vor. Er war Oxforder, und Elmer hatte fast noch nie einen Engländer vorlesen hören.

      »Hu! 'N Zierbengel ist er, und weiter nichts! Die Gesellschaft wird nicht weit kommen. Zu viel Röcke. Kein Mumm. Kein gutes altes Evangelium, mit dem man die Kunden anlocken kann«, spottete Elmer.

      Eine Pause. Alles wartete ein wenig unbehaglich. Die Augen wanderten hinauf zur obersten Tribüne. Elmer riß den Mund auf. Aus einem Raum hinter der Tribüne kommend, ganz langsam herauskommend, erschien, die schönen Arme ihnen entgegengestreckt, eine Heilige. Sharon Falconer war jung, bestimmt noch unter dreißig, majestätisch, schlank und hoch; in dem langen schmalen Gesicht, den schwarzen Augen, dem Glanz des schwarzen Haares barg sich Verzückung oder heiße Leidenschaft. Die Ärmel ihres schlichten weißen Gewandes, das ein rubinroter Samtgürtel zusammenfaßte, waren geschlitzt und fielen von ihren Armen zurück, als sie alle an sich zog.

      »Gott!« betete Elmer Gantry, und in diesem Augenblick bekam sein planloses Leben einen Plan und ein festes Ziel. Er mußte Sharon Falconer haben.

      Ihre Stimme war warm, etwas belegt, unglaublich lebendig.

      »Oh meine Lieben, meine Lieben, ich will heute abend nicht predigen – wir alle sind es so müde, unaufhörlich zu predigen, daß wir brav und gut sein sollen! Ich will euch nicht erzählen, daß ihr Sünder seid, denn wer unter uns ist es nicht? Ich will euch nicht die Schrift erklären. Wir alle haben es satt, die Bibel von müden alten Männern in nasalem Ton erklärt zu hören! Nein! Wir wollen die goldenen Schriftzüge suchen, die in unsere Herzen geschrieben sind, wir wollen miteinander singen, miteinander lachen, miteinander fröhlich sein wie muntere Bächlein im April, fröhlich sein und frohlocken, daß in uns der wahrhaftige Geist des ewig währenden, erlösenden Christus Jesus lebt!«

      Elmer hatte keine Ahnung, was das für Worte waren, oder was sie bedeuten sollten – wenn überhaupt jemand eine Ahnung davon hatte. Das alles war kosende Musik für ihn, und am Ende, als sie über die geschweiften, mit Blumengewinden geschmückten Stufen zur untersten Plattform hinunterlief, ihre Arme ausstreckte und alle beschwor, den Frieden des Heils zu suchen, mußte er mit den Bekehrten nach vorn und in der zuckenden Reihe unter dem Segen ihrer ausgestreckten Hände niederknien.

      Aber er war nicht in mystische Ekstase versenkt, er war der Kritiker, der wohl von der Aufführung bewegt war, aber ganz genau wußte, daß er seine Besprechung in die Zeitung bringen müßte.

      »Das ist die Gesellschaft, die ich gesucht habe! Hier könnt' ich's zu was bringen! Was der englische Prediger kann, kann ich schon lange. Und Sharon – ach, ist die süß!«

      Sie ging die Reihe der Bekehrten und fast Bekehrten entlang, legte ihnen ihre leuchtenden Hände auf den Kopf. Seine Schultern bebten im Bewußtsein ihrer Nähe. Als sie zu ihm kam und ihn aufforderte, mit ihrer erregenden Stimme: »Bruder, wollen Sie nicht die Seligkeit in Jesus finden?« beugte er sich nicht tiefer, wie die anderen, schluchzte nicht, sondern sah voll Munterkeit direkt zu ihr auf und suchte ihren Blick zu fangen, während er flötete: »Es ist schon Seligkeit, nur Ihre wunderbare Botschaft empfangen zu haben, Schwester Falconer!«

      Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, sie erblaßte und ging sofort weiter.

      Er kam sich geohrfeigt vor. »Ich werd' ihr noch zeigen!«

      Er trat zur Seite, als die Menschenmenge hinausschwankte. Er fing ein Gespräch mit dem feinen jungen Engländer an, der den Schrifttext verlesen hatte – es war Cecil Aylston, Sharons erster Assistent.

      »Eine kolossale Freude für mich, daß ich heute abend hier bin, Bruder«, plapperte Elmer. »Ich bin zufällig selber Baptistenprediger. Ein herrliches Meeting! Und Sie haben den Text einfach begeisternd gelesen.«

      Cecil Aylston musterte mit einem raschen Blick Elmers gewürfelten Anzug und die Phantasieweste, dann sagte er: »Oh. Wirklich? Ausgezeichnet. Sehr lieb von Ihnen, tatsächlich. Wenn Sie mich freundlichst entschuldigen wollen?« Es vermehrte auch keineswegs Elmers Sympathien, daß Aylston ihn wegen einer der Allermindesten von den Wartenden stehen ließ, wegen eines alten Weibes mit einem zerbrochenen, herunterhängenden Strohhut.

      Elmer tat Cecil Aylston ab: »Zum Teufel mit ihm! Den werden wir bald los sein! Einen Mann wie ich, mich läßt er abfahren, und dann übertreibt er noch so, daß er sich ganz überflüssigerweise mit einer Alten abgibt, die wahrscheinlich schon gerettet ist und, weiß der liebe Himmel, nicht einmal mit einer ganzen Waggonladung Gin abtrünnig gemacht werden könnte! Damit bist du erledigt, mein junger Freund! Und mein gewürfelter Anzug gefällt dir auch nicht. Freilich, ich kauf mir ganz bestimmt meine Kleider nur, um's dir rechtzumachen, selbstverständlich!«

      Er wartete und hoffte noch eine Gelegenheit zu finden, mit Sharon Falconer zu sprechen. Auch andere warteten. Sie winkte ihnen allen mit der Hand, schenkte ihnen ihr großartiges Lächeln, rieb sich die Augen und bat: »Wollt ihr mir verzeihen? Ich seh' schon gar nichts mehr, so müd bin ich. Ich muß mich ausruhen.« Sie verschwand in die Mysterien hinter der prunkvollen goldweißen Pyramide.

      Selbst jetzt, da sie vor Müdigkeit wankte, war ihr Ton nicht nachlässig; er war erfüllt von jener dämmernden Leidenschaft, die Elmer noch mehr gefangen hatte als ihre Schönheit … »Ich hab' noch nie eine Dame wie die gesehen,« überlegte er, als er langsam in sein Hotel zurückging. »Das Gesicht ist bißchen mager. Sonst ist mir's ja rundlich lieber. – Und doch – Herr Gott! ich könnt' mich in sie verlieben, wie ich mich noch nie in meinem Leben in wen verliebt hab' … So dem dreckigen Engländer gefallen meine Kleider nicht! Sind ihm wohl zu auffallend. Na, von mir aus kann er sie sich auf den Hut stecken! Hat sonst noch wer was gegen meine Kleider?«

      Das schlummernde Universum antwortete nicht, er war fast zufrieden. Und am nächsten Morgen um acht Uhr – Sautersville besaß einen ausgezeichneten, von den Messrs. Erbsen und Goldfarb geführten Kleiderladen – um acht Uhr war Elmer dort und erstand einen bescheidenen zweireihigen braunen Anzug und drei prächtige,


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