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Systemische Beratung der Gesellschaft. Ruth SeligerЧитать онлайн книгу.

Systemische Beratung der Gesellschaft - Ruth Seliger


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9: Kondratieff-Zyklen35

      Kondratieffs Wellenmodell beginnt bei der Dampfmaschine und endet vorläufig mit der vierten ökonomischen Welle der Nutzung fossiler Energiequellen. Jede Welle weist einen Prozess der Veränderung auf: vom beginnenden Wohlstand (»prosperity«) über einen Rückgang des Wohlstands (»recession«) zur ökonomischen Krise und Depression (»depression«) bis hin zu einem erneuten Aufschwung, einer Verbesserung (»improvement«) der Wirtschaft.

      Der deutsche Zukunftsforscher und Mitglied des Club of Rome Leo A. Nefiodow setzt auf diesem Modell auf und prognostiziert eine sechste Welle, ausgelöst durch die neuen Informationstechnologien. Seine Prognose für die Zukunft lautet: Das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Kooperation sein, nachdem die Phasen davor eine so hohe Komplexität von Ökonomie und Gesellschaft geschaffen haben, dass die daraus entstehenden Probleme nur durch Kooperationen gelöst werden können. Diese Theorie wurde von vielen Ökonomen aufgegriffen.36

      Auch der Ökonom Jeremy Rifkin sieht die Ökonomie als Treiber von gesellschaftlichen Veränderungen, allerdings nur dann, wenn noch weitere Faktoren dazukommen:

      »Die wesentlichen ökonomischen Umwälzungen der Geschichte haben einen gemeinsamen Nenner: Alle erfordern sie drei Elemente, die im wechselseitigen Miteinander das Funktionieren des Systems als Ganzes ermöglichen: ein Kommunikationsmedium, eine Energiequelle und einen Transportmechanismus.«37

      Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister sieht die Impulse, die die Geschichte vorantreiben, ebenfalls in der Ökonomie und in den Unterschieden bzw. Gegensätzen von Klasseninteressen. Drei Faktoren wirken auf die Geschichte ein:

      »Erstens, eine schwere Krise und damit eine wachsende Zahl von Erniedrigten, zweitens, eine Organisation ihrer Interessen, und drittens, eine ›Navigationskarte‹, welche der Bewegung Orientierung und Ausdauer verleiht.«38

       Veränderung durch Technologie und Innovation

       »Für welches Problem ist die Digitalisierung eine Lösung?« 39

      Armin Nassehi

      Ganz im Sinne der genannten Autoren und Autorinnen wird der technologischen Revolution durch die Digitalisierung der Kommunikation eine besondere Bedeutung und Wirkung auf die aktuelle Veränderung nicht nur der Ökonomie, sondern vor allem unserer Gesellschaft zugeschrieben.

      Die Erfindung von einfachen Maschinen, des Mikroskops, der Dampfmaschine oder des mit fossiler Energie betriebenen Verbrennungsmotors, der Telegrafie oder von elektrisch betriebenen Geräten: Jede dieser Innovationen hat die Welt massiv verändert. Wir sprechen von industriellen Revolutionen. Das 19. und 20. Jahrhundert stehen im Zeichen der Automobilindustrie: Die durch das Auto bestimmte Welt wurde mit neuen Straßen durchpflügt, riesige Städte entstanden rund um die Automobilfabriken, die gesellschaftliche Mobilität erhöhte sich dramatisch.

      Heute stehen wir am Übergang der Industriegesellschaft in eine digitale Gesellschaft.

      »Wir haben es mit nichts Geringerem zu tun als mit der Vermutung, dass die Einführung des Computers für die Gesellschaft ebenso dramatische Folgen hat wie zuvor die Einführung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks.«40

      Digitalisierung und die damit verbundene Globalisierung haben nicht nur die Welt dramatisch und fundamental verändert, sondern auch die Formen bisheriger Veränderungen verändert, darüber besteht kein Zweifel: Wir leben, arbeiten und fühlen anders, sind anders in der Welt, sehen unsere bisherigen Orientierungskoordinaten – Raum und Zeit – verschwinden. Wir kommunizieren und kooperieren über Raum und Zeit hinweg. Die Resonanzen unseres In-der-Welt-Seins verändern sich. Wir können unsere Welt und uns selbst zunehmend in immer kleinere Elemente zerlegen, immer mehr messen, immer genauere Aussagen über uns selbst und über die Welt machen. Wir schaffen uns – wie Kucklick es ausdrückt – eine »granulare Welt«.41 Indem wir die Welt, uns selbst und alle unsere Tätigkeiten immer feiner und differenzierter zerteilen und messen können, entsteht für uns eine neue Realität, die wir wieder neu – zerlegt in Daten – kommunizieren. »Bits and bytes« werden zum Maß der Kommunikation.

      »Die bisherige Gesellschaft war wie aus Billardkugeln zusammengesetzt, die wir im Laufe der Zeit gelernt haben, zu einem belastbaren Gebilde zu arrangieren. Nun werden diese Kugeln nach und nach durch winzige Schrotkugeln ersetzt. Das verändert radikal den sozialen Aggregatzustand und die gesellschaftliche Statik – und zwingt uns dazu, neue Weg zu finden, aus den feineren Praktiken eine stabile Ordnung zu bauen.«42

      Die Technologie der Digitalisierung bildet

      »die Grundlage für die völlige Reorganisation ganzer Branchen, aber auch für neue Formen öffentlicher Kommunikation und politischer Organisation. Vor dem Hintergrund ist es wichtig, der möglichen Reform unserer Wirtschaftsordnung mit hoher Technologieoffenheit zu begegnen«43.

      Technische Innovationen haben immer schon die Welt verändert. In der Digitalisierung vor allem der Kommunikationstechnologie liegen Chancen, Gefahren und Potenziale. Die Geschichte wird gerade neu geschrieben. Wir sind mittendrin und wissen noch nicht, wohin diese Reise uns führt.

      »Die Geschichte hat sich noch nicht für ein Ziel entschieden – welchen Weg sie einschlagen wird, könnte noch immer von einer Vielzahl von Zufällen abhängen.«44

       Veränderungen durch soziale Konflikte

      Soziale Konflikte, gemäß Karl Marx »Klassenkämpfe«, werden im Allgemeinen von »unten nach oben« geführt. Akteurin dieser Kämpfe ist in der heutigen Sprache die »Zivilgesellschaft«. Ihr kommt eine tragende und zentrale Rolle bei gesellschaftlichen Veränderungen zu. Bewegungen der Zivilgesellschaft leisten einen unersetzlichen und wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen, indem sie blinde Flecken und Defizite in der Gesellschaft sichtbar machen. Sie legen den Finger in offene Wunden, sie weisen auf ungelöste Widersprüche hin, sie liefern neue, kreative Experimente und zeigen Alternativen zu den Normen des gesellschaftlichen und auch des organisationalen Lebens auf. Uwe Schneidewind bezeichnet sie als »Taktgeber der Großen Transformation«45.

      Solche Bewegungen hat es immer schon gegeben: Sklaven- und Bauernaufstände, Hungerrevolten, Bürgerrechtsbewegungen, Frauenbewegungen, Arbeiterbewegungen, heute Klimaschutzbewegungen. Sie alle haben die Gesellschaft verändert.

      Soziale Bewegungen sind eine autonome, selbstorganisierte Menge von Menschen, die durch ein gemeinsames Anliegen verbunden sind. Luhmann beschreibt soziale Bewegungen als eine Form »kollektiven Verhaltens«:

      »Als kollektives Verhalten bezeichnet man Massenaktionen, politische Demonstrationen, öffentliche Versammlungen, Umzüge mit einem faktisch nicht limitierten Zugang für Interessenten und Entwicklungstendenzen, die sich aus der Logik der Interaktion ergeben und den Beobachtern oft als ›spontan‹ oder als ›irrational‹ erscheinen.«46

      Zivilgesellschaftliche Bewegungen unterscheiden sich von »der Gesellschaft« durch ihre gemeinsame Ausrichtung auf ihre Anliegen. Sie adressieren diesbezüglich Ziele und Wünsche an einen anderen Teil der Gesellschaft und haben damit auch eine »Gegnerschaft«, die sie als Hindernis bei der Umsetzung dieser Ziele sehen. Erfolgreich sind zivilgesellschaftliche Bewegungen, wenn ihre Ziele und Anliegen in politische Entscheidungsprozesse aufgenommen und im gesellschaftlichen Leben umgesetzt werden.

      »In einem normativen Verständnis steht die Zivilgesellschaft für das ›zivile‹, d. h. demokratische humanistische Zusammenleben von Menschen in Gesellschaften und für den kritischen Umgang mit bestehenden Entscheidungsinstanzen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung.«47

      In der aktuellen Entwicklung schließen sich immer mehr Menschen zu Bewegungen zusammen, die Formen und Methoden des emanzipatorischen Kampfes für nachhaltige und humanistische Interessen und Ziele übernehmen. Um es noch deutlicher abzugrenzen, betont Uwe Schneidewind:

      »In diesem normativen Sinn


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