Platon: Besprechungen I. Joachim StillerЧитать онлайн книгу.
ich Dich aber in Post 25 dahingehend verstanden, dass Du den Sokrates als Menschen charakterisieren wolltest. Im Augenblick sprechen wir aber von der Selbstcharakterisierung des Sokrates in Bezug auf seine eigene Philosophie, und damit eben auch über seine Selbstpositionierung. Ich vermute daher, dass Du auch nur die Selbstcharakterisierung des Sokrates in Bezug auf seine eigene Philosophie meintest. Vielleicht hattet Du dich nur etwas ungeschickt ausgedrückt...
Nachtrag 1:
habe mir gerade überlegt, ob ich aufgrund meiner Rezeption der Apologie irgendwelche Aussagen in Bezug auf Sokrates' Selbstcharakterisierung seiner Philosophie machen könnte, und habe nicht einen einzigen Punkt gefunden. Es ist doch auch so, dass Sokrates lediglich im Sinne der Anklage argumentiert, und ein wichtiger Schachzug dabei ist die Aussage, dass er oft und immer wieder angefeindet worden ist. Von daher geht er dann auch auf die Art und den Charakter seiner eigenen Argumentation ein, und damit eben auch auf das Argument, er wüsste zwar nichts, allein er bilde sich im Gegensatz zu allen anderen auch nicht ein, etwas zu wissen. Eine weitergehende Charakterisierung seiner Philosophie bzw. seiner Gedanken nimmt er meines Wissens "nicht" vor. Aber vielleicht kannst Du was dazu sagen, wenn Du meinst, irgendwelche Punkte gefunden zu haben. Für mich jedenfalls wäre solche Punkte, die höchstens angedeutet werden, eher marginal. Gruß Joachim Stiller Münster
Nachtrag 2
Damit will ich im Grund sagen, dass sich aus der Apologie allein noch kaum etwas für ein komplexes Sokratesbild ergibt. Jeder einzelne frühe Dialog stellt praktisch nur je einen einzelnen Aspekt dar. Zu einem komplexen Gesamtbild von Sokrates können wir also erst nach der Lektüre praktisch sämtlicher frühen Werke, vielleicht einschließlich des ersten Kapitels der Politiea, aufsteigen... Wir sind also genötigt, unser Sokratesbild nach der Lektüre jedes einzelnen frühen Dialoges zu überdenken und um den jeweiligen neuen Aspekt zu erweitern. Jedenfalls würde ich gerne auf diese Weise vorgehen...
Selbstverständlich können wir nicht erwarten in der Apologie ein Gesamtbild des platonischen Sokrates zu finden, sondern können erst nach der Lektüre aller Dialoge zu einem halbwegs vollständigen Bild gelangen. Es ist allerdings genau deshalb notwendig auch den "apologetischen" Sokrates genau zu betrachten und zu analysieren. Ich persönlich glaube, dass bereits in der Apologie ein Sokrates "vorbereitet" wird, der sich lediglich in den weiteren Dialogen "entfaltet" und nicht völlig neu oder anders dargestellt wird. Ich verstehe den Sokrates der Apologie fast schon als eine Prämisse jedes weiteren Auftrittes in den platonischen Dialogen (zumindest aus charakterlicher und figürlicher Perspektive). Es wäre meiner Meinung nach falsch anzunehmen Platon hätte hier entweder einfach "Schrift" geführt, oder gar jedes Mal aufs Neue einen anderen Sokrates erfunden. Vielmehr halte ich Platon (seine Philosophie einmal beiseite gelassen) für einen herausragenden Schriftsteller, der nicht allein die szenische Darstellung, sondern eben auch "seine" Charaktere beherrscht. (Ich kann dem Urteil nur zustimmen, das George Steiner in "Der Meister und seine Schüler" über Platons Stil trifft.)
Daher glaube ich, dass Platon mit bedacht seinen Sokrates sagen lässt, was er sagt, und dass jede Selbstdarstellung letzten Endes eine Charakterisierung durch den Autor darstellt (Platon schützt sich nicht umsonst vor jeder Form der ungenauen Wiedergabe, indem er immer wieder in seinen Dialogen betont, dass erst selbst nicht anwesend war; ein Freibrief, der ihm gestattet, "seine Version" zu schreiben. Die Apologie des Sokrates von Platon ist in erster Linie keine Historiographie, sondern eine Hommage an den Meister.)
Zu den Anklagepunkten:
Hier glaube ich ist es wichtig zu erwähnen, dass ein gewichtiges Argument dafür, er verderbe die Jugend bei 33a angedeutet wird. Was leider nicht wörtlich in der Apologie erwähnt wird, ist Dank Geschichtsschreibung und anderer platonischer Dialoge rekonstruierbar: Der Prozess gegen Sokrates findet nach der Herrschaft der Dreißig in Athen statt, zu deren führenden Mitglieder der mehrfache Verräter und vermeintliche Schüler Sokrates' Alkibiades gehörte. Sicherlich spielt auch die Psychologie mancher Eltern eine Rolle (doch hier zeigt uns Aristophanes in seinen "Wolken", dass das Bild durchaus ambivalent war: Zunächst schickt ein Vater seinen Sohn freiwillig in Sokrates' Schule, um hernach Sokrates für seinen "verkorksten" und aufmüpfigen Sohn zu verfluchen).
Ich würde die Macht der Eltern an dieser Stelle nicht überschätzen, die bloßgestellten Athener dürften ein weit größeres Problem dargestellt haben.
Zephred
Danke für Deine Ausführungen. Ich glaube, ich verstehe Dich jetzt etwas besser. Jedenfalls verraten Deine Anmerkungen eine ungemein tiefe Kenntnis des Platon und seiner Werke. Wäre es vielleicht denkbar, dass Du ein Philosophieprofessor bist? (Du musst nicht darauf antworten, auch wenn es mich persönlich interessieren würde).
Was nun aber eine genauere Charakterisierung des Sokrates betrifft, so möchte ich mich selber da gerne etwas zurückhalten. Ich kann einfach nicht beim ersten Mal Lesen gleich so in die Tiefe gehen. Das ist für mich einfach nicht möglich. Wie ich schon sagte, außer dem berühmten Paradox des Sokrates und seinen damit verbundenen Argumentationen habe ich praktisch keinerlei bleibenden Eindruck aus der Apologie in Bezug auf den Charakter der Sokratischen Philosophie mitnehmen können. Mir selber genügt es beim ersten Mal Lesen einfach, mich auf den je wichtigsten Aspekt jedes Dialoges zu konzentrieren. So viel zu meiner Befindlichkeit. Eine entsprechende Diskussion würde ich zwar mit Aufmerksamkeit verfolgen, allein ich würde mich selber nicht daran beteiligen...
Ein Schüler des Sokrates im Phaidon
Im Phaideon soll ein Schüler des Sokrates zu Sokrates in die Sterbezelle gekommen sein und ihm (Sokrates) gesagt haben: Sokrates, ich weiß, dass ich nichts weiß... Darauf entgegnete Sokrates: Nichts weißt du!
Klar, Sokrates war der einzige Wissende seines Nichtwissens, und er konnte hier keine Nachahmer neben sich dulden...
Sokrates als Ahnherr des Skeptizismus
In der Tat kann Sokrates, vor allem auch in Bezug auf seinen Ausspruch: „Ich weiß (ich verstehe), dass ich nicht(s) weiß“, als Ahnherr des Skeptizismus gelten… Diese Auffassung wird auch von vielen Skeptizisten geteilt… Einige andere hingegen verwerfen diese Auffassung. Sie glauben, dass Sokrates diesen Ausspruch nie getätigt oder ihn tatsächlich ganz anders gemeint hat… Zum Teil verweisen sie dabei auf die lateinische Übersetzung, in der von Wissen nicht die Rede ist, sondern von Verstehen… Es handelt sich aber in Wahrheit nur um einen Übersetzungsfehler, wie sich anhand des griechischen Originals nachweisen lässt. Tatsächlich kann also Sokrates mit Fug und Recht als Ahnherr und Vater des Skeptizismus gesehen werden, denn Sokrates huldigt dem gleichen Erkenntnispessimismus. Der Skeptizismus wird dann im Anschluss an Sokrates auch den alten Sophismus komplett ablösen. Der Sophismus, der alles und jedes zu beweisen oder zu widerlegen versuchte, blieb Episode…
Literaturhinweise:
- Das große Werklexikon der Philosophie, herausgegeben von Franco Volpi - Stichwort Platon - Apologie
- Kindlers Neues Literaturlexikon, herausgegeben von Walter Jens - Stichwort Platon – Apologie
Platon: Kriton
Inhaltliche Gliederung:
A: Einleitung
1. Festgelegtheit des Todeszeitpunkts des Sokrates durch die Ankunft des Schiffs aus Delos Zunächst einmal ist festzuhalten, dass uns der ganze Kriton in Dialogform gegeben ist. Die alleinige Hauptfigur in nahezu allen Dialogen ist Sokrates, der Lehrer de Platon. Einige Stichpunkte zur Dialogform bei Platon hatte ich im Thread "Platon: Leben und Werke" bereits einiges zusammengetragen.
B: Kritons Argumente zur Flucht 2. Die Meinung der Menge als Fluchtgrund 3. Die Möglichkeit zur Flucht 4. Ethische Gründe zur Flucht C: Widerlegung des Argumente I. Prüfung der Frage am Logos 5. Nicht jede Meinung zählt 6. Es zählt nur die Meinung der Sachverständigen 7. Auch in der Frage der Gerechtigkeit zählt nur die Meinung der Sachverständigen II.