Fälschung. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
»Ich glaube es ist ein Spiel. Ich spiele mit Claverie und er spielt mit mir, obwohl ich sagen muss, dass es mir manches Mal wehtut, wo es ihn einfach nur zu ärgern scheint, den Herrn Polizeiunteroffizier.«
»Ich hörte aber, Sie setzen sich für die Menschen hier ein, obwohl ich es damit wohl beschönige. Sie wiegeln die Leute gegen die Obrigkeit auf. Die Kinder sollen nicht mehr in die Missionsschulen gehen und Claverie wird von Ihnen lächerlich gemacht, ist seine Reaktion da nicht verständlich?«
»Verständlich, wer versteht mich denn, oder die Menschen hier. Wir befinden uns nicht mehr im Mittelalter. Es muss keine Rasse mehr unterjocht oder bevormundet werden. Wenn dies hier einmal Frankreich ist, dann sind es französische Bürger, die hier vor ein Gericht gezerrt werden, wegen moralischer Nichtigkeiten. Natürlich kämpfe ich dagegen, aber Claverie, mit dem ist es noch wieder anders, denke ich. Er hält mich eben für unbequem und obszön, wie wohl die meisten, der so genannten zivilisierten Leute hier.«
»Obszön«, wiederholte sie. »So, meinen Sie. Das war mir noch gar nicht zu Ohren gekommen.«
»Es ist aber so, zumindest sagen das die Leute, die mich zu kennen glauben. Darum freue ich mich zwar, dass Sie mich besuchen, Madame, ich möchte Sie aber auch warnen, Ihres Rufes wegen.«
»Das ist mir egal«, lachte sie. »Es wird mir nicht mehr lange nachhängen, wenn überhaupt.« Sie machte eine kurze Pause. »Wir werden in ein paar Wochen nach Tahiti zurückkehren«, sagte sie dann mit fröhlicher Stimme.
»Oh, das ist schade, Madame, auch Ihres Mannes wegen. Ich habe mich immer gut mit ihm vertragen, wie überhaupt mit allen Militärangehörigen hier auf der Insel, Sie waren immer mehr auf meiner Seite, sie sind mir näher als die Gendarmen, als die Pfaffen, als all diese moralischen Leute.«
»Warum bleiben Sie dann hier«, sie sah wieder auf seinen bandagierten Fuß. »Auf Tahiti würden Sie auch besser versorgt als in diesem tropischen Klima.«
Er zögerte, wollte etwas sagen, schwieg dann aber doch.
»Noch besser würde Ihnen aber Frankreich bekommen«, erwiderte sie in das Schweigen.
Sie sahen sich sekundenlang an, dann setzte er sich langsam auf seinen Hocker. »Es ist schon mein achtes Jahr in diesem Teil der Welt. Nicht, dass mir die Zeit schwer wiegt, aber ich hatte bereits den Gedanken fortzugehen, nach Frankreich, wie Sie es vorschlagen.«
Sie sah noch einmal hinunter auf seinen Fuß und dann wieder in sein Gesicht. »Es wäre wirklich besser für Sie, ich meine Frankreich oder aber ein europäisches Klima.«
»Man hat mich beschworen, es nicht zu tun«, sagte er nachdenklich. »Man gab mir zu verstehen, es sei gut, dass ich von der Welt verschwunden bin und dass ich dadurch die Unantastbarkeit der großen Toten besäße. Man hat mich beschworen und es hat mich ermutigt, auszuharren.«
Sie sah ihn noch eindringlicher an. »Wer hat Ihnen diesen falschen Rat gegeben?«
»Es war mehr als ein Rat«, antwortete er euphorisch. »Sehen Sie mich an, ich gelte in Frankreich bereits als Vergessener, als Mythos, können Sie sich das vorstellen, ich ein Mythos. Fragen Sie die Leute aus dem Dorf, sie wissen nicht einmal, was das ist, ein Mythos, sie kennen nur ihre Götter und ein Gott bin ich wahrlich nicht. Ich bekäme auch noch weit mehr Ärger mit den Pfaffen, wenn ich die Schäflein überzeugte, ich wäre einer.«
»Wenn es so ist, wenn es Ihre Entscheidung ist, dann will ich Ihnen nicht auch noch einen Rat geben, wenn ich es nicht schon getan habe.«
»Danke Madame, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen für Ihren Rat und Ihre Fürsorge, einem alten Wilden gegenüber.« Er zögerte. »Aber nun bin ich begierig zu erfahren, was Sie zu mir führt, was kann ich nun für Sie tun, Madame. Ich glaube nicht, dass Sie gekommen sind, um sich von mir zu verabschieden, auch wenn ich es sehr anständig von Ihnen fände.«
Sie nahm jetzt doch auf dem Hocker Platz, den er ihr angeboten hatte. »Ich habe meiner Cousine nach Paris geschrieben und nach Ihnen gefragt. In Paris kennt man Sie.«
Er blickte sie an, als wenn es ihm gleichgültig sei, sagte aber nichts darauf.
»Sie haben Eindruck hinterlassen«, berichtete sie weiter. »Aber davon konnten Sie dort wohl nicht leben. Ich hörte auch, dass Sie in Staatsdiensten hierhergekommen sind.«
Jetzt wurde er aufmerksam, er lächelte. »So, dann kennen Sie mich doch ganz gut. Das mit dem Staatsdienst war einer meiner Irrtümer und es ist schon so lange her. Außerdem war das auf meiner ersten Reise. Ich bin noch einmal wieder nach Paris zurückgekehrt, um endgültig einen Schlussstrich zu ziehen und auch weil ich von dem, was Ihre werte Cousine zu wissen glaubt, damals nicht viel gespürt habe. Es war eher ein Fiasko, das ich vergessen möchte, weil es einem Mann wie mir eigentlich nichts bedeuten sollte.« Er zögerte erneut. »Ich hoffe ich langweile Sie nicht mit meinen Lebensbeichten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie schnell. »Sie stammen doch auch aus Paris, das interessiert mich.«
»Da muss ich Sie enttäuschen Madame. Ich bin zwar in Paris geboren, aber ich bin kein Kind dieser Stadt. Meine ersten Windeln wurden zwar noch in Paris gewechselt, aber dann wurde ich mitgenommen, hinaus in die Welt, nach Südamerika, nach Peru.«
Sie sah ihn erstaunt an. »Dann waren Sie schon immer ein Reisender und es ist weniger die Pflicht, die Sie hierher geführt hat.«
»Nein, ich bin ganz sicher kein Reisender, nicht so wie Sie es meinen, eher ein Flüchtender. Paris und Europa haben mir schon vor langer Zeit ein Stechen verursacht und ich habe das Gefühl, es geht langsam wieder los. Ich bin deswegen sogar hierher geflüchtet, aber es ist wie ein böser Geist, wie ein Gespenst, es folgt mir, fürchte ich.«
Sie starrte ihn an, als wenn sie ihn nicht verstanden hätte. »Wir sollten lieber über den Grund meines Kommens sprechen«, sagte sie schließlich.
Erst jetzt sah er, dass sie etwas mitgebracht hatte. Ihre Tasche hatte er vorher schon gesehen, aber nicht was sich darin befand. Sie holte beides hervor und packte es nacheinander aus. Das eine lehnte sie an einen Pfosten der Veranda, das andere behielt sie in der Hand. Er blickte abwechselnd zu ihr und zu dem Verandapfosten, als sähe er die Bilder das erste Mal.
»Ich glaube, ich kann erraten, was Sie von mir wollen«, sagte er bedächtig. »Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, es schnell fertigzubekommen. Ich brauche meine Zeit, jetzt mehr als früher.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir sind bestimmt noch einen Monat hier und dann können Sie es uns auch nachschicken, wenn Sie noch länger brauchen.«
*
In den letzten drei Wochen hatte sie ihn mehrmals besucht, immer im Abstand von ein paar Tagen. Heute saß er konzentriert an einem krummen Holztisch auf seiner Veranda und schrieb etwas. Ein Stapel Papiere lag auf dem Tisch, beschwert mit einem Stein, gegen den leichten Wind, der vom Meer her kam. Das Blatt, auf dem er etwas notierte, war eng beschrieben und kräuselte sich bereits.
Sie stieg wieder hinauf auf die Veranda. »Was schreiben Sie da?«, fragte sie neugierig.
Er hatte ihr Kommen diesmal nicht bemerkt, hob überrascht den Kopf und sah sie an. »Sie haben mir neuen Schwung gegeben, Madame«, sagte er zögerlich. »Von dem Geld, das ich schon von Ihnen bekommen habe, konnte ich neues Papier kaufen. Es war mir vor einem Monat ausgegangen.« Er überlegte und hielt dabei den Stift in die Höhe. »Ich hätte auch Feder und Tinte kaufen können, aber Graphit ist billiger und ich kann es auch für Ihren Auftrag verwenden.«
»Sie schreiben Briefe, vielleicht an Ihre Frau und die Kinder«, sagte sie und trat näher an den Tisch heran.
»Nein, bestimmt nicht, keine Briefe, keine solchen Briefe mehr, schon lange nicht mehr und ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich es nicht tue. Was ich schreibe, wird alle Briefe ersetzen, denke ich. Aber vielleicht wird es auch niemanden interessieren und meine Kinder werden es verachten und nicht lesen. Ich glaube ich schreibe es für mich selbst.«
»Sie haben Kinder?«, fragte sie, dann stutzte sie. »Natürlich, das Mädchen, die