Stressfrei glücklich sein. Alain SutterЧитать онлайн книгу.
Druck zu zerbrechen.
Bis hierhin habe ich anhand von Beispielen berühmter und erfolgreicher Menschen aufgezeigt, was durch Erfolgsdruck alles entstehen kann. Zum einen habe ich das gemacht, weil ich persönlich das alles so erlebt habe und aus eigener Erfahrung berichten kann. Zum anderen sind solche Beispiele prädestiniert, um die Thematik dieses Buches deutlich zu machen. Doch diese Mechanismen beziehen sich auf menschliche Verhaltensweisen, die völlig unabhängig von Herkunft, Beruf und Status sind. Deshalb gilt der Inhalt dieses Buches selbstverständlich für alle Menschen, egal was und woher sie auch immer sind.
Die oben beschriebenen Probleme gibt es leider in allen Gesellschaftsschichten, denn der Erfolgsdruck und der daraus entstehende Stress fordern ihre Opfer nicht nur unter Filmstars, Musikern, Unterhaltungskünstlern oder Profisportlern.
Wie viele Menschen, die mit ihrer stressigen Lebenssituation überfordert oder am Erfolg gescheitert sind, können ihren Alltag nur noch mit einem Schluck aus der Pulle, einer Pille oder einem Pulver meistern?
Wie viele Schüler, Studenten oder Lehrlinge kiffen, trinken oder greifen zu Ecstasy oder anderen Designerdrogen, um dem inneren Stress für einen Moment zu entfliehen?
Und ist die steigende Gewaltbereitschaft vieler Jugendlichen und Erwachsenen vielleicht auch nur ein Ventil, um den inneren Druck abzulassen?
Die Zahl der an Depressionen erkrankten Menschen zum Beispiel in der Schweiz, in der man von 5–8 % der Bevölkerung spricht, also etwa 350bis 400 000 Menschen, von denen ein Drittel schwerste Depressionen haben, also etwa 130 000, zeigt deutlich, dass (zu) viele mit dem Druck nicht zurechtkommen.
Auch Suizidstatistiken sprechen eine deutliche Sprache. In der Schweiz etwa ereignen sich täglich 40 Suizidversuche, von denen durchschnittlich vier »erfolgreich« sind. Rechnet man dies hoch, wären das 1460 Suizidtote und 14 600 Suizidversuche im Jahr, wobei man davon ausgeht, dass sich etwa zehnmal mehr Menschen ernsthaft Gedanken über Suizid machen als diejenigen, die es tatsächlich versuchen – das wären dann 146 000. Und das in einem Land wie der Schweiz, das als eines mit der höchsten Lebensqualität jährlich ausgezeichnet wird.
Stress, Druck und seine Folgen
Der Druck, erfolgreich sein zu müssen und Aufmerksamkeit zu erhalten, um sich gut und glücklich zu fühlen, kann mit der Zeit die große Freude, die bei allen erfolgreichen Menschen die anfängliche Triebfeder ihres Tuns war, ersticken. Ich habe das persönlich so erlebt. Als Kind spielte ich Fußball aus reiner Freude am Spielen. Als ich im Alter von fünf Jahren einem Fußballverein beitrat, war ich den meisten anderen Kindern bereits einen Schritt voraus, weil ich etwas talentierter war als sie. Schnell bekundeten Trainer, Eltern und Zuschauer ihre Freude an mir. Ich erhielt Aufmerksamkeit, Lob und Anerkennung für die guten fußballerischen Leistungen, was mich natürlich freute und sich gut anfühlte.
Wegen meines Talents aber stiegen bald schon die Ansprüche und Erwartungen an mich. War ich dann bei Spielen nicht besser als meine Kameraden, folgten schnell auch Kritik und Häme. Das verletzte mich und fühlte sich entsprechend schlecht an. So war mein Befinden plötzlich direkt an meine Erfolge gekoppelt. Spielte ich gut und erfolgreich, fühlte ich mich gut und glücklich. Spielte ich durchschnittlich oder schlecht, fühlte ich mich schlecht und unglücklich. Mehr und mehr wurde ich emotional abhängig von meinen fußballerischen Erfolgen und Misserfolgen. Ich wurde quasi zum Sklaven meines so sehr geliebten Hobbys.
Die Zusammenhänge waren mir damals natürlich nicht bewusst; ich wollte einfach jedes Spiel unbedingt und um jeden Preis gewinnen. Weshalb das so war, sollte mir erst später klar werden. Aber der Druck, gewinnen und erfolgreich sein zu müssen, lastete schon bald auf mir, obwohl ich mich in einem Umfeld bewegte, das keineswegs erfolgsbesessen war. Meine Eltern und Trainer setzten mich nicht speziell unter Druck, ich bewegte mich in einem ganz normalen Dorfverein-Umfeld. Das reichte für einen sensiblen Jungen, wie ich es war, jedoch vollkommen aus, um in Zeiten des Misserfolgs Verletzungen davonzutragen. Eine Tatsache, die einmal mehr zeigt, dass das, was der Norm entspricht, nicht immer für jeden gesund sein muss.
Als wir bei einem E-Junioren-Turnier »nur« den zweiten Platz herausspielten, überfiel mich eine solch unsägliche Traurigkeit, dass ich kaum zu weinen aufhören konnte. Niederlagen wurden für mich zu persönlichen Katastrophen.
Der Mechanismus »Aufmerksamkeit und Anerkennung durch Erfolg« begann bei mir im Alter von etwa 14 Jahren zu greifen, dem Alter, in dem Auswahlen zusammengestellt werden. Die Aussichten, was der Erfolg alles Gutes bringen kann, helfen natürlich, den Konkurrenzkampf anzuheizen; der Druck, der dabei als Nebenwirkung bei den Kindern zum Tragen kommt, ist aber leider nicht wegzudiskutieren. Damals war mir natürlich noch nicht bewusst, dass der Druck, den ich verspürte, nicht von außen kam und nichts mit den Umständen zu tun hatte. Er entstand allein durch meine Ängste, kritisiert und verletzt zu werden, und genau das machte mich selbst zu meinem größten Gegner.
Da ich schon als Kind sehr sensibel war und auch noch keine ausreichende innere Stabilität und Stärke entwickelt hatte, konnte ich mit Konkurrenzkämpfen und Selektionen, in denen einem gesagt wird, ob man gut genug ist oder nicht, schlecht umgehen. Ich fühlte mich einfach nie wohl in diesem Umfeld, in dem mit Disziplin, Gehorsam, Schreien und Drohen versucht werden sollte, das Beste aus den Kindern herauszuholen beziehungsweise um zu sehen, wer zu den Stärksten gehört, in die es sich lohnt zu investieren. Dieses Umfeld war schlicht und einfach nicht gesund für mich, deshalb habe ich auch etliche Spiele oder Trainings abgesagt, weil es mir bereits beim Gedanken, dorthin zu fahren, den Magen umgedreht hat.
So hörte ich damals auf meine Impulse und war bereit, die Verwirklichung meines Traums als Profifußballer zu riskieren, sollte es dabei zwingend notwendig sein, mich in diesem für mich ungesunden Umfeld zu bewegen.
Auch später, während meiner Karriere, zog mein Körper immer dann, wenn ich nicht mehr fähig war, diesen inneren Stress und Druck auszuhalten und zu verarbeiten, die Notbremse, um mich vor größerem Schaden zu bewahren: Ich wurde krank.
Als Schutzmauer vor weiteren Wunden entwickelte ich Verhaltensmuster, die mir dabei halfen, meine kindliche Verletzlichkeit zu schützen. Zum einen legte ich mir als Kind, vor allem auf dem Spielfeld, eine unglaubliche Arroganz zu. Spielte mir ein Mitspieler einen Pass zu, der einen halben Meter neben meinen Füßen ankam, machte ich keinen Schritt, um diesen zu erreichen. Dafür pflaumte ich ihn an, ob er denn keinen vernünftigen Pass spielen könne. Ich lamentierte mit den Schiedsrichtern oder legte mich mit meinen Gegenspielern an. Auch demonstrativ zur Schau gestelltes Desinteresse dem Fußball gegenüber gehörte zu meinen Allüren. Provokant stand ich gelangweilt auf dem Platz herum und brachte damit Trainer und Mitspieler zur Verzweiflung. Dieses Verhalten zeigte sich allerdings nur sporadisch, nämlich immer in Zeiten, in denen ich nicht gut spielte oder wir Spiele verloren hatten und ich irgendetwas brauchte, um mir vorzugaukeln, dass ich schon hätte besser spielen können, wenn ich nur gewollt hätte.
Dies alles waren in schwierigen Zeiten Hilfeschreie eines Kindes, das einen Weg suchte aus diesem inneren Gefängnis der Angst, verletzt und abgelehnt zu werden, und diesen nicht fand.
Die meiste Zeit aber genoss ich es, mit meinem Bruder und unseren Freunden Fußball zu spielen. Ich bin unendlich froh, dass ich in solch einem Umfeld aufwachsen durfte und nicht in einer Förderungsmaschinerie, denn damit wäre wohl meine Freude am Fußballspielen schnell erloschen.
Dass bei all dem Stress die Freude am einst geliebten Sport irgendwann verloren gehen kann, ist für mich aus heutiger Sicht nur logisch. Ich habe mich lange Zeit dagegen gewehrt und bin froh, dass ich mir meine Begeisterung daran wenigsten während meiner Kindheit und die meiste Zeit als Profi erhalten konnte. Aber irgendwann war mir alles zu viel und ich versuchte zwar noch, in Amerika diese Freude wiederzufinden, doch die Spuren der Kritik und des daraus entstandenen Stresses waren zu tief.
Ich habe mich oft gefragt, was mit mir nicht stimmt, weil ich mein Leben teilweise nicht genießen konnte, obwohl ich doch alles hatte, was man sich nur erträumen kann. Dieser Umstand animierte mich zusätzlich, die Gründe zu finden, warum Erfolg allein nicht glücklich macht.