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Zwei Städte. Charles DickensЧитать онлайн книгу.

Zwei Städte - Charles Dickens


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an.“

      „Was erwarten Sie, Mr. Darnay?“ fragte Carton, immer noch halb von ihm abgewendet.

      „Das Schlimmste.“

      „Das ist das Klügste, was Sie thun können und das Wahrscheinlichste, was Ihnen widerfahren kann. Aber ich glaube, daß sie abgetreten sind spricht zu Ihren Gunsten.“

      Da Stehenbleiben während des Hinausgehens aus dem Saale nicht erlaubt war, so hörte Jerry weiter Nichts, sondern verließ sie, wie sie Beide unter dem ihre Gestalten zurückgebenden Spiegel neben einander standen, einander so ähnlich im Gesicht, und so unähnlich im Wesen.

      Anderthalb Stunden vergingen langsam in den von Dieben und Gesindel erfüllten Gängen unten, obgleich Fleischpastetchen und Ale die Zeit vertreiben halfen. Der heisere Bote, der unbequem auf einer Bank saß, nachdem er dieses Erfrischungsmittel zu sich genommen, war eingeduselt, als Stimmenbrausen und ein Strom von Menschen, welche die Richtung nach der im Gerichtssaal hinaufführenden Treppe einschlugen, ihn mit sich fortriß.

      „Jerry, Jerry!“

      Mr. Lorry rief ihn bereits an der Thür, als er dort eintrat.

      „Hier, Sir! S’ist kaum zum Durchkommen. Hier bin ich, Sir!“

      Mr. Lorry reichte ihm ein Papier über das Gedränge hinweg. „Rasch! Habt Ihr’s?“

      „Ja, Sir.“

      Mit hastigen Zügen war auf das Papier geschrieben: „Freigesprochen.“

      „Wenn Sie diesmal die Botschaft „Wiederauferstanden“ geschickt hätten,“ brummte Jerry im Fortgehen vor sich hin, „so würde ich dasmal gewußt haben, was Sie meinten.“

      Er hatte keine Gelegenheit, etwas Anderes zu sagen, oder nur zu denken, bis er aus Old Bailey hinaus war; denn das Gebäude entleerte sich mit einem Ungestüm, daß ihn der Menschenstrom fast umgerissen hätte und ein lautes Gesumme verbreitete sich in der Straße, als ob die getäuschten Schmeißfliegen sich zerstreuten, um anderes Aas aufzusuchen.

       Zum Glückwunsch.

      Aus den schwach erleuchteten Gängen des Gerichtsgebäudes verliefen sich die letzten Reste des Menschengedränges, das den ganzen Tag über dort zusammengepreßt gewesen war, als Dr. Manette, Lucie Manette, seine Tochter, der Sachwalter für die Vertheidigung und sein Rechtsbeistand, Mr. Stryver, den eben freigelassenen Mr. Charles Darnay umstanden und ihn zu seiner Rettung vom Tode beglückwünschten.

      Es wäre bei viel hellerem Lichte schwierig gewesen, in Dr. Manette mit dem geistvollen Gesicht und der aufrechten Haltung den Schuhmacher des Dachstübchens in Paris wiederzuerkennen. Aber Niemand konnte ihn zweimal ansehen, ohne seine Aufmerksamkeit gefesselt zu fühlen, selbst wer nicht Gelegenheit gehabt hatte, seine Beobachtung auf den trauervollen Tonfall seiner gedämpften, ernsten Stimme und die Zerstreutheit auszudehnen, deren Ausdruck sich mitunter ohne jeden sichtbaren Grund unvorbereitet über sein Gesicht verbreitete. Während ein äußerer Anlaß, und zwar eine Hindeutung auf seine langjährige Qual, stets — wie während der Gerichtsverhandlung — diese Stimmung aus den Tiefen seiner Seele heraufbeschwor, stellte sie sich auch von selbst ein und verbreitete ein Düster über ihn, das denen, welche seine Geschichte nicht kannten, so unbegreiflich war, als hätten sie den Schatten der wirklichen Bastille im Sommersonnenschein auf ihn fallen sehen, während der Körper der Bastille dreihundert Meilen weit entfernt war.

      Nur seine Tochter besaß die Fähigkeit, diesen schwarzen Schatten von seinem Gemüth zu bannen. Sie war der goldene Faden, der ihn mit einer Vergangenheit und mit einer Gegenwart verknüpfte, die beide auf der andern Seite seines Leidenslebens lagen; und der Klang ihrer Stimme, das Licht ihres Antlitzes, die Berührung ihrer Hand hatten fast immer einen höchst wohlthätigen Einfluß auf ihn. Fast immer, denn sie konnte sich einiger Fälle erinnern, wo ihre Macht wirkungslos geblieben war, aber dies waren nur wenige und unbedeutende Fälle und sie glaubte, sie würden nicht wiederkehren.

      Mr. Darnay hatte ihr mit Inbrunst und dankbar die Hand geküßt, und sich zu Mr. Stryver gewendet, dem er mit Wärme dankte. Mr. Stryver, ein Mann von wenig mehr als dreißig Jahren, der aber zwanzig Jahre älter aussah, als er war, wohlbeleibt, laut, roth, geradezu und frei von jedem störenden Zartgefühl, hatte eine Art, sich moralisch und physisch in Gesellschaften und Unterhaltungen vorzudrängen, die Bürgschaft dafür gab, daß er sich auch seinen Weg in der Welt bahnen würde.

       Glückwünsche.

      Er hatte noch nicht die Perrücke und den Talar abgelegt und sagte, indem er sich vor seinem Clienten so breit hinstellte, daß er den unschuldigen Mr. Lorry ganz aus der Gruppe drängte: „Es freut mich, Sie mit Ehren durchgebracht zu haben, Mr. Darnay. Es war eine über die Maaßen schändliche und niederträchtige Anklage, die aber nichtsdestoweniger leicht hätte zu einer Verurtheilung führen können.“

      „Sie haben mich für mein Leben verpflichtet — in zweifachem Sinne,“ sagte sein Client, indem er seine Hand ergriff.

      „Ich habe mein Möglichstes für Sie gethan, Mr. Darnay; und mein Möglichstes ist so gut wie das eines Andern, glaube ich.“

      Da hier offenbar Jemand sagen mußte, viel besser, so sagte es Mr. Lorry; vielleicht nicht ganz uneigennützig, sondern mit der eigennützigen Absicht, wieder in die Gruppe hineinzukommen.

      „Meinen Sie?“ sagte Mr. Stryver. „Nun, Sie sind den ganzen Tag dabei gewesen und müssen’s wissen. Sie sind übrigens auch Geschäftsmann.“

      „Und als solcher,“ sprach Mr. Lorry, den der Vertheidiger des Angeklagten jetzt in die Gruppe zurückgedrängt hatte, wie er ihn vorher hinausgedrängt, „als solcher bitte ich Dr. Manette, diese Conferenz abzubrechen und uns Alle nach Hause zu schicken. Miß Lucie sieht leidend aus, Mr. Darnay hat einen schrecklichen Tag gehabt, wir sind Alle fertig.“

      „Sprechen Sie für sich, Mr. Lorry,“ sagte Stryver; „ich habe noch die Nacht zu arbeiten. Sprechen Sie für sich.“

      „Ich spreche für mich,“ gab Mr. Lorry zur Antwort, „und für Mr. Darnay und für Miß Lucie und — Miß Lucie, meinen Sie nicht, daß ich für uns Alle sprechen darf?“ Er legte einen Nachdruck auf die Frage und begleitete sie mit einem Blick auf ihren Vater.

      Auf seinem Antlitz war ein seltsamer Ausdruck, mit dem er Darnay ansah, gewissermaßen festgefroren: Ein forschender Ausdruck, der sich allmälig zu einem Ausdruck der Abneigung und des Mißtrauens vertiefte und in welchen sich sogar Furcht mischte. Während dieser seltsame Ausdruck auf seinem Gesicht lag, waren seine Gedanken in die Ferne geschweift.

      „Vater,“ sagte Lucie, indem sie sanft die Hand auf seinen Arm legte.

      Er schüttelte langsam den Schatten von sich ab und drehte sich nach ihr um.

      „Wollen wir nach Hause gehen, Vater?“

      Mit einem langen, tiefen Athemzug gab er zur Antwort: „Ja.“

      Die Freunde des freigesprochenen Angeklagten waren in der von ihm selbst ausgegangenen Meinung fortgegangen, daß er diesen Abend noch nicht werde in Freiheit gesetzt werden. Die Lampen in den Gängen waren fast alle ausgelöscht, die eisernen Thüren wurden klappernd und rasselnd zugeschlossen und der unheimliche Ort war verödet bis morgen früh, wo Galgen, Pranger, Prügelpfahl und Brandmarkungseisen von Neuem ihren Zehnten forderten.

      Zwischen ihrem Vater und Mr. Darnay trat Lucie Manette hinaus in die freie Luft. Man rief einen Fiacre und Vater und Tochter fuhren darin von dannen.

      Mr. Stryver war in den Gängen von ihnen geschieden, um die Garderobe aufzusuchen. Noch eine Person, welche sich der Gruppe nicht zugesellt und ebenso wenig mit einem von den Andern ein Wort getauscht hatte, die sich aber an die Wand gelehnt hatte, wo der Schatten derselben am dunkelsten war, war schweigend den Uebrigen gefolgt und hatte zugesehen, bis der Wagen fortfuhr. Er trat


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