Unter Musketenfeuer. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
gerade in Stockholm eingerichtet, hatten die vom Vater ausgesuchte Unterkunft bezogen, begannen uns in der Schule zurechtzufinden, als nun das Jahr 1808 mit dem Zwischenfall an der Grenze zu Finnland begann. Ich hatte schon nach einem Weg gesucht, mich unseren Truppen anzuschließen, hatte einen Plan, zum finnischen Oulu überzusetzen und an den Schlachten teilzunehmen. Die Gefechte bei Pyhäjoki, Siikajoki, Revolax und Pulkkila, deren Namen erst Monate später im Lande bekanntwurden, wären meine Feuerprobe und vielleicht auch mein Tod geworden.
Und dann bedrohte Dänemark, von Seeland aus, schwedischen Boden. Hier ließ sich auch Elias mitreißen. Die königlich-schwedische Südarmee stand zwischen Malmö und Helsingborg und war bereit, unsere schonische Heimat zu verteidigen. Für uns waren es unruhige Wochen in Stockholm. Wir wollten uns einziehen lassen, fassten dann aber den Entschluss, selbst ins Aufmarschgebiet zu reisen und uns dort anzudienen. Erneut war der Gang der Ereignisse schneller als unser Handeln. Eine britische Flotte, unsere Verbündeten, verhinderte den dänischen Landgang, der über den Öresund angedacht war. Wochen später erklärten uns die Briefe des Vaters die Lage in der Heimat. Der dänische Krieg fand weit oben in Norwegen statt und brachte am Ende für keine Seite einen Sieg.
Anders sah es mit dem russischen Krieg aus. Unser König verlor Finnland. Und dazu kam, dass mein Studium in den Jahren von 1808 und 1809 gelitten hatte, und das, obwohl ich in keinen der Kriege gezogen war. Elias hatte in dieser Zeit mehr Disziplin bewiesen. Ich musste einiges aufholen, was mir auch gelang, blieb dennoch ein Jahr länger als der Bruder in unserer Hauptstadt. Und als ich das Ende meiner Ausbildung erreicht hatte, konnte ich das erlernte Wissen sogleich anwenden. Mein Vater ließ es zu, dass ich doch noch zu den Soldaten ging. Ich unterschrieb für sechs Monate beim Kanalbau, reiste von Stockholm nach Mem und ließ mir die Landvermesserausrüstung in die Hand drücken. Und während ich den Verlauf des wichtigen Göta-Kanals präzisierte, begannen hinter mir die Soldaten zu graben. Ich war wie ein Heerführer ihnen immer voraus.
Die Arbeit befriedigte mich erstaunlicherweise sehr und füllte den Rest des Jahres 1811 aus. Ich hatte bereits die Papiere zur Unterschrift vor mir, um für ein weiteres halbes Jahr zu verlängern, als ein Brief meines Vaters neue Pläne notwendig machte. So blieb ich nach dem Weihnachtsfest in Lomma, meinem Geburtsort. In der wirtschaftlich schwierigen Zeit nach den Kriegen, waren die großen Betriebe in Malmö eine schwere Konkurrenz für die Werft meines Vaters. Elias war kein Kaufmann, dafür aber der bessere Ingenieur. So kam mir die Aufgabe zu, für Verträge zu sorgen. Ich ging dabei auch den Weg über den Öresund nach Seeland, weil sich das Verhältnis zu Dänemark etwas stabilisiert hatte. Dennoch war Feindseligkeit zu spüren, wo immer ich den Mut hatte aufzutreten.
Mut kann aber etwas bewirken und so zog ich Aufträge in unsere Werft, die Elias nicht glücklich machten. Er musste all sein Talent aufbringen, um die Versprechen einzulösen, die ich den neuen Kunden gegeben hatte. Die Hanson-Werft musste drei Frachtsegler in vier Monaten bauen, einen davon als Zweimaster. Es wurde eng auf der Werft, wir warben Arbeiter aus Malmö an, bezahlten gut, um überhaupt Leute zu finden. Im Mai bekamen wir dann Besuch aus Göteborg, der uns die Aufträge für zwei weitere Frachtsegler daließ, die bis zum September fertig sein mussten. Wie mir unter vorgehaltener Hand mitgeteilt wurde, sollten diese Schiffe nach Sankt Petersburg fahren, um die Beute der Franzosen abzuholen.
Es war seit Anfang des Jahres 1812 kein Geheimnis mehr, dass l'Empereur sich auf das russische Reich stürzen wollte. Die Welt und einige Investoren erwarteten einen großen Sieg. Ich hatte mich monatelang nicht mit Politik beschäftigt, doch plötzlich war wieder dieses Feuer da. Und ich fühlte mich mehr der französischen Sache verbunden, seit unser Thronfolger ein Franzose war.
Kronprinz Karl Johann, bürgerlich geboren als Jean Baptiste Bernadotte, ein ehemaliger Maréchal d’Empire und mit Wohlwollen Napoléons, zum Nachfolger unseres Königs gewählt und seit Ende des Jahres 1810 adoptierter Sohn. Seither versuchte ich mein Französisch zu perfektionieren, hatte mich seinerzeit in Stockholm in den Clubs und Kreisen aufgehalten, in denen man die Muttersprache unseres künftigen Herrschers sprach. Und ich hatte ihn in Stockholm auch einmal leibhaftig gesehen, zwar nur aus der Ferne, aber das hatte gereicht, um in mir eine Verbindung aufzubauen.
Die hohe Politik geht allerdings Wege, die sich dem gemeinen Volk erst erschließt, nachdem das Weltgeschehen seine Richtung bereits geändert hat. Im Jahre 1812 war ich der festen Überzeugung, Schweden stehe kompromisslos an Frankreichs Seite. Ich wollte mich daher auch der Grande Armée anschließen, deren Truppen in unseren pommerschen Besitzungen standen und dort wohl auf den Marschbefehl in Richtung des russischen Reiches warteten. Ich wusste damals nicht, dass dies schon der Bruch zwischen Bernadotte und Napoléon war, denn unser Kronprinz vertrat selbstverständlich schwedische und damit eigene Interessen.
Das Feuer in mir nahm mir die Sicht auf diese Dinge. Ich hatte meine Pflicht gegenüber Vater und Bruder erfüllt und schiffte mich ohne großen Abschied zu Malmö ein. Und so ereignete es sich, dass ich mich schon einmal auf dem Weg nach Stralsund befand, um in einen Krieg zu ziehen, und das nur wenige Monate zuvor. Ich bin damals allerdings weder in Stralsund noch in einem Krieg angekommen, obwohl ich Überlebender eines Gefechts war.
Es wird ein britisches Kriegsschiff gewesen sein, das unter falscher Flagge in der baltischen See operierte. Ich hatte die Ereignisse an Bord meines Schiffes erst wahrgenommen, als eine Breitseite des Gegners unser Deck verwüstete. Es führte schnell zum Enterkampf, an dem ich mich beteiligen wollte. Doch ehe es dazu kam, noch bevor ich eine Waffe fand und zur Hand nahm, ereignete sich eine gewaltige Explosion. Meine Erinnerung daran kam erst wieder zurück, als ich im Wasser treibend im Nichts erwachte. Der Pulvergeruch war noch schwach in der Luft zu schmecken, ansonsten waren das Meer und der Horizont leer.
Es war von beiden Schiffen oder gar von anderen Überlebenden des Unglücks nichts zu sehen. Ich gelangte später zu der Überzeugung, dass mein Schiff selbst ein Pulverfass gewesen war, was der Gegner nicht wusste und was beiden Kontrahenten zum Verhängnis geworden war. Da waren mir die zweihundert Tonnen Mehl doch lieber, auf denen ich jetzt saß, obwohl ich mich erinnere, dass es einmal in der Nähe von Helsingborg eine Staubexplosion in einer Mühle gab.
Ich trieb damals also hilflos in der kalten See und nur durch großes Glück gab das Meer ein paar Trümmer zurück, die aus den Tiefen des Seemannsgrabs an die Oberfläche gelangten. Darunter war ein fast unversehrtes Beiboot, das zu meiner Rettung wurde. Unter großen Mühen richtete ich das Boot wieder auf, gelangte hinein und trieb auf die dänische Küste zu. Ich landete auf der Insel Møn und schaffte es von dort über Kopenhagen nach Malmö zurück. Zehn Tage nach meiner Abreise meldete ich mich wieder bei meinen Angehörigen. Zurecht verlangte mein Vater, dass ich aus diesem Vorfall lerne. Ich blieb seither in Lomma, arbeitete an der Seite meines Bruders und bekam aus sicherer Entfernung die politischen Veränderungen des Weltgeschehens mit.
*
Ich hatte mich inzwischen auf Deck im Schatten des Schanzkleides ausgestreckt. Mein Seesack diente mir als Kopfstütze. Die Bewegungen des Schiffes waren ruhig, die Mannschaft nicht mehr so beschäftigt, wie zu Beginn der Fahrt. Als ich gerade einmal wieder die Augen geschlossen hatte, spürte ich, wie sich jemand neben mich stellte und leicht gegen meine Stiefelsohlen trat. Ich blickte auf, sah die Gestalt eines Mannes mit Mütze und dunkler Weste, der mich kopfschüttelnd betrachtete.
»Hast mich vorhin nicht erkannt, was?«, sagte er vorwurfsvoll.
Ich richtete mich auf, als er in die Hocke ging. Ich schüttelte den Kopf. Er nahm die Mütze ab. Erst jetzt konnte ich sein Gesicht richtig sehen, ich versuchte mich zu erinnern. Er kam mir jedoch zuvor.
»Björn Holm, ich bin auf der Odette gefahren, war einer von Lars Söders Piraten.«
Und jetzt erkannte ich ihn. Björn Holms Familie stammte aus Lomma, sein Vater war einer unserer Zimmerleute. Den Sohn hatte es aber zur Handelsmarine gezogen. Mir war schon bekannt, dass er schließlich auf der Odette angeheuert hatte.
»Piraten?«, wiederholte ich leise.
Er grinste. »Du weißt doch, was wir gemacht haben.« Björn Holm sah sich kurz um. »Aber das das hier keiner mitbekommt.« Er zögerte kurz, sah sich noch einmal um. »Du hast ihm doch damals auch geholfen, dem Lars?«, sagte er.
Ich