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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.

Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen - Ludwig Bechstein


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ein geschlängelter Drache, dessen Zungenpfeil auf die

       Stundenzahl deutet. Über dem Zifferblatte zeigte ein

       kleinerer Kreis mit der Mondesscheibe genau des

       Mondes wechselnde Zeiten. Darüber zeigten sich zwischen

       Schildhaltern und Wappenfiguren wandelnde

       Gestalten der Menschenalter, welche an die offen hängenden

       Viertelstundenglocken anschlugen, über ihnen

       hängt die Stundenglocke; nach jedem Viertelstundenschlage

       trat der Tod hervor, die Stunde zu schlagen,

       aber da begegnete ihm die Gestalt unsers Heilands

       und wehrte ihm, erst wenn die Stunde voll war, durfte

       der Tod sein Stundenamt üben. Hoch empor über

       allem diesen hob sich noch eine gotische Krone mit

       den freistehenden Gestalten der vier Evangelisten, die

       Tiere der Offenbarung neben sich, und über diesen

       standen zwei musizierende Engel, dahinter aber barg

       sich gar ein schönes klangvolles Glockenspiel, auch

       ist noch manch anderes künstliches Bildwerk an der

       Münsteruhr zu sehen und sind auch gedankenvolle

       Sprüche daran zu lesen. Dieses herrlichen Werkes

       Meister hieß Isaak Habrecht, der hatte gar lange gesonnen

       Tag und Nacht und gearbeitet unermüdlich,

       bis er es vollendet, und bis es durch seinen lebendigen

       Gang alle Welt zum Erstaunen hinriß. Da es nun vollbracht

       war, so gedachte der Meister, auch anderswo

       seine unvergleichliche Kunst zu üben, da blies der

       böse Feind dem Rate der Stadt Straßburg schlimmen

       Neid in das Herz, und sollte seine Stadt solch Wunderwerk

       nur einzig und allein haben. Und weil die

       Herren im Rate glaubten, wenn sie dem Meister Habrecht

       auch verböten, der Stadt Weichbild zu verlassen,

       werde er Straßburg dennoch den Rücken kehren,

       so wurden sie miteinander eins, ihn des Augenlichtes

       zu berauben. Das ward dem Meister angesagt, und

       wie er es vernahm, schauderte ihm, und sprach: Nur

       einmal noch muß ich mein Uhrwerk sehen, möcht

       etwan noch was daran bessern, denn ich's später nicht

       mehr vermag, wenn ich nicht sehend bin. Das wurde

       ihm vergönnt, und dann stieg der Meister zu seinem

       künstlichen Bau hinauf und trat hinein und schaffte

       was darin, eine kurze Weile. Und hernach haben sie

       auf dem Rathaus den Meister des Augenlichts beraubt.

       Aber siehe – da stockte mit einem Male das

       Uhrwerk. Christus und der Tod und die Alter der

       Menschen wandelten nicht mehr, das Glockenspiel

       verstummte, der Hahn krähte nicht, die Uhrglocken

       tönten nicht, der Zeigerdrache zeigte nicht, die Götter

       fuhren nicht mehr – alles stand. Bald aber nach der

       grausamen Tat wurden Meister Habrechts geblendete

       Augen aufgetan zum ewigen Licht – und vergebens

       sendete der Rat nach Künstlern umher, die das Uhrwerk

       wieder in Gang bringen sollten. Viele kamen,

       viele probten und pösselten daran und darin herum,

       keiner bracht's in Gang, von alter Zeit zu neuer Zeit,

       immer wieder – sie verdarben mehr, als sie gut machten,

       und so steht im Münster das Uhrwerk heute noch,

       wunderbar anzuschauen, aber ungangbar, und die Zeiger

       zeigen noch Tag und Stunde, an denen so grauenhafte

       undankvolle Untreue an dem kunstreichen Meister

       verübt ward.

       38. Straßburger Schießen und Zürcher Brei

       Im Zeughaus zu Straßburg wird ein eherner Topf gezeigt,

       den sandte einstmals die Stadt Zürch voll Brei

       dahin, den sie in Zürch gekocht und der noch warm in

       Straßburg ankam, das begab sich also. Die Straßburger

       hielten großes Freischießen und luden dazu ein

       alle Nachbarstädte am Rhein, in der Rheinpfalz, im

       Elsaß und in der Schweiz, die kamen auch durch Gesandte

       zahlreich und nahmen teil am Feste; am weitesten

       hatten freilich die Schützen von Zürch, drei Tagereisen.

       Da war zu Zürch ein wackerer Kumpan, der

       hieß Hans im Weerd, und sann ein lustig Stücklein

       aus. Wir wollen gen Straßburg zu Wasser fahren, da

       brechen wir kein Rad und fällt uns kein Roß, und

       wollen das tun, so Gott will, in einem Tag, und einen

       heißen Brei, den wir allhier gekocht, den Straßburgern

       mitbringen. Dieser Rat fand großen Beifall, alles

       ward vorgerichtet und gerüstet, der Brei wurde in

       einer Nacht gekocht, kam in einen warmen Topf von

       Erz, und der Topf wurde in heißen Sand gestellt, und

       nun ging es schnell zu Schiff, als die Sterne noch

       glänzten. Vom Schiffe wehten lustig die Wimpel mit

       Zürchs Farben, weiß und blau, und munter flog es

       über der Limmat rasche Wellen rasch dahin. Von der

       Limmat lenkten die fröhlichen Schweizerschützen in

       die Aar, vorüber an mancher fährlichen Stelle, und

       aus der Aar in den Rhein, am Höllenhaken kühn vorbei

       durch Strudel und Klippen. Da das glückhafte

       Schifflein gen Rheinfelden kam, wohin schon Kunde

       von seiner Fahrt gelangt, ward zur Mauer herab ein

       Korb voll edlen Weines zum Morgentrunk herabgelassen

       und unverweilt eingenommen. Als die Basler

       Glocke elf schlug, war es erst um zehn Uhr, und das

       glückhafte Schiff mit seinen Zürchern nahte schon der

       Brücke. Da schallte von aufgestellter Mannschaft und

       drängendem Volk herzlichfroher Bundesgruß entgegen,

       und die Geschütze krachten, aber wie ein Pfeil

       schoß das Schiff, getrieben von den Ruderschlägen

       stets sich ablösender kräftiger Ruderer, immer rheinabwärts,

       und vorn im Schiff am Steuer stand lugenden

       und sorgenden Blickes der Hans im Weerd, und mitten

       im Schiff saß Kasper Thomann, der Zürcher erwählter

       Obmann und Sprecher beim Schützenfeste.

       So ging es weiter und immer weiter, an Neuenburg

       vorbei, an Breisach vorbei, durch die hundert Inseln

      


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