Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 2. Ludwig ThomaЧитать онлайн книгу.
Da ist meine Mutter auch hinausgegangen, und bei der Tür ist sie stehengeblieben und hat gesagt,
daß sie sich fest vorgenommen hat, bei diesem Aufenthalte sich nicht mit der Tante zu
zerkriegen, aber es ist furchtbar schwer.
Auf dem Gange hat sie mit Ännchen gesprochen; das hat man hereingehört, und Ännchen hat
immer lauter geweint.
Die Tante hat das Essen nicht aufgehört, und sie hat immer den Kopf geschüttelt, als wenn sie
sich furchtbar wundern muß.
Sie hat mich gefragt, ob Ännchen schon lange so krank ist. »Sie ist gar nicht krank« sagte ich.
»Das verstehst du nicht«, hat sie gesagt. »Deine Schwester ist sehr leidend mit kaputte Nerven,
weil sie auf einmal weinen muß, und ich habe es immer gedacht, daß sie schwächlich ist, sonst
hätte sie auch meinen Koffer getragen.«
Meine Mutter ist auf einmal wieder hereingekommen und hat schnell gerufen, daß der
Amtsrichter zum Kaffee kommt, und sie bittet die Tante, daß sie höflich ist. Da ist die Tante
beleidigt gewesen und hat gesagt, ob man glaubt, daß sie nicht fein ist, weil sie einen
Postexpeditor geheiratet hat, und sie weiß schon, wie man sich benimmt, und ein Amtsrichter ist
auch nicht viel mehr wie ein Expeditor.
Meine Mutter hat immer nach der Tür geschaut, ob sie vielleicht schon aufgeht, und hat
gewispert, die Tante soll nicht schreien, er ist schon auf der Treppe, und sie hat es doch nicht so
gemeint, sondern weil die Tante geglaubt hat, daß er häßlich ist.
Die Tante hat aber nicht stiller geredet, sondern sie hat laut gesagt: »Man ist auch nicht schön,
wenn man eine Glatze hat und schielt.«
Da hat meine Mutter mit Verzweiflung auf die Decke geschaut, und sie hat weinen wollen, aber
da ist die Tür aufgegangen, und der Steinberger ist hereingekommen und Ännchen auch, und ihre
Augen waren noch rot.
Meine Mutter hat jetzt nicht weinen dürfen, sondern sie hat freundlich gelacht und hat gesagt:
»Herr Amtsrichter, das freut mich sehr, daß Sie kommen, und ich stelle Ihnen meine liebe
Schwägerin vor, von der ich Ihnen schon erzählt habe.« Der Steinberger hat eine Verneigung
gemacht und die Tante hat ihn angeschaut, als wenn sie ihm einen Anzug machen muß.
Und dann hat der Steinberger gesagt, es freut ihn, daß er die Tante kennenlernt, und er hofft, daß
es ihr hier gefällt. Und sie hat gesagt, sie hofft es auch, und wenn ihr Papagei nicht mißhandelt
wird, gefallt es ihr gewiß.
Der Steinberger hat es aber nicht gehört, weil er Ännchen angeschaut hat, und er hat gefragt,
warum sie rote Augen hat.
Ännchen sagte, daß der Herd so furchtbar raucht, und meine Mutter hat gesagt, daß man den
Herd richten muß. Und die Tante hat gesagt, daß Ännchen überhaupt nicht kochen soll, mit so
schwache Nerven, und weil sie kränklich ist.
Da hat meine Mutter ein zorniges Auge auf die Tante gemacht und hat gefragt: »Was weißt du
von die Nerven? Ännchen ist gottlob das gesundeste Mädchen, was es gibt, und kocht alle Tage
und macht die ganze Arbeit im Haus.«
Die Tante hat gelacht, als wenn sie es besser weiß, und dann haben wir uns hingesetzt, und
Ännchen ist hinaus, daß sie den Kaffee kocht.
Der Steinberger hat die Tante gefragt, wo sie lebt, und sie hat gesagt, sie wohnt in Erding, weil es
so billig ist und sie so wenig Pension hat, und dann hat sie ihn gefragt, ob er schon einmal in
Ansbach war, und er hat gesagt, ja, er ist dort gewesen. Da hat sie gefragt, ob er den
Regierungsrat Römer nicht kennt, und wie er gesagt hat, nein, er kennt ihn nicht, hat sie gesagt,
daß sie sich wundem muß, weil er doch so bekannt ist.
Der Steinberger hat gesagt, er ist bloß durchgefahren in Ansbach, und meine Mutter hat gesagt,
dann ist es nicht möglich, daß er die Beamten kennt.
Aber die Tante hat gesagt, der Römer ist ein hoher Beamter und kommt gleich nach dem
Präsident, da muß man ihn doch kennen. Und sie hat erzählt, daß sie eigentlich seine Frau sein
muß, aber es ist nicht gegangen, weil sie aus einer Beamtenfamilie ist, wo die Söhne studiert
haben. Meine Mutter ist sonst immer in der Küche und läßt Ännchen hereingehen, wenn der
Steinberger da ist, aber heute ist sie nicht hinaus.
Ich glaube, sie hat sich nicht getraut, weil sonst die Tante geschwind etwas sagt, und sie ist
immer auf ihrem Sessel gerutscht und hat die Tante gefragt, wie es dem Förster Maier geht, und
ob seine Frau gesund ist, und wo die Kinder sind, und ob er noch den schönen Hühnerhund hat;
da hat die Tante immer eine Antwort geben müssen, und wenn sie fertig war, hat sie geschwind
den Steinberger anreden wollen, aber meine Mutter hat gleich wieder etwas gefragt.
Da ist der Steinberger aufgestanden und hat gesagt, er will nachschauen, ob der Herd noch
raucht. Da hat meine Mutter lustig gelacht, wie er draußen war, und hat gesagt, er ist immer so
aufmerksam.
Die Tante hat gesagt, sie weiß nicht, die Photographie kommt ihr geschmeichelt vor, weil er noch
stärker schielt in der Wirklichkeit.
Aber meine Mutter hat sich nicht geärgert, und sie hat jetzt die Tante gar nichts mehr gefragt über
dem Förster Maier seinen Hühnerhund und seine Kinder, und sie hat fleißig gestrickt.
Und dann ist Ännchen hereingekommen mit dem Kaffee und den Tassen, und der Steinberger ist
hinter ihr gegangen und hat gefragt, ob er nicht helfen kann.
Und dann haben wir Kaffee getrunken, und meine Mutter hat gelacht, wenn der Steinberger
etwas gesagt hat, und Ännchen hat gelacht, aber die Tante hat nicht gelacht, und sie hat immer an
ihre Nase gerieben.
Meine Mutter hat gefragt, ob es ihr schmeckt, und sie hat gesagt, sie weiß es nicht, weil es so
ungewohnt ist, denn sie kann mit ihrer Pension keinen Bohnenkaffee kaufen.
Da hat der Steinberger gesagt, das ist schade, denn der Kaff ee ist das Beste, was es gibt,
besonders wenn ihn Fräulein Ännchen kocht.
Die Tante hat ihn gefragt, ob er immer den Kaffee so gerne gemocht hat, und er hat gesagt ja. Da
hat sie gelacht und hat gesagt, das kann sie gar nicht glauben, weil die Studenten so gern Bier
trinken.
Da hat er auch gelacht und hat gesagt, daß er nicht viel getrunken hat, weil er fleißig sein mußte
und nicht viel Geld hatte. Aber die Tante hat wieder gesagt, sie glaubt es einmal nicht.
»Warum glaubst du es nicht?« hat meine Mutter gesagt. »Es gibt doch viele Studenten, die kein
Bier nicht trinken, und der Herr Amtsrichter hat keine Zeit dazu gehabt, und er mußte mit seinem