Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
in ihrer Wehr mit dem Bischof einreiten,
und dann ward das Tor wieder hinter ihm zugeschlossen.
Danach legte der Bischof seinen Ornat an und
ward von Rat und Bürgerschaft und seinem Gefolge
geleitet und begleitet bis auf den Domplatz an die
Schwabenschüssel, dort nahm die Klerisei den neuen
Bischof in Empfang und führte ihn unter einen Thronhimmel
in den Dom mit großen Zeremonien und Gepränge.
Der Bischof aber ließ nun Wein anfahren und
in die Schwabenschüssel fließen, so viel als hineinging,
und da konnte trinken, wer wollte, und derer, die
wollten, waren immer viele, und der Wein floß endlos
in den Napf, ein ganzes Fuder oder auch zweie. Da
soff sich zum öfteren die Menge toll und voll, und
mancher kam weit hergereist zu diesem Trunke, und
ward ihm hernach weh und übel von dem vielen Saufen.
Davon ist denn das Sprüchwort entstanden, wenn
sich einer übersoffen und die Folgen verspürt: Der
reist nach Speier. Andere aber deuten das auf die
Reise zum kaiserlichen Kammergericht dortselbst,
wohin gar mancher reiste, um zu – appellieren.
44. Die Totenglocken zu Speier
Kaiser Heinrich IV. nahm gar ein trauriges Ende;
auch seine Gebeine ruhen im Dome zu Speier, aber
sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen
von Thron und Reich, gedachte er, wie sein
heiliger Vorgänger Heinrich II. die Absicht gehabt,
dort im Münster zu Straßburg seine Tage zu beschließen,
am Dome zu Speier einer Chorherrenpfründe
teilhaft zu werden, allein da er, der den Dom gebaut
und reich geschmückt, nicht, wie jener, jetzt eine
Pfründe gründen und stiften konnte, so ward ihm auch
solche nicht zuteil, und der Bischof Gebhard, den er,
der Kaiser, als solcher selbst auf seinen Stuhl gesetzt
und ihn bestätigt, weigerte ihm die Aufnahme. Da erseufzte
der Kaiser und sprach: Gottes Hand! Gottes
Hand liegt schwer auf mir!, und zog trauernd von
dannen. Und es geht in Speier die Sage, daß, als der
alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der
Maas verstorben, habe die Kaiserglocke im Dome
von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glokken
haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und
das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen:
Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot, aber wo? wo ist
er gestorben? Das wußte keiner. Der Bischof zu Lüttich
fühlte minder hart wie der undankbare Bischof zu
Speier, er ließ den Verstorbenen mit gebührenden
Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn
Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof
von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten
mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da
der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen
Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da
ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in
der Maas gestellt, und niemand wartete sein, und niemand
kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein
Mönch, den niemand kannte, der fuhr hinüber auf die
Insel, und betete über dem Sarge, und las Messen
über den Toten, und sang ihm das Requiem, und das
trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und
den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speier führen
ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des
Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof
nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers
Überreste aus dem Banne lösete. Das währte fünf
Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in
Sankt Afras Kapelle unbeerdigt stehen. Aber den Kaiser
Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden,
denn er blieb erbenlos, fiel in des Papstes Bann wie
sein Vater, und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme
zu Speier ein Glöcklein von selbst gar hell
und schrillend – und keine andere Glocke fiel ein, und
niemand wußte, warum es läute, und das Volk lief zu-
sammen und fragte sich untereinander: Wo wird denn
einer ausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?
45. Die Juden in Worms
Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten
Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der
Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden
gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers
Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben
mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den
Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie
sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande,
damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen
Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie
nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen
– da schrieben die Juden zu Worms an den hohen
Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten
Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen
Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben
eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige
Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus
Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel
vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem
den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde
zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in
einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat
ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser
haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das
Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden,
fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer
Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der
drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu
Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.
46. Von den Dalbergen