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Das grüne Gesicht. Gustav MeyrinkЧитать онлайн книгу.

Das grüne Gesicht - Gustav Meyrink


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und die Sonne versäumt, um Maschinen zu bauen, hatte Maschinen gebaut, die längst

       verrostet waren, und darüber versäumt, andern zu helfen, daß sie sich hätten der Sonne erfreuen können, – hatte nur

       sein Teil beigetragen zur großen Zwecklosigkeit.

       Er kämpfte sich mühsam einen Weg durch die andrängende Menge zu einem freien Platz, rief eine Droschke an und

       ließ sich hinaus vor die Stadt fahren.

       Ein Heißhunger nach versäumten Sommertagen hatte ihn mit einemmal überfallen. – –

       Die Räder rumpelten mit quälender Langsamkeit über das Pflaster, und die Sonne war doch schon im Untergehen

       begriffen; vor Ungeduld, ins Freie zu kommen, wurde er nur noch gereizter.

       Als er endlich das fette Grün des Landes, bis in die unendlich scheinende Ferne von einem Gitter aus braunen

       regelmäßigen Wasserstraßen zerschnitten, vor sich sah, mitten in den Inseln Abertausende gefleckter Rinder, die alle

       eine Matratze auf dem Rücken trugen als Schutz gegen die abendliche Kühle, und dazwischen die holländischen

       Bäuerinnen mit den weißen Hauben, den messingnen Krulltjes an den Schläfen und den sauberen Melkeimern, – wie

       das Bild auf einer großen blaßblauen Seifenblase stand es vor ihm, in der die Windmühlen mit ihren Flügeln als die

       ersten schwarzen Kreuzeszeichen einer kommenden ewigen Nacht erschienen.

       Es war ihm wie das Traumgesicht eines Landes, in das er Fuß nicht mehr setzen dürfe, wie er so an schmalen

       Wegen die Weideplätze entlangfuhr, immer durch einen von den letzten Sonnenstrahlen roten Flußstreifen von ihnen

       getrennt.

       Der Geruch nach Wasser und Wiesen, der zu ihm herüberzog, löste seine Unruhe nur in ein Gefühl der Schwermut

       und Verlassenheit auf.

       Dann, als das Gras dunkel wurde und aus der Erde ein silbriger Nebel stieg, bis die Herden in Rauch zu stehen

       schienen, kam es ihm vor, als wäre sein Kopf ein Kerker, und er selbst säße darin und blickte durch seine Augen

       hindurch wie durch langsam erblindende Fenster in eine Welt der Freiheit hinein, die für immer Abschied nimmt.

       * * *

       Die Stadt lag in tiefer Dämmerung, und das hallende Dröhnen von den zahllosen seltsam geformten Türmen und ihre

       Glockenspiele zitterten durch den Dunst, als die ersten Häuserreihen ihn aufnahmen.

       Er entließ den Wagen und ging der Richtung zu, in der seine Wohnung lag, durch winklige Gassen, Grachten entlang,

       in denen regungslos schwarze plumpe Kähne schwammen, eingetaucht in eine Flut fauler Äpfel und verwesenden

       Unrats, unter Giebeln mit eisernen Hebearmen hinweg, die aus vornübergebeugten Mauern sich im Wasser spiegelten.

       An den Türen saßen gruppenweise auf Stühlen, die sie aus ihren Stuben geholt hatten, Männer in blauen weiten

       Hosen und roten Kitteln, Weiber flickten schwätzend an Netzen, und Scharen von Kindern spielten auf der Straße.

       Rasch schritt er hindurch an den offenen Hausfluren vorbei, die ihn anhauchten mit ihrem Atem von Fischgeruch,

       Arbeitsschweiß und ärmlichem Alltag, über Plätze hin, wo an den Ecken die Waffelbäcker ihre Stände aufgeschlagen

       hatten und ein Brodem von brenzlichem Schmalzdampf bis in die schmalen Gassen zog.

       Die ganze Trostlosigkeit der holländischen Hafenstadt mit dem sauber gewaschenen Pflaster und den unsagbar

       schmutzigen Kanälen, den wortkargen Menschen, dem fahlweißen Netzwerk der Schiebefenster an den engbrüstigen

       Häuserfassaden, den engen Käse- und Heringsläden mit ihren schwelenden Petroleumlichtern und den giebligen

       rotschwärzlichen Dächern, legte sich ihm auf die Brust.

       Einen Augenblick sehnte er sich fast aus diesem Amsterdam mit seiner finsteren Abkehr von Heiterkeit zurück in die

       lichteren Städte, die er von früher kannte und in denen er gelebt hatte. Das Dasein in ihnen schien ihm mit einemmal

       wieder begehrenswert, – wie alles, was in der Vergangenheit liegt, schöner und besser erscheint als die Gegenwart, –

       doch die letzten, häßlichen Erinnerungen, die er von ihnen mitgebracht hatte, die Eindrücke äußern und innern Verfalls

       und des unaufhaltsamen Hinwelkens erstickten sofort das leise erwachende Heimweh.

       Um seinen Weg abzukürzen, passierte er eine eiserne Brücke, über die eine Gracht in die feinen Stadtviertel führte,

       und durchquerte eine in Licht getauchte, dichtbelebte Straße mit prunkvollen Schaufenstern, um ein paar Schritte

       später, als habe die Stadt blitzschnell ihr Antlitz verändert, wieder in einer stockfinstern Gasse zu stehen: Die alte

       Amsterdamer "Neß", die berüchtigte Dirnen- und Zuhälterstraße, vor Jahren niedergerissen, war hier wie eine

       scheußliche Krankheit, die plötzlich von neuem hervorbricht, in einem andern Stadtteil wieder auferstanden mit einem

       ähnlichen, nicht mehr so wilden und rohen, aber weit furchtbareren Gesicht.

       Was Paris, London, die Städte Belgiens und Rußlands an Existenzen ausspien, die, auf kopfloser Flucht vor den

       losbrechenden Revolutionen ihre Heimat mit dem erstbesten Zug verlassen hatten, traf hier in diesen "vornehmen"

       Lokalen zusammen.

       Portiers mit langen blauen Röcken, Dreispitze auf dem Kopf und Stäbe mit Messingknäufen in der Hand, rissen

       stumm wie Automaten die gepolsterten Eingangstüren auf und schlugen sie wieder zu, als Hauberrisser vorüberschritt,

       so daß jedesmal ein greller, blendender Schein auf die Gasse fiel und eine Sekunde lang wie aus einer unterirdischen

       Kehle heraus ein wüster Schrei von Negermusik, Zimbalbrausen oder wahnwitzig aufheulenden Zigeunergeigen die

       Luft zerriß.

       Oben, in den ersten und zweiten Stockwerken einzelner Häuser, herrschte eine andere Art Leben – ein lautloses,

       flüsterndes, katzenhaft lauerndes hinter roten Gardinen. Kurzes, schnelles Fingertrommeln an den Scheiben, da und

       dort gedämpfte Rufe, hastig abgerissen, in allen Sprachen der Welt und dennoch nicht mißzuverstehen, – ein Oberleib

       in weißer Nachtjacke, der Kopf unsichtbar in der Finsternis, wie abgehauen von einem Rumpf mit winkenden Armen,

       – dann wieder: offene, pechschwarze Fenster, leichenhaft still, als wohne in den Zimmern dahinter der Tod.

       Das Eckhaus, das die lange Gasse abschloß, schien verhältnismäßig harmlosen Charakters zu sein; – ein Gemisch

       aus Tingeltangel und Restaurant, nach den Zetteln zu schließen, die an den Mauern klebten.

       Hauberrisser trat ein.

       Ein menschenüberfüllter Saal mit runden, gelbgedeckten Tischen, an denen gegessen und getrunken wurde.

       Im Hintergrund ein erhöhtes Podium mit einem Halbkreis von etwa zwölf Chansonetten und Komikern, die auf

       Stühlen saßen und warteten, bis ihre Nummer drankam.

       Ein alter Mann mit kugelförmigem Bauch, aufgeklebten Glotzaugen, weißem Kehlbart, die unglaublich dünnen Beine

       in grünen Froschtrikots mit Schwimmhäuten, saß zehenwippend neben einer französischen Coupletsängerin in

       Incroyablekostüm und unterhielt sich flüsternd mit ihr über anscheinend sehr wichtige Dinge, während das Publikum

      


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