Das Gesetz der Vier. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
»Ich – um Hilfe rufen!« Mr. Stedland lachte höhnisch. »Denkst du denn, ich würde so einen Lumpenkerl wie dich zu Hilfe rufen? Bei einer wirklichen Prügelei würdest du ja viel nützen! Hol den Whisky!«
Als Jope kurz darauf mit einer Flasche und einem Siphon Sodawasser nach oben kam, schaute Stedland mürrisch zum Fenster hinaus. Man konnte von dort aus auf einen kleinen ungepflegten Garten sehen, der von einer hohen Mauer umgeben war. Dahinter lag ein Gelände, auf dem ein halbvollendetes Gebäude stand. Während des Baues war der Unternehmer pleite gegangen, und Mr. Stedland ärgerte sich jedesmal, wenn er die Ruine sah, denn der Grund und Boden, auf dem sie stand, gehörte ihm.
Plötzlich wandte er sich um.
»Jope, war irgend jemand im Gerichtssaal, den wir kannten?«
»Nein, Mr. Stedland«, erwiderte der Mann erstaunt. »Niemand mit Ausnahme des Polizeiinspektors –«
»Ach, den meine ich nicht«, rief Mr. Stedland ungeduldig. »Ich kannte alle Detektive, die dort waren. Hast du nicht sonst jemand gesehen, der etwas gegen uns hat?«
»Nein, Mr. Stedland. Hat es denn überhaupt etwas zu sagen, ob einer dort war?« fragte Jope kühn. »Denen sind wir doch stets gewachsen, von denen kann uns doch keiner.«
»Wie lange sind wir schon beisammen?« brummte Stedland unfreundlich, als er sich ein Glas Whisky einschenkte.
Jope lächelte schmeichlerisch.
»Nun ja, wir sind schon eine ganze Weile beieinander, Mr. Stedland.«
Der große Mann wischte sich die Lippen ab und schaute wieder zum Fenster hinaus.
»Ja, das stimmt«, sagte er nach einiger Zeit. »Es ist schon lange her. Du hättest tatsächlich deine Strafe jetzt beinahe abgesessen, wenn ich der Polizei vor sieben Jahren erzählt hätte, was ich von dir wußte –«
Jope fühlte sich unbehaglich und wechselte sofort das Gesprächsthema. Er hätte sich sagen können, daß die siebenjährige Gefängnisstrafe von Mr. Stedland in eine lebenslängliche Sklaverei umgewandelt worden war, aber so weit reichten die Gedanken Mr. Jopes nicht.
»Ist noch etwas auf der Bank zu erledigen?« fragte er diensteifrig.
»Sei doch kein Dummkopf! Die Bank schließt um drei Uhr.« Stedland wandte sich plötzlich zu ihm um. »In Zukunft mußt du in der Küche schlafen.«
»In der Küche?«
Stedland nickte bestätigend.
»Ich möchte nicht wieder von einem nächtlichen Besucher überrascht werden. Dieser Kerl war in meinem Zimmer, bevor ich wußte, was los war. Und hätte ich nicht ein Schießeisen zur Hand gehabt, so hätte er mich überwältigt. Der einzige Weg, auf dem jemand in dieses Haus einbrechen kann, führt durch die Küche, und ich habe eine Ahnung, daß in der nächsten Zeit etwas passiert.«
»Der sitzt doch jetzt im Zuchthaus.«
»Von dem rede ich doch gar nicht«, fuhr ihn Stedland an. »Ich denke, du hast jetzt begriffen, daß du dein Bett in der Küche aufschlagen sollst.«
»Es ist aber so zugig dort –« begann Jope.
»Du stellst dein Bett in der Küche auf!« schrie Stedland und schaute den Mann böse an.
»Jawohl, gewiß«, sagte Jope schnell.
Als der Diener gegangen war, zog Stedland seinen Rock aus und schlüpfte in eine fleckige Hausjacke aus Alpaka. Dann schloß er den Geldschrank auf und nahm sein Bankbuch heraus. Er setzte sich in seinen Stuhl, blätterte zufrieden die Seiten um und träumte von einer großen Plantage in Südamerika und von einem angenehmen und ruhigen Leben. Durch zwölfjährige harte Arbeit in London hatte er ein großes Vermögen zusammengebracht. Er war stets vorsichtig zu Werk gegangen und immer auf seiner Hut gewesen. Alle seine Erpressungen hatte er in geschäftsmäßiger Weise durchgeführt, so daß man ihm nichts nachweisen konnte. Sein Konto bei der Privatbank von Sir William Molbury & Co. war eins der größten. Diese Bank war in der City bekannt wegen ihrer verschwiegenen und geheimnisvollen Geschäftsführung, und aus diesem Grund hatte auch Mr. Stedland sein Konto dort eingerichtet. Außerdem gehörte Molburys Firma zu den altmodischen Banken, die stets große Reserven an barem Geld in ihren Schränken verwahren. Auch dieser Umstand kam Mr. Stedland sehr gelegen, denn er konnte immerhin einmal in die Lage kommen, seine Mittel in kürzester Zeit zusammenraffen zu müssen.
Der Abend und die Nacht gingen vorüber, ohne daß sich unangenehme Zwischenfälle ereigneten. Nur Mr. Jope hatte eine etwas heisere Stimme bekommen und meldete seinem Herrn, als er ihm am Morgen den Tee brachte, daß es über Nacht sehr kalt in der Küche gewesen sei und daß er kaum habe schlafen können.
»Nimm dir mehr Decken«, erwiderte Stedland kurz.
Nach dem Frühstück verließ er das Haus und machte sich auf den Weg nach seinem Büro in der City. Mr. Jope blieb im Haus zurück, um die Aufwartefrau bei ihren Arbeiten zu beaufsichtigen. Er teilte ihr auch im Auftrag seines Herrn mit, daß ihr Gehalt hoch genug sei und daß es sehr viele gute Aufwartefrauen ohne Beschäftigung in der Stadt gäbe. Wenn sie das Arbeitszimmer nicht besser abstauben würde, könnte es unangenehme Konsequenzen für sie haben.
Um elf Uhr vormittags kam ein gediegen aussehender, älterer Herr, der einen Zylinder trug. Jope öffnete ihm die Haustür und fragte nach seinen Wünschen.
»Ich komme von der Depositenbank«, sagte der Fremde.
»Von welcher Depositenbank?« fragte Jope argwöhnisch.
»Von der Fetter Lane Depositenbank. Ich möchte nur feststellen, ob der Herr nicht das letztemal, als er zu uns kam, seinen Schlüssel steckenließ.«
Jope schüttelte den Kopf.
»Wir haben überhaupt nichts mit Depotbanken zu tun«, sagte er mit Nachdruck. »Und außerdem würde mein Herr wohl niemals einen Schlüssel in einem Geldschrank auf der Bank steckenlassen.«
»Entschuldigen Sie, dann bin ich sicher an ein falsches Haus geraten«, meinte der ältere Herr lächelnd. »Ist dies nicht die Wohnung von Mr. Smithson?«
»Nein«, erwiderte Jope unliebenswürdig und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Der Besucher ging die Stufen zur Straße wieder hinunter und traf an der Ecke einen anderen Herrn.
»Sie haben nichts mit Depotbanken zu tun, Manfred«, sagte er.
»Das habe ich kaum angenommen«, meinte der Größere von den beiden. »Ich bin davon überzeugt, daß er alle seine Dokumente und Schriftstücke auf seiner Bank hat. Hast du den Diener Jope getroffen?«
»Ja«, erwiderte Gonsalez nachdenklich. »Der Mensch hat ein interessantes Gesicht. Schwach entwickeltes Kinn, aber ganz normale Ohren. Die Stirn flieht nach hinten, und soweit ich es beurteilen kann, ist. er ein charakteristischer Spitzschädel.«
»Armer Jope!« sagte Manfred, ohne zu lächeln. »Aber jetzt wollen wir auf das Wetter achten, Leon. Vom Golf von Biskaya rückt ein Antizyklon heran. In Eastbourne spürt man seine wohltätigen Wirkungen schon. Wenn er sich in den nächsten drei Tagen wirklich nach London hin ausbreitet, können wir Mrs. Storr gute Nachricht bringen.«
»Das glaube ich auch«, stimmte Gonsalez zu. Sie gingen zu ihrer Wohnung in der Jermyn Street zurück. »Eine Möglichkeit, diesen Kerl einfach zu überfallen, gibt es wohl nicht?«
Manfred