Gesammelte Werke. Sinclair LewisЧитать онлайн книгу.
piepend, hinausgegangen war, fragte Elmer erschrocken: »Herr Gott, glaubst du, daß er uns erpressen wird?«
»O nein, Adelbert betet mich an. Wir Mädel müssen zusammenhalten. Aber es beunruhigt mich. Wenn's irgendein anderer Hotelgast gewesen wäre! Die Leute mißverstehen und kritisieren so gern. Ich will dir sagen, was wir tun müssen. Von jetzt an wollen wir in jeder Stadt ein großes möbliertes Haus für die ganze Mannschaft mieten. Da werden wir noch immer unsere Freiheit haben, aber ohne daß jemand in der Nähe ist, der uns bereden könnte. Und wahrscheinlich können wir auch immer ein feines Haus recht billig von irgendeinem Kirchenmitglied kriegen. Das war' nett! Wenn wir's satt haben, die ganze Zeit so schwer zu arbeiten, können wir 'ne kleine Unterhaltung, nur für uns selber, machen, und auch tanzen. Ich tanz' zu gern. Oh, natürlich schimpf ich in meinen Predigten über das Tanzen, aber ich bin der Meinung – wenn's Leute sind wie wir, die Verständnis haben, dann ist's nicht wie bei weltlichen Leuten, wo's zum Bösen führen würde. Eine Unterhaltung! Obwohl, Art Nichols würde sich bestimmt betrinken. Ach, lassen wir ihn! Er arbeitet so angestrengt. Und jetzt gehst du. Wart! Willst du mir keinen Gutenmorgenkuß geben?«
Sie sicherten sich Adelberts Treue, indem sie ihm schmeichelten, und der Pressechef bekam den Auftrag, in der Stadt, die sie als nächste aufsuchen wollten, ein großes möbliertes Haus zu suchen.
4
Das Mieten möblierter Häuser für Falconers Evangelistengesellschaft lieferte Stoff genug für neue Streitigkeiten mit den Lokalausschüssen, insbesondere, nachdem die Gesellschaft die betreffende Stadt verlassen hatte.
Es liefen Beschwerden der erzürnten Hauseigentümer ein, die heiligen Arbeiter müßten, wie ein Diakon es ausdrückte, »ganz einfach den Teufel losgelassen haben.«
Er versicherte, daß die Möbel mit Zigarettenstummeln verbrannt, daß Whisky auf die Teppiche gegossen und daß Stühle zerbrochen worden wären. Er stellte Schadenersatzansprüche an den Ortsausschuß; der Ausschuß leitete die Ansprüche an Sharon weiter; es gab eine Menge erbitterter Korrespondenz; und den Ansprüchen wurde nie Genüge geleistet.
Obgleich sich gewöhnlich alles erst herausstellte, wenn die Meetingsserie vorüber war, so daß die Rettung der Welt keine Störungen erlitt, führten diese Streitigkeiten über die Privatangelegenheiten der Evangelistenmannschaft doch zu höchst bedauerlichen Gerüchten. Die Gottlosen stießen ein lautes Hohngelächter aus. Liebliche gehemmte alte Jungfern zerbrachen sich ohne Ende den Kopf darüber, was denn in Wirklichkeit geschehen sein mochte, und überlegten gemeinschaftlich in köstlichem Entsetzen, ob es denn wirklich – äh – ob es denn wirklich etwas Schlimmeres – äh – als Trinken gegeben haben könnte.
Aber immer argumentierte eine Majorität Getreuer logisch, daß Schwester Falconer und Bruder Gantry Gerechte wären, also nichts Unrechtes tun könnten, daß die Gerüchte daher vom Teufel eingeblasen, von Saloonwirten und Ungläubigen verbreitet seien; und angesichts dieser Verfolgung der Gottesleute standen die Anhänger der Falconer-Gesellschaft nur um so begeisterter bei.
Elmer lernte aus den Diskussionen über die Schadenersatzansprüche eine hübsche Methode, die Ausgaben herabzusetzen. Am Ende ihres Aufenthaltes bezahlten sie ganz einfach die Miete für ihr Haus nicht. Sie informierten den Lokalausschuß – nachdem sie gegangen waren – daß der Ausschuß versprochen hätte, Wohnquartiere zu beschaffen, und daß die Angelegenheit damit erledigt sei … Es gab eine Menge Korrespondenz.
5
Eine von Sharons Hauptsorgen war es, ihre Mannschaft ins Bett zu bringen. Wie die meisten Schauspieler waren sie nach der Vorstellung überdreht. Einige von ihnen waren zu nervös, um zu schlafen, bevor sie die Saturday Evening Post gelesen hatten; andere konnten erst nach dem Meeting essen, machten sich bis nach ein Uhr Spiegeleier und Rühreier, rösteten Toast und zankten wegen des Geschirrwaschens. Obwohl sie sich in der Öffentlichkeit erleuchtet gegen den Dämon Rum stellten, mußten einige der Mitwirkenden ihre Nerven mit einem gelegentlichen Quart Whisky aufputschen; und es gab Tanzereien und allerlei Lustbarkeiten.
Sharon zog es vor, obgleich sie ab und zu eine fürchterliche Strafpredigt hielt, im allgemeinen liebenswürdig blind zu sein; sie hatte auch zu viel Besprechungen mit Elmer, um den Unterhaltungen allzuviel Aufmerksamkeit zu schenken.
Lily Anderson, die blasse Pianistin, protestierte. Sie sollten alle, sagte sie, früh zu Bett gehen, um früh aufstehen zu können. Sie sollten, sagte sie, häufiger zu den häuslichen Gebetsandachten gehen. Die anderen bestanden darauf, daß dies zu viel verlangt sei von Leuten, die von ihren täglichen drei Arbeitsstunden erschöpft seien, doch sie erinnerte sie daran, daß sie das Werk des Herrn täten und bereit sein sollten, sich in diesem Dienst bis zum letzten Atemzug auszupumpen. Das würden sie auch tun, sagten sie; aber nicht heute abend.
Nach Tagen, an denen Art Nichols, der Hornist, und Adolph Klebs, der Geiger, um zehn Uhr morgens solche Köpfe hatten, daß sie etwas einnehmen mußten, pflegten Tage zu kommen, an denen sie alle, auch Art und Adolph, von hysterischer Frömmigkeit besessen waren; an denen sie ganz privatim beteten, bereuten und ihre Stimmen in zeterndem Geheul göttlicher Besessenheit erhoben, bis Sharon voller Wut erklärte, sie wüßte nicht, was ihr lieber sei: durch weltlichen Radau oder durch Hallelujahs aufgeweckt zu werden. Aber einmal kaufte sie ihnen ein Reisegrammophon und viele Platten, zur einen Hälfte rasende Tänze, zur anderen Hymnen.
6
Obgleich Sharons bloße Anwesenheit Elmer das Bedürfnis nach anderen Stimulantien nahm, nach Tabak, nach Alkohol und den meisten seiner Flüche, dauerte es ein Jahr, bis er alle Gedanken daran völlig aufgegeben hatte. Doch allmählich sah er sich seiner künftigen Macht und seines Beifalls als Geistlicher sicher. Sein Ehrgeiz wurde ihm wichtiger als der Kitzel des Alkohols, er fühlte sich sehr tugendhaft und zufrieden.
Das waren große Tage, Freudentage, sonnige Tage. Er hatte alles, sein Mädchen, seine Arbeit, seinen Ruhm, seine Macht über Menschen. Als sie in Topeka Meetings abhielten, kam seine Mutter aus Paris, um sie zu hören, und als sie sah, daß ihr Sohn zu zweitausend Leuten sprach, waren alle schweren grabestraurigen Zweifel verschwunden, die nach seinem Abgang vom Mizpah-Seminar an ihr gezehrt hatten.
Er hatte jetzt ein Zugehörigkeitsgefühl. Die Evangeliumsmannschaft hatte ihn jetzt als ihren Vorgesetzten angenommen, als kühneren, stärkeren und schlaueren Mitarbeiter als alle außer Sharon, und sie folgten ihm wie Haushunde. Er träumte von einem Tag, an dem er Sharon heiraten, sie als Führerin absetzen – sie sollte natürlich ab und zu als etwas ganz Besonderes predigen – und einer der großen Evangelisten des Landes werden würde. Er wußte, wo er hingehörte. Wenn er Evangelistenkollegen kennenlernte, sie mochten noch so berühmt sein, war er erfreut, aber nicht verlegen.
Lernten Sharon und er nicht einen so hervorragenden Evangelisten wie Dr. Howard Bancock Binch kennen, den großen baptistischen Verfechter der wörtlichen Bibelauslegung, den Direktor der Wahren-Bibel-Übungsschule für Religionsarbeiter, der den Hüter des Weinberges herausgab und der Verfasser des Buches »Törichte Irrtümer der sogenannten Wissenschaft« war? Behandelte Dr. Binch Elmer nicht wie einen Sohn?
Dr. Binch hielt sich zufällig in Joliet auf, auf einer Reise zur Erlangung seines sechsten D. D. (vom Abner-College), während Sharon dort ihre Meetings abhielt. Er lunchte mit Sharon und Elmer.
»Welche Hymnen finden Sie am wirksamsten, Dr. Binch, wenn Sie an Ihren Aufruf nach Bekehrten herangehen?« fragte Elmer.
»Nun, ich will Ihnen sagen, Bruder Gantry,« sagte die Autorität, »ich finde, daß ›So wie ich bin‹ und ›Jesus, ich komme heim‹ auf wirklich einfache Herzen wirken wie nichts anderes.«
»Oh, es tut mir leid, daß ich nicht einer Meinung mit Ihnen sein kann«, widersprach Sharon. »Mir scheint – natürlich haben Sie weitaus mehr Erfahrung und Begabung als ich, Dr. Binch –«
»Durchaus nicht, meine liebe Schwester«, sagte Dr. Binch, mit einem Seitenblick, der Elmer vor Eifersucht rasend machte. »Sie sind jung, aber wir alle erkennen Ihr Genie an.«