Heilung – Initiation ins Göttliche. Peter MaierЧитать онлайн книгу.
und Mediengesellschaft ist das so bedeutende alte Wissen um Initiation, um Lebensphasen und um die notwendigen Übergänge dazwischen, das im Medizinrad überzeugend abgebildet ist, weitgehend in Vergessenheit geraten. In meinem ersten Band „Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft“ habe ich ausführlich dargelegt, welch fatale Folgen eintreten können, wenn keine Initiation unserer Jugendlichen stattfindet.14
Wegen fehlender Initiatonsrituale versuchen gerade Jungen bisweilen mit sehr gefährlichen Mutproben wie verrückten Autofahrten, mit S-Bahn-Surfen, mit dem berüchtigten Komasaufen oder mit Schlägereien, die in der Pubertät neu entdeckte Kraft auszudrücken und zu beweisen. Andere verharren jahrelang in einem Zwischenzustand zwischen Jugend und Erwachsensein, selbst wenn sie schon über dreißig Jahre alt sind, hängen in Depressionen und Orientierungslosigkeit und finden einfach nicht den Dreh zu einem eigenständigen und kraftvollen Leben. Hier kann das Medizinrad sehr zur Lebensdeutung beitragen und die Notwendigkeit rechtzeitig durchgeführter und für unsere heutige Gesellschaft passender Übergangsrituale aufzeigen.
Richtig interessant und aktuell aber ist das Medizinrad aus psychologischer Sicht.15 Denn es kann vier elementare Ebenen im Menschen aufzeigen und jeder der vier Richtungen bestimmte menschliche (Wesens)Eigenschaften und einen Archetyp zuordnen, wie in den folgenden beiden Skizzen zu sehen ist. Dabei sind unter Archetypen grundsätzliche und typische Seelenprägungen oder Seelenfiguren im Menschen zu verstehen:
Im Süden ist der Körper und die körperlich-emotionale Ebene im Menschen anzusetzen. Dazu gehören unsere Triebe und spontanen Gefühle, unsere Sexualität, die kindliche Freude und Unbekümmertheit, die vitale Lebenskraft und die emotionale Fülle. Es geht um Selbstliebe, um Unschuld und Vertrauen. Als archetypische Figur gehören das „innere Kind“ und der „Liebhaber“ mit seiner ungestümen Liebeskraft in uns in den Süden.
Der Westen steht für die oft sehr widersprüchlichen, meist unbewussten Seelenkräfte und damit für die psychische Ebene im Menschen. Gerade Jugendliche erleben ihre Pubertät häufig als Achterbahnfahrt zwischen gefühlsmäßigen Extremen. Sie müssen nicht selten heftige innere Kämpfe zwischen ihren Licht- und vor allem Schattenseiten ausstehen, die sie erst in den Auseinandersetzungen mit sich selbst besser kennenlernen können. Im Westen geht es um Innenschau und Reflexion, um tieferes Bewusstsein, um Träume und Symbole, um Liebe zum Du. Als Archetyp taucht im Westen der „Krieger“ auf, der für uns die inneren und manchmal auch äußeren Kämpfe ausficht, mit Dämonen, Zauberern und bösen Drachen kämpft und schließlich den Schatz oder den Gral findet oder eine Prinzessin befreit. Viele Märchen und Mythen handeln genau davon. Der Krieger ist die psychische Kraft, die unsere innere Heldenreise durchsteht und uns schließlich ins Erwachsensein führen kann.
Der Norden enthält Klarheit, Struktur und Übersicht in unserem Denken und Bewusstsein. Hier geht es um unseren Geist (englisch „mind“), um den Verstand, um die Ratio, um Intention und um das Planen. Dazu gehören die Fähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen, sowie um das Eingebundensein in Familie, Sippe und Volk. Der Norden steht für die lange Phase des Erwachsenseins im Menschen, für seine Schaffenskraft, für seinen Beruf. Es geht um Ausdauer und Nachhaltigkeit, um ein Wir-Gefühl, um Liebe zur Gemeinschaft, um Kommunikation. Der Archetyp des „Königs“ in uns, der zu dieser Phase gehört, handelt mit Umsicht und Würde. Es geht also um die mentale und systemische Ebene.
Der Osten schließlich steht für die Weisheit und Gelassenheit des Alters. Hier ist die Spiritualität, die Offenheit für das Göttliche, die Verbindung zum „All-Eins“ und zum Welt-Geist (englisch „spirit“) anzusetzen. Es geht um Begeisterung, Intuition und Kreativität und um die Begegnung mit dem Göttlichen, um die Bereitschaft für das Unerwartete, um Liebe zum Größeren, um Gipfelerfahrungen. Für den Menschen offenbart sich jetzt, welchen Sinn sein bisheriges Leben hatte. Im Osten ist die Essenz des Lebens, die reife (Herzens-)Liebe zu allem und zu allen zu finden. Als Archetyp steht der „Magier“ für diese Lebensphase des „hohen“ Alters. Darum kann man dem Osten die spirituelle Ebene zuordnen.
Diese vier Ebenen, sowie die vier Archetypen stecken in jedem Menschen. Sie wollen vier elementare Seiten des menschlichen Wesens bewusst machen und zum Ausdruck bringen. Wir alle tragen von Geburt an diese Ebenen als seelisches Potential in uns. Es handelt sich um vier wesentliche Aspekte des menschlichen Seins. In jeder der vier Grund-Lebensphasen soll eine Seelenfigur ans Licht gebracht und mit all ihren Qualitäten entfaltet werden. Menschliche Entwicklung bedeutet demnach, die vier Seelenseiten zu (er)leben und nacheinander Liebhaber, Krieger, König und Magier zu sein. Andererseits sind alle vier Seelenaspekte natürlich auch immer gleichzeitig und nebeneinander in jeder Lebensphase vorhanden.
Bei diesen eher knappen Bemerkungen zum Medizinrad möchte ich es belassen. Lieber Leser, wenn Sie aber mehr dazu erfahren wollen, lesen Sie bitte Band II von „Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft“.16 Darin ist dem Medizinrad ein ausführliches Kapitel gewidmet. In dem vorliegenden Buch jedoch soll nun der Fokus auf Heilung und auf das Heilwerden gerichtet werden. Diese Bedeutung klingt ja auch schon in dem Begriff „Medizin“-Rad an.
(2) Vier Heilungsebenen im Menschen
Aus der Betrachtung des Medizinrads bezüglich der wichtigsten Lebensphasen wird bereits deutlich, warum so viele Menschen krank werden oder Probleme haben können. Oft sind es nicht abgeschlossene Initiationen in einem Lebensabschnitt oder nicht erfolgte Übergänge zwischen den Lebensphasen, die Entwicklungsblockaden verursachen. Dies kann mittelfristig zu körperlichen Symptomen oder zu Zwängen, Ängsten und anderen psychischen Problemen führen. Auch unbekannte und unaufgelöste Familientabus oder Verdrängungen nach traumatischen Erlebnissen können die Ursache für solche Blockaden sein. Es hat sich gezeigt, dass auch dafür das Medizinrad einen Überblick geben und zur Deutung erheblich beitragen kann.
Denn wenn ich weiß oder zumindest erahne, wo die eigentliche Ursache für ein Problem liegt, kann ich es viel leichter lösen. In den wenigsten Fällen haben körperliche Symptome nur rein körperliche Ursachen.17 Meist liegt eine Symptomverschiebung hin zum Körper aus der psychischen, systemischen oder spirituellen Ebene im Menschen vor. Unsere symptomorientierte Schulmedizin spricht zwar öfter von „Psychosomatik“, möchte aber dennoch möglichst alle Probleme ausschließlich mit körperlichen Mitteln oder Methoden behandeln. Oder sehr vereinfacht und plakativ gesagt: mit synthetischen Pillen oder mit Operationen. Operationen können Leben retten, auf diesem Gebiet hat unsere technische Medizin schon öfter richtige Wunder bewirkt. Wenn es jedoch um eine Psychosomatik oder um chronische Leiden geht, hat unsere herkömmliche Medizin meist keine wirklich grundlegenden Lösungen parat.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass sich unsere Schulmedizin und unser Gesundheitswesen auch gar nicht langwierig mit seelischen, systemischen oder gar spirituellen Ursachen einer Krankheit aufhalten wollen. Es scheint doch viel einfacher, die vermeintlich „richtigen“ Medikamente zu geben, wenn damit eine Krankheit unterdrückt, der Patient ruhiggestellt und somit schnell eine Abhilfe geschaffen werden kann. Dies ist zudem wesentlich billiger als aufwendige und langwierige Heilverfahren auf psychischer Ebene. Unsere Kassenmedizin möchte schnelle Lösungen vorweisen können und auch viele Patienten möchten gar nicht so genau wissen, warum sie eigentlich krank geworden sind.
Meiner Meinung nach muss das Bemühen um Gesundheit und Wohlbefinden zu uns Menschen selbst zurückkehren. Wir dürfen diese Aufgabe nicht vorschnell an unsere Ärzte und Krankenkassen delegieren. Wir selbst sind für uns und unsere Gesundheit verantwortlich. Darum, lieber Leser, möchte ich Sie ermutigen, nach den tieferen Ursachen bei sich selbst zu suchen, wenn Sie krank sind. Ich meine, es lohnt vor allem dann, wenn man sich als ein sehr empfindsames und komplexes menschliches Gesamtsystem verstehen und keine Spaltung zwischen Körper, Geist und Seele betreiben will. Zusätzlich