Und Friede auf Erden von Karl May. Karl MayЧитать онлайн книгу.
fragte dann:
»Sie haben wohl Vieles oder gar Alles gehört, was an unserm Tisch gesprochen worden ist?«
»Das Meiste,« gab ich aufrichtig zu.
»Auch die Strophe, welche ich gefunden habe?«
»Auch diese.«
»Nun wohl: So wie diese möchte der heutige Tag für Vater ausklingen! Sie wissen nicht, warum ich mich nicht scheue,
Ihnen das zu sagen, und ich weiß es auch nicht. Es ist Etwas in mir, was Sie schon früher gesehen hat. Bitte, lächeln Sie
nicht! Ich bin keine Phantastin; aber es ist mir, als ob ich Sie schon irgendwann und irgendwo getroffen und da so recht in
vollem Vertrauen mit Ihnen gesprochen hätte. Nehmen Sie dies offene Wort aber ja als eine Seltenheit von mir, als wenn
Sie es nicht abweisen, eine kleine Vergeltung für das, was Sie heut für uns gewagt und getan haben!«
Da kam ihr Vater wieder herein und machte die Bemerkung, daß es ihre Pflicht und nun wohl auch an der Zeit sei, sich
nach dem Befinden des verwundeten Chinesen zu erkundigen. Dann lud er mich ein, das Abendessen nicht so allein, wie
in Kairo, sondern an seinem Tische einzunehnen, und ich sagte zu.
Als ich niich dann unten im Speisesaale einstellte, waren die Chinesen nicht da; sie speisten in ihrem Zimmer. Es
sprach sich durch die Bedienung von Tisch zu Tisch herum, daß mit der Tramway ein Leutnant mit Soldaten aus Kairo
angekommen sei, um die fremden Mekkapilger noch am Abend von hier fortzubringen. Das war jedenfalls die Folge
davon, daß der Schech el Beled von el Kafr einen Boten in die Stadt geschickt hatte. Die eigentliche Ursache dieser
Maßregel schien man noch nicht zu kennen, und wir hatten keinen Grund, gegen Andere von ihr zu sprechen.
Waller verhielt sich überhaupt sehr schweigsam, und das Gespräch wurde nur von Mary und mir in der Weise wach
erhalten, daß es nicht ganz zum Einschlafen kam. Doch als ich erwähnte, daß Monsieur Fu und Monsieur Tsi zu mir
kommen würden, bat er mich, ihn, wenn sie bei mir seien, zu benachrichtigen, ob auch er sich einstellen könne, ohne uns
zu stören.
Als wir nach dem Essen in den Flur kamen, saß der erwähnte Leutnant da. Man machte sich an ihn, um Näheres zu
erfahren, doch sagte er weiter nichts, als daß er die Pilger heut hinein nach Bulak zu bringen habe, worauf sie dann
morgen früh per Bahn nach Wasta abgeschoben würden. Das war mir lieb, zu hören, weil nun die Tour nach Sakkara
unternommen werden konnte, ohne daß Waller eine Fortsetzung der heutigen Fährlichkeit zu befürchten hatte.
Was meinen Besuch betraf, so sollte er nicht im kleinen, dumpfen Zimmer sitzen. Ich ließ einen Tisch mit Stühlen
hinaus vor die Tür bringen, um die Genugtuung zu haben, ihnen das Beste zu bieten, was Gizeh demjenigen Besucher
bieten kann, welcher das geistige Auge und die seelische Empfänglichkeit dafür besitzt: den von den anderen Gästen
nicht gestörten Anblick der Pyramiden beim Mondesschein.
Als die beiden Erwarteten kamen, führte ich sie hinaus, und sie waren herzlich gern damit einverstanden. Der Mond
war eben erschienen, und die ernste, schwere Poesie des ägyptischen Altertums stand aus den Gräbern auf, um bleich,
doch nächtlich schön von den Riesenbauten vergangener Jahrtausende auf uns, die winzigen Gäste der Gegenwart,
herabzuschauen.
Die Chinesen hatten wohl nur einen kurzen Höflichkeitsbesuch beabsichtigt, aber der Eindruck, dem sie sich nicht
entziehen konnten, war so gewaltig und so fesselnd, daß sie garnicht daran dachten, diesen besten Platz, den das
Menahouse-Hotel besitzt, so bald wieder zu verlassen. Und mir wurde außerdem die Freude, daß sie, als ich ihnen den
Wunsch des Amerikaners mitteilte, mir die Erlaubnis gaben, nicht nur ihn, sondern auch seine Tochter zum Kommen
aufzufordern.
Dann saßen wir wohl bis über Mitternacht beisammen, China, die Vereinigten Staaten und Deutschland, oder Asien,
Amerika und Europa, in Eintracht und Frieden auf afrikanischem Boden, von allem Guten, Edlen, Schönen und
Erhabenen sprechend, aber nicht vom Unterschiede der Religionen, von den Gegensätzen der Volksinteressen und von
dem Vortrittsrechte besonderer Nationalitäten. Es war ein Abend, den ich nie vergessen werde, und als wir uns trennten,
taten wir es in dem Bewußtsein, daß alle Menschen so zusammengehören, wie wir in diesen unvergleichlichen Stunden
sowohl äußerlich wie auch innerlich vereint gewesen waren.
Dem Amerikaner drückte ich ganz besonders warm die Hand. Er war so rücksichtsvoll, so mild, so weich gewesen
und nicht ein einziges Mal in seinen schnarrenden Ton gefallen.
»Es klingt so aus, wie ich es wünschte,« flüsterte mir seine Tochter zu. »Ich segne die, die heut durch diese Steine so
gewaltig und doch so lieb, so wunderbar zu uns gesprochen haben. Jawohl, es ist gewiß und sicher so: Der Tote ist nur
dann und darum tot, wenn und auch weil er Niemand hat, zu dem er sprechen kann!«
Am anderen Morgen waren die Pilger fort, und der Ritt nach Sakkara wurde ein ganz anderer, als ich ihn geplant
hatte. Wir fünf schlossen uns zusammen; ein Dolmetscher wurde nicht mehr gebraucht, und mein Sejjid Omar war ganz
stolz darauf, der Einzige zu sein, der uns bediente.
So wurde es auch nach unserer Rückkehr nach Kairo gehalten. Wir machten alle Ausflüge gemeinsam, bis ich mich
als der Erste gezwungen sah, zu scheiden. Meine Vorbereitungen waren getroffen; es zog mich nilaufwärts, dem Sudan
zu.
Als ich den festen Entschluß kundgab, übermorgen abzureisen, machte Fu den Vorschlag, den letzten Abend wieder
bei den Pyramiden zuzubringen, und wir Andern stimmten alle bei. Das Hotel war nicht sehr besetzt, und so bekamen wir
leicht dieselben Zimmer, welche wir bei unserer vorigen Anwesenheit gehabt hatten. Das Abendbrot nahmen wir auf der
hohen Düne vor meiner Wohnung ein.
Der Mond schien dieses Mal nicht; aber das magische Licht der Sterne zeigte uns die Flächen und Konturen der
Pyramiden in jener Schärfe, in welcher grad das irdisch Große vom Himmel abzustechen pflegt, und ließ sie also in einer
ganz andern, ernsteren Sprache zu uns reden, als diejenige war, in welcher sie jüngst zu uns gepredigt hatten.
Es war keineswegs meine Absicht, in die Geheimnisse der beiden ebenso hochgebildeten wie liebenswürdigen
Chinesen einzudringen, aber eine Aeußerung Fu's gab mir Veranlassung, anzunehmen, daß er Dipolmat sei. Und Tsi
sprach, wenigstens zu uns, ganz aufrichtig davon, daß er längere Zeit erst in Berlin und dann auch in Paris studiert habe,
um die Anschauung des Westens mit derjenigen des Ostens vergleichen und über das Verhältnis beider zu einander zu
einem klaren Resultate kommen zu können. Er hatte sich besonders, wie auch daheim, mit der Heilkunde beschäftigt;
sein Lieblingsfach aber war Psychologie.
Wie kam es wohl, daß Waller, seit er mit uns verkehrte, sein Lieblingsthema fast gar nicht mehr berührte? Er schien
vollständig vergessen zu haben, daß es Heidentempel gebe,