Sinclair Lewis: Die großen Romane . Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.
die der Thanatopsis macht, zusammenkommen und Kleider nähen und Hüte putzen würden, und sie –«
»Himmel noch einmal, die Weiber haben doch mehr Zeit als wir! Sie sollten gottsfroh und dankbar sein, daß sie überhaupt was kriegen, ganz egal in was für einem Zustand es ist. Ich wenigstens werd' mich nicht hersetzen und für die faule Frau Vopni nähen, wo ich so viel zu tun hab'!«
Sie starrten Carola an. Sie aber mußte daran denken, daß diese Frau Vopni, deren Mann von einem Zug überfahren worden war, zehn Kinder hatte.
Aber Frau Mary Ellen Wilks lächelte. Frau Wilks war die Besitzerin des Kunst- und Buchladens und Lektorin an der kleinen Christian-Science-Kirche. Sie machte alles klar:
»Wenn diese Menschenklasse eine Ahnung von der Science hätte und begriffe, daß wir alle Gottes Kinder sind, und daß uns nichts Schaden tun kann, wären sie nicht in Irrtum und Armut befangen.«
Frau Jackson Elder versicherte: »Außerdem hab' ich den Eindruck, daß der Klub schon ganz genug tut, mit dem Bäumepflanzen und dem Krieg gegen die Fliegen und mit der Verantwortlichkeit für das Wartezimmer – ganz zu schweigen davon, daß wir davon gesprochen haben, den Versuch zu machen, die Eisenbahn dazu zu bringen, daß sie einen Park am Bahnhof anlegt.«
»Das mein' ich auch!« sagte die Frau Vorsitzende. Sie warf einen verlegenen Blick auf Fräulein Sherwin. »Was denken Sie, Vida?«
Vida lächelte allen Ausschußmitgliedern taktvoll zu und verkündete: »Ja, ich glaube nicht, daß wir gerade jetzt mit etwas Neuem anfangen sollten. Aber es ist doch sehr schön gewesen, die lieben, edlen Gedanken Carolas zu hören, nicht wahr! Richtig! Über eine Sache müssen wir sofort zu einem Beschluß kommen. Wir müssen uns zusammentun und gegen jeden Schritt opponieren, den die Minneapolis-Klubs unternehmen, um wieder eine Landesvereinigungs-Präsidentin aus den Zwillingsstädten zu wählen, und diese Frau Edgar Potbury, die sie immer in den Vordergrund schieben, – ich weiß, es gibt Leute, die sie für eine kluge, interessante Sprecherin halten, aber ich halte sie für sehr flach. Was sagen Sie zu meinem Schreiben an den Ojibawashasee-Klub, in dem ich mitgeteilt habe, wenn der Bezirk dort Frau Warrens Kandidatur als Vizepräsidentin unterstützt, setzen wir uns dafür ein, daß ihre Frau Hagelton zur Präsidentin gewählt wird – übrigens wirklich eine liebe, nette und gebildete Frau.«
»Ja! Diese Minneapolis-Leute müssen wirklich mal sehen, wer wir sind!« sagte Ella Stowbody säuerlich. »Und da wir grade schon dabei sind, wir müssen auch dagegen opponieren, daß Frau Potbury die Landesklubs dazu bringen will, offen für die Frauenrechtlerinnen einzutreten. Die Frauen haben in der Politik nichts zu suchen. Sie würden ihre Reize und ihren Zauber ganz verlieren, wenn sie sich in diese schrecklichen Intrigen und diese fürchterlichen politischen Sachen mit allen Skandal- und Klatschgeschichten und so weiter einlassen würden.«
Alle – außer einer – nickten. Man unterbrach die geschäftliche Ausschußsitzung, um Frau Edgar Potburys Gatten, ihr Einkommen, ihr Auto, ihre Wohnung, ihren Redestil, ihren Abendmantel, ihre Frisur und ihren schlechthin verwerflichen Einfluß auf die Landesvereinigung der Frauenklubs zu besprechen.
Bevor der Programmausschuß sich vertagte, verwendete er noch drei Minuten darauf, zu entscheiden, welches der Themen, die von der Zeitschrift »Bildung in tausend Worten« vorgeschlagen wurden – Innendekoration und Porzellan, und Die Bibel als Literatur – für das nächste Jahr geeigneter sei. Es gab einen ärgerlichen Zwischenfall. Frau Kennicott mußte wieder etwas einwenden und sich wichtig machen. Sie fragte: »Glauben Sie nicht, daß wir von der Bibel schon genug in unseren Kirchen und Sonntagsschulen haben?«
Frau Leonard Warren rief, ein wenig unsachlich und sehr unbeherrscht: »Aber da hört sich doch alles auf! Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß unter uns jemand ist, der denkt, wir könnten je genug von der Bibel haben! Ich meine, wenn das Große Alte Buch jetzt schon zweitausend Jahre den Angriffen der Ungläubigen standgehalten hat, ist es wert, daß wir ihm wenigstens etwas Beachtung schenken!«
»Oh, ich wollte nicht sagen –« bat Carola. Darüber, was sie eigentlich wollte, konnte sie kaum besonders klar werden. »Aber ich möchte: statt daß wir uns entweder auf die Bibel oder auf die Anekdoten über die Perücken Bruder Adams beschränken, die der ›Bildung in tausend Worten‹ das Wichtigste an der Innendekoration zu sein scheinen, könnten wir einige von den wirklich interessanten Ideen studieren, die es heute überall gibt – Chemie oder Anthropologie oder Arbeiterfragen – die Sachen, die so viel zu bedeuten haben.«
Alles räusperte sich höflich.
Die Frau Vorsitzende fragte: »Steht noch etwas zur Diskussion? Will jemand etwas zur Annahme des Vorschlags Vida Sherwins sagen – Innendekoration und Porzellan durchzunehmen?«
Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.
»Schachmatt!« murmelte Carola, als sie ihre Hand aufhob.
Hatte sie wirklich geglaubt, sie könnte den Samen des Liberalismus in diese kahle Mauer von Mittelmäßigkeit pflanzen? Wie hatte sie sich zu der Torheit verleiten lassen können, überhaupt etwas in eine Mauer pflanzen zu wollen, die so glatt war, so schön in der Sonne glänzte und die zufriedenen Schläfer hinter ihr so beglückte?
Elftes Kapitel
1
Eine Woche wirklichen Frühlings, eine seltene süße Maiwoche, ein Augenblick der Ruhe zwischen dem Fluch des Winters und der Mühsal des Sommers. Täglich wanderte Carola aus der Stadt in das funkelnde Land, das von Leben strahlte.
Eine verzauberte Stunde, in der sie Jugend und Schönheitsglauben wiedergewann.
Sie war nach Norden gegangen, ans Ufer des Regenpfeifersees. Im dicken Gras zu beiden Seiten des Weges, das hart und stachlich von vielen Bränden war, standen kanariengelbe Butterblumen und Osterblumen mit strahlend roten Blüten und grünen, pelzigen Stengeln. Die Zweige der Purpurweiden waren rot und glatt wie der Lack einer Sakischale.
Sie lief am kiesigen Strand, lächelte Kindern zu, die Blumen in Körbchen sammelten, und steckte sich eine Handvoll der weichen Osterblumen in den Ausschnitt ihrer weißen Bluse. In einer Au am See wuchsen so viel Kreuzkrautblüten und indianische Tabakstauden, daß sie dalag wie ein seltener alter Perserteppich in zartem Gelb, Rosa und köstlichem Grün. Das derbe Gras unter ihren Füßen knirschte angenehm. Sanfte Lüfte wehten vom sonnenbeschienenen See herein, und kleine Wellchen spritzten ans wiesenbekränzte Ufer. Sie sprang über einen kleinen Wasserlauf, der ganz von Weidenknospen bedeckt war, und kam zu einem lieblichen Gehölz aus Birken, Pappeln und wilden Pflaumenbäumen.
Sie ging wieder auf die Prärie hinaus, die sich unter Wolken mit scharfen Rändern weithin dehnte. Über einem Bruch jagten Beutelstare eine Krähe in der Luft. Auf einem Hügel sah sie die Silhouette eines Mannes, der hinter seiner Egge einherging. Sein Pferd bog den Hals und arbeitete friedlich.
Ein kleiner Weg brachte sie auf die Straße, die zur Stadt zurückführte. Büschel von Löwenzahn leuchteten im wilden Gras am Weg. Wasser schoß durch einen Betongraben, der neben der Chaussee einherlief. In gesunder Müdigkeit stapfte sie dahin.
Ein Mann in einem ratternden Ford kam an ihr vorbei, rief: »Soll ich Sie mitnehmen, Frau Kennicott.«
»Danke schön. Es ist sehr lieb von Ihnen, aber mir macht das Gehen Freude.«
»Großartiger Tag, weiß Gott. Ich hab' Weizen gesehen, der muß fünf Zoll hoch sein. Na, auf Wiedersehen.«
Sie hatte keine Ahnung, wer das war, aber sein Gruß tat ihr wohl. Dieser Landmann schenkte ihr eine Kameradschaft, die sie – durch eigene oder anderer Schuld – bei den Ehefrauen und Kaufherren der Stadt nie hatte finden können.
Eine halbe Meile vor der Stadt, in einer Senkung zwischen Haselnußsträuchern und einem Bach, entdeckte sie ein Wanderlager: