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Anton Reiser. Ein psychologischer Roman. Karl Philipp MoritzЧитать онлайн книгу.

Anton Reiser. Ein psychologischer Roman - Karl Philipp Moritz


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fällt daher auch würklich in der Kindheit oft schwer, das Wachen vom Traume zu unterscheiden; und ich erinnere mich, dass einer unserer größten jetzt lebenden Philosophen, mir in dieser Rücksicht eine sehr merkwürdige Beobachtung aus den Jahren seiner Kindheit erzählet hat.

      Er war wegen einer gewissen bösen Angewohnheit, die bei Kindern sehr gewöhnlich ist, oft mit der Rute gezüchtigt worden. Es hatte ihm aber, wie es auch gewöhnlich ist, immer sehr lebhaft geträumet, er habe sich an die Wand gestellt, und … Wenn er sich nun manchmal bei Tage zu dem Ende wirklich an die Wand gestellt hatte; so fiel ihm die harte Züchtigung ein, die er so oft erlitten hatte, – und er stand oft lange an, ehe er es wagte, einem dringenden Bedürfnis der Natur ein Gnüge zu tun, weil er befürchtete, es möchte wieder ein Traum sein, für den er wieder eine scharfe Züchtigung erwarten müsste – bis er sich erst allenthalben umgesehen, und dann auch in Ansehung der Zeit zurückgerechnet hatte, ehe er sich völlig überzeugen konnte, dass er nicht träume.

      Auch pflegt man des Morgens beim Erwachen, oft noch halb zu träumen, und der Übergang zum Wachen wird [100]allmählich dadurch gemacht, dass man erst anfängt, sich zu orientieren, und wenn man denn nur erst einmal den hellen Schein des Fensters gefasst hat, so ordnet sich nach und nach alles Übrige von selber.

      Daher war es sehr natürlich, dass Anton, nachdem er schon einige Wochen in B[raunschweig] im L[obenstein]schen Hause war, des Morgens noch immer glaubte, er träume, wenn er schon wirklich wachte, weil der Stift, woran er sonst, immer des Morgens beim Erwachen, die Ideen vom vorigen Tage sowohl als von seinem vorigen Leben anknüpfte, und wodurch sie erst Zusammenhang und Wahrheit erhielten, nun gleichsam verrückt war; weil die Idee des Orts nicht mehr dieselbe war.

      Ist es also wohl zu verwundern, wenn die Veränderung des Orts oft so vieles beiträgt, uns dasjenige, was wir uns nicht gern als wirklich denken, wie einen Traum vergessen zu machen?

      In spätern Jahren, und insbesondre, wenn man viel gereist ist, verliert sich dies Anschließen der Ideen an den Ort in etwas. Wo man hinkömmt, sieht man entweder Dächer, Fenster, Türen, Steinpflaster, Kirchen und Türme, oder man sieht Wiese, Wald, Acker, oder Heide. – Die auffallenden Unterschiede verschwinden; die Erde wird sich überall gleich. –

      Wenn Anton in B[raunschweig] auf der Straße ging, so war es ihm besonders des Abends im Anfange der Dämmerung, manchmal plötzlich wie im Traume. – Auch pflegte sich dies bei ihm zu ereignen, wenn er in irgendeine Straße ging, die ihm eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Straße in H[annover] zu haben schien. – Dann deuchte ihm einige Augenblicke sein Zustand in H[annover] wieder [101]gegenwärtig; die Szenen seines Lebens verwirreten sich untereinander.

      Bei seinen Spaziergängen fand er nun immer einen besondern Reiz darin, Gegenden in der Stadt aufzusuchen, wo er noch gar nicht gewesen war. Seine Seele erweiterte sich dann immer, es war ihm, als ob er aus dem engen Kreise seines Daseins einen Sprung gewagt hätte; die alltäglichen Ideen verloren sich, und große angenehme Aussichten, Labyrinthe der Zukunft eröffneten sich vor ihm.

      Allein es war ihm noch nie gelungen, sein ganzes Leben in B[raunschweig] mit allen seinen mannigfaltigen Veränderungen in einen einzigen vollen Blick zusammenzufassen. Der Ort, wo er sich jedes Mal befand, erinnerte ihn immer zu stark an irgendeinen einzelnen Teil desselben, als dass noch für das Ganze in seiner Denkkraft Platz gewesen wäre; er drehete sich mit seinen Vorstellungen immer in einem engen Zirkel seines Daseins herum.

      Um von dem Ganzen seines hiesigen Lebens ein anschauliches Bild zu haben, war es nötig, dass gleichsam alle die Fäden abgeschnitten wurden, die seine Aufmerksamkeit immer an das Momentane, Alltägliche und Zerstückte desselben hefteten; und dass er zugleich in den Standpunkt wieder versetzt wurde, aus welchem er sein Leben in B[raunschweig] betrachtete, ehe er es anfing, da es noch wie eine dämmernde Zukunft vor ihm lag.

      In diesen Standpunkt wurde er nun gerade versetzt, da er zufälligerweise aus dem Tore ging, durch welches er vor ohngefähr anderthalb Jahren, auf der breiten mit Weiden bepflanzten Heerstraße hereingekommen war, und die Schildwache auf dem hohen Walle hatte hin- und hergehen sehen.

      [102]Dieser Ort musste es gerade sein, der ihn durch die plötzliche Erinnerung an tausend Kleinigkeiten gerade in den Zustand wieder zu versetzen schien, worin er sich unmittelbar vor dem Anfange seines hiesigen Lebens befand. – Alles, was dazwischenlag, musste sich nun in seiner Einbildungskraft zusammendrängen, wie Schatten ineinandergehen, einem Traum ähnlich werden. Denn sein jetziges Dastehen auf der Brücke, und Den-hohen-Wall-Hinaufsehen, wo die Schildwache stand, schloss sich dicht an sein Dastehen und Den-hohen-Wall-Hinaufsehen vor anderthalb Jahren an. Die Vergangenheit, alle die Szenen des Lebens, das Anton in B[raunschweig] geführet hatte, stellte er sich jetzt wieder vor, wie er sie sich damals vor anderthalb Jahren noch als zukünftig gedacht hatte, und die zu lebhafte Vorstellung und Wiedererinnerung des Orts, machte, dass die Erinnerung an den Zwischenraum der Zeit, welche unterdes verflossen war, verlosch, oder schwächer wurde – – anders wenigstens lässt sich wohl schwerlich das Phänomen jener sonderbaren Empfindung erklären, die Anton damals hatte, und die ein jeder wenigstens einige Male in seinem Leben gehabt zu haben sich erinnern wird.

      Mehr als zehnmal stand Anton auf dem Punkte, nicht wieder in die Stadt zurückzukehren, sondern gerade den Weg vor sich hin, wieder nach H[annover] zu gehen, wenn ihn nicht der Gedanke an Hunger und Kälte wieder zurückgeschreckt hätte.

      Aber von dem Tage an, blieb der Vorsatz fest bei ihm, im L[obenstein]schen Hause nicht länger mehr zu bleiben, es koste auch, was es wolle. Er wurde daher auch gegen alles gleichgültiger, weil er sich vorstellte, dass es nun nicht [103]lange mehr so dauren würde. L[obenstein] selbst fing nun an, seiner so überdrüssig zu werden, dass er endlich nach H[annover] an Antons Vater schrieb, dieser möchte seinen Sohn, mit dem nichts anzufangen wäre, nur immer wieder abholen.

      Nichts hätte für Anton erwünschter sein können, als die Nachricht, dass sein Vater ihn nun mit nächstem wieder zu Hause holen würde. – In eine Schule, schloss er, müsse er doch in H[annover] auf alle Fälle geschickt werden, ehe er zum Abendmahl zugelassen würde, und dann wollte er sich schon so auszeichnen, dass man aufmerksam auf ihn werden solle. – Sosehr er vorher nach B[raunschweig] zu kommen gestrebt hatte, so sehr verlangte ihn jetzt nach H[annover] wieder zurück, und er wiegte sich nun aufs Neue in angenehmen Träumen von der Zukunft ein.

      Ohngeachtet seiner harten Lage aber waren ihm dennoch viele Dinge in B[raunschweig] sehr lieb geworden, so dass sich in seine angenehmen Hoffnungen oft eine Wehmut mischte, die ihn in eine sanfte Melancholie versetzte. – Oft stand er einsam an der Oker, und sahe irgendeinem vorbeifahrenden kleinen Kahne nach, so weit er ihn mit den Augen verfolgen konnte – dann war es ihm oft plötzlich, als habe er einen Blick in die dunkle Zukunft getan, aber wenn er eben das angenehme Blendwerk festzuhalten glaubte, so war es auf einmal verschwunden.

      Er suchte sich nun an allen Gegenden der Stadt, die er bisher auf seinen Spaziergängen des Sonntags besucht hatte, gleichsam noch einmal zu letzen, und nahm von einer nach der andern wehmütig Abschied, so wie er sie nie wiederzusehen hoffte.

      Er hörte von dem Pastor P[aulmann] noch verschiedne [104]Predigten, worin manche einzelne Stellen nie aus seinem Gedächtnis gekommen sind. –

      Ganz außerordentlich rührte ihn in einer Predigt vom Leiden Jesu, der immersteigende Affekt, womit der Pastor P[aulmann] die Worte sagte: »Mitleidsvoll sieht er auf seine Mörder herab, und betet, und betet, und betet – Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!«

      Und in einer Predigt über die Beichte, welche über das Evangelium vom Aussätzigen gehalten wurde, der sich dem Priester zeigen sollte, die Anrede an die Heuchler, die alle äußere Gebräuche der Religion gewissenhaft beobachten, und doch ein feindseliges Herz im Busen tragen, und wo sich jeder Periode anfing, mit: »Ihr kommt in den Beichtstuhl, ihr zeiget euch dem Priester, aber er kann in euer Herz nicht schauen, usw.« – Dann wurde in dieser Predigt auch oft ein Ausdruck wiederholt, der für Anton außerordentlich rührend war, dieser klang ihm, als: »Ihr kommt in den Heben.« – Das letzte Wort nämlich, was immer verschlungen wurde, so dass er es nicht recht verstehen konnte, klang ihm wie Heben, und dies Wort oder


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