Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
und Lübecks Volkssagen von H. Asmus nennen,
waren wenig zu benutzen, weil das meiste darin
zu eigenmächtig ausgeschmückt, fast novellistisch erweitert
ist. Vornehmlich galt es auch, die spät erst gemachte
Sage links liegen zu lassen, welche die Reisehandbücher,
besonders die den Rhein betreffenden, so
häufig bieten.
Außerdem fand ich noch mancherlei Beschränkung
geboten. Die zahlreichen Sagen von geraubten Hostien,
geschlachteten Christenkindern und dergleichen
durch Juden habe ich mit Absicht nicht aufgenommen.
Wenn sie auch nicht alten Haß nähren helfen, so
verletzen sie doch und widerstreiten so gleichsehr
dem christlichen wie dem ethischen Prinzip.
Dieses Sagenbuch soll im besten Sinne ein Volksbuch
sein und werden, daher ist die Fassung keine altdeutsch-
mythologisch-gelehrte, um so mehr ist dennoch
auf das hochwichtige mythologische Element in
den deutschen Volkssagen mit allem Fleiße Rücksicht
genommen worden, wie es noch im Bewußtsein des
Volkes lebendig ist. Was aber dem deutschen Volksbewußtsein
in der Gegenwart, ja selbst dem deutschen
Lande allzufern liegt, wie die Stammsagen von Ostund
Westgoten, Vandalen, Hunnen, Longobarden,
Herulern, Gepiden usw., das habe ich hier unberücksichtigt
gelassen.
Sparsam war ich mit Absicht in Aufnahme mythischer
Heldensage, die in alt- und mittelhochdeutschen
Gedichten gefeiert wird; auch sie ist noch immer nicht
klar in das Volksbewußtsein getreten, die Literatur
und die Schuldoktrin haben sie noch nicht mit dem
Leben der Gegenwart vermittelt, und besonders zeigt
letztere zu solcher Vermittelung noch keine rechte
Neigung. Ebenso sparsam war ich in Aufnahme der
Heiligensage (Legende) und endlich in der Gespenster-
und Hexensage, die sich allenden wiederholt.
Die letztere namentlich hat J.W. Wolf in seinen Niederländischen
Sagen mit wahrer Vorliebe behandelt.
Trefflich ist auch dessen Sammlung deutscher Mär-
chen und Sagen, Leipzig 1845, insonderheit für Niederdeutschland.
In gleicher Weise sammelte E. Meyer
für Schwaben auf das fleißigste und dankwerteste,
und es konnte seine Sammlung vorzugsweise für das
mythologische Gebiet in Schwaben der meinigen zur
Benutzung dienen.
Wenn bei einigen Stoffen das Gebiet der Sage fast
verlassen wurde, so geschah dies einesteils, um auch
die Übergänge anzudeuten, wo Märchen und Sage
sich begegnen und geschwisterlich umschlingen, so
bei Nr. 333, Die Spinnerin im Mond, bei Nr. 385,
Die Zwergensage, mit der auch im Kindermärchen
vorkommenden Namensauskundschaftung, und bei einigen
andern, wo die märchenhafte Färbung vorwaltet,
andernteils aus andern bestimmten Gründen. So
war bei Nr. 470, Das Mysterium, daran gelegen, doch
endlich einmal dies fernliegende dramatische Rätsel,
diese großartigste deutsche Opera seria alter Zeit,
über welche die Literatur der Schauspielkunst bis
heute noch nichts Rechtes beizubringen wußte und die
Mitteilungen der thüringischen Chroniken so äußerst
dürftig beschaffen sind, dem Auge etwas näher zu
rücken, um zu zeigen, wie dieses Mysterium denn eigentlich
beschaffen war, und damit neben der Sagenkunde
der Sittenkunde zu nützen, denn beide müßten
eigentlich stets Hand in Hand gehen. Ob diese, wie
ich fest glaube, auf thüringischem Boden, wohin die
fehlerhafte dialektische Schreibart deutet, geborene
Mysterie älter oder jünger wie die, mit deren Bruchstücken
Karl Ludwig Kannegießer seine Gedichte der
Troubadours, Tübingen 1852, eröffnet, ist hier nicht
der Ort zu untersuchen. Mone erwähnt ihrer in seinen
altdeutschen und mittelalterlichen Schauspielen nicht.
Dieses ernste Singspiel war voll dramatischen Lebens,
voll Pomp und Herrlichkeit, voll Leidenschaft,
voll erschütternder Wirkung, voll plastisch-mimischer
Bildergruppen und ganz gewiß wunderbar schön,
wenn auch ohne Virtuosentriller, ohne Ballett und
ohne Tamtam.
Wie im allgemeinen zu vermeiden ist, allzu Fremdländisches
in heimische Kreise zu ziehen, so ist auch
zu vermeiden, das Heimische zu verwirren und nicht
Zusammengehörendes zu verschmelzen. So hat in unsern
Zeiten die Poesie mit ihrer berechtigten Freiheit
den Tannhäuser mit dem Wartburgkrieg in Verbindung
gebracht, in Gedichten, in Dramen, in der Oper.
Die Sage wie auch die Chroniken kennen diese Verbindung
nicht, so wenig wie die Geschichte der Poesie
sie kennt. Der Wartburgkrieg und die Tannhäusersage
liegen geschichtlich ziemlich weit auseinander.
Die erwähnte berechtigte Freiheit der Poesie aber
darf sich die letztere dennoch von keinem nehmen
oder verkümmern lassen; ihr muß es freistehen und
wird es ewig freistehen, Sagenstoffe zu erfassen, zu
schmücken, zu verherrlichen, nur darf von dem, der
solches tut, gefordert werden, daß er dazu berufen sei.
Mir erscheint in dieser Beziehung die Sage wie ein
alter gleichzeitig kolorierter Holzschnitt auf Pergament
oder ein Miniaturbild. Der Unberufene, der solche
Bilder zu verschönern gedenkt, wird mit breitem
Pinsel des Bildes edle Züge und Farben verwaschen,
der Berufene wird mit feinem Pinsel dunklere Stellen
mit leichtem, dauerbarem Golde höhen. Da jede Sage
mehr Dichtung als Wahrheit ist, so haben die Dichter
eigentlich an sie mehr Anrecht als die Forscher und
die Wissenschaft, denn die Poesie gleicht dem Sternenhimmel
über der dunkeln Erde. –
In Berücksichtigung der vielen Sagen innewohnenden