Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry KesslerЧитать онлайн книгу.
Wenn es nun doch bei der Anhäufung der Schätze fürs erste sein Bewenden haben muss, so gestehe ich, dass das Zepter des Reichtums in den Händen von Männern wie des alten Krupp, Pullmans oder Montefiores mir ungefährlicher scheint, als die Insignien politischer Macht bei legitimen und konstitutionellen Fürsten von der Art Louis Philippes oder Friedrich Wilhelms des Vierten.
Der erträglichste und deshalb erstrebenswerteste Zustand der Geldherrschaft scheint mir daher erreicht zu sein, wenn die Tüchtigsten, Fähigsten und Gewissenhaftesten auch die Reichsten sind. Ich möchte für diesen Zustand der Kürze halber das Wort Euplutismus gebrauchen. Nach Euplutismus strebt in dunklem und verworrenem Drang der Volkswille und die Gesetzgebung aller Länder. Warum sollte dies Streben nicht endlich einmal ehrlich ausgesprochen und mit geeigneten Mitteln verfolgt werden?
Nur annähernd wird der Zustand des Euplutismus erreichbar sein. Mit ähnlicher Annäherung vielleicht, wie es uns heute gelingt, die Weisesten zu Volksvertretern, die Tapfersten zu Heerführern, die Gerechtesten zu Richtern und die Edelsten zu Herrschern zu machen. Ist aber das Ziel an sich erstrebenswert, so ergeben sich die Wege von selbst.
Solcherlei Wege sind: Progressive Einkommensteuer, Hohe Abgaben auf Erbschaften, Mitgiften und Schenkungen, Besteuerung des nichtarbeitenden Vermögens, in erster Linie der fremden Anleihen, Verringerung der zufälligen Monopole durch Verstaatlichungsrechte auf Bergwerke, Verkehrsunternehmungen und städtischen Grund und Boden, Vernichtung der Monopole für Staatslieferungen, Staatliche Kontrolle der Konventionen, Syndikate und Trusts.“
In diesen Sätzen ist Rathenaus künftiges Programm schon enthalten. Aber hinter ihnen steht noch mehr: das deutliche Bild einer Welt, deren Daseinsfragen nicht mehr national, sondern international sind, der neuen Welt des zwanzigsten Jahrhunderts, die die des neunzehnten bereits verdrängt hat. Die systematische Einfühlung in die Wirklichkeit hat Rathenau, der Zeit seines Lebens in Neigungen und Idealen ein Stockpreuße geblieben ist, soweit er nicht ein alttestamentarischer Jude war, gegen sein Herz zu einem Vertreter des europäischen, ja kosmopolitischen Gedankens gemacht. Und von hier aus ist er dann zwangsläufig zu den Anschauungen fortgeschritten, die seine großen theoretischen Hauptwerke tragen, und von denen seine beiden welthistorischen Leistungen ausgingen: die Organisierung der deutschen Rohstoffversorgung zu Anfang des Krieges und, nach dem Zusammenbruch, die Grundlegung einer neuen deutschen Außenpolitik: der sogenannten „Erfüllungspolitik“, der Deutschland den Beginn seines Wiederaufstiegs, Europa den Anfang einer wirtschaftlichen Wiederherstellung und moralischen Befriedung verdankt.
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Gesellschaftliches Zwischenspiel
Gesellschaftliches Zwischenspiel
„1899, nach siebenjährigem Aufenthalt in der kleinen Fabrikstadt Bitterfeld“, sagt Rathenau, „fingen die Unternehmungen an zu prosperieren. Ich beschloss, mich von der Industrie zurückzuziehen, um literarisch zu arbeiten. Die A. E. G. schlug mir vor, in ihr Direktorium einzutreten und die Abteilung für den Bau von Zentralstationen zu übernehmen. Ich übernahm die Arbeit drei Jahre, baute viele Zentralen, u. a. in Manchester, Amsterdam, Buenos Aires und Baku. Die Leitung der elektrochemischen Werke behielt ich bei und wurde zugleich Delegierter eines großen ausländischen Elektrizitätstrusts ... 1902 verließ ich die A. E. G., um in der Finanz zu arbeiten. Ich trat in das Direktorium einer unserer Großbanken, der „Berliner Handelsgesellschaft“, ein und reorganisierte einen großen Teil ihrer Industrieunternehmungen. Ich bekam einen Einblick in die deutsche und ausländische Industrie und gehörte damals nahezu hundert Unternehmungen an.“
Mit seiner Rückkehr nach Berlin beginnt der gesellschaftliche Aufstieg Walther Rathenaus; und gleichlaufend ein weiteres Fortschreiten auf dem „Wege des Geistes“, jetzt als Weg der gesellschaftlichen Diplomatie und der Einfühlung in den „neudeutschen“ Geist in seinem Brennpunkt Berlin und seinen typischen Vertretern, den Berliner Bankiers, der Berliner Hofgesellschaft und dem Kaiser. Wer Walther Rathenau in diesen Jahren gekannt hat, wird sich eines schlanken, sehr großen jungen Mannes erinnern, der durch seine anormale Kopfform, die mehr negerhaft als europäisch aussah, auffiel: tiefliegende, kühle, rehbraune, langsame Augen, gemessene Bewegungen, eine tiefe Stimme, eine pastorale Sprechweise bildeten die etwas unerwartete, künstlich wirkende Fassung für eine blitzende Gedankenfülle. Man stieß auf ihn in der Hofgesellschaft, wo jeder jeden kannte, zunächst als Fremden; aber wenn man ihn einmal bemerkt hatte, vergaß man nicht sein Aussehen und auch nicht den eigenartigen Eindruck, der von ihm ausging: den einer massiven Kraft und zugleich irgendeiner Schwäche, vielleicht, man wusste nicht, einer überzarten Haut. Er war interessant und etwas geheimnisvoll. Man konnte bei seinem Anblick an Stendhals Julien Sorel mit seinem dunklen Rock und bohrenden Augen denken, oder auch, aber als Gegenbeispiel, an einen andern jungen Juden, der siebzig Jahre früher in einer andern „Gesellschaft“ mit einem ähnlich blitzenden Geist, aber in einer goldgestickten türkischen Weste und mit Ohrringen, seinen Aufstieg begann: Benjamin Disraeli. Bei Rathenau glitzerte nur der Geist, der Geist und die Überfülle von Bildern und Vergleichen, wenn er plauderte. Gebärden und Haltung, ebenso die gepflegte, aber immer unauffällige Kleidung deuteten auf die wohldurchdachte Absicht, der militärisch einfachen Linie der preußischen Hofgesellschaft eine eigene, noch schlichtere entgegenzustellen. Seines Judentums war er sich in jedem Augenblick bewusst. Doch verleugnete er es nicht, sondern trug es eher wie ein gewähltes Anderssein, eine Auszeichnung, die die Aufmerksamkeit auf ihn hinlenkte und ihm sonst verschlossene Türen öffnete. Die großen Damen und adligen Offiziere der Hofgesellschaft beobachtete er wie die Bewohner eines fremden Gestirns. Herbert von Hindenburgs Roman „Crinett“, der gerade erschienen war und diese Welt ohne Wohlwollen, aber von innen schilderte, liest er wie eine Reisebeschreibung. „Wichtiges Material zur Beurteilung der preußischen adligen Begriffe,“ notiert er in seinem Tagebuch.
Das Entzücken, das ihm die ersten Schritte in diese fremde, in seine Kindheit wie ein verschlossenes Märchenland noch ganz von fern hereinstrahlende Hofgesellschaft machten, und gleichzeitig sein so gern betontes Urberlinertum spiegelt mit einem Humor, der ihm bald abhandenkam, der folgende frühe Brief an eine Freundin:
„Heut bin ich nicht eilig. Ich habe die Nacht vor mir, meine Kaffeemaschine kocht, und ich komme eben von meiner alten Freundin, der Gräfin Kalckreuth, Babette Meyer.
Den ganzen Abend hat mir die Abeken von 1840 erzählt. Ihre Mutter ist die ‚schöne Müllerin‘, die Sie mir gesungen haben, eine geborene Staegemann, in deren Hause die Müllerlieder entstanden. Die Abeken (eine Schwester der Marie Olfers, die auch da war), ist vor Hässlichkeit schön. Sie trug ein hellgraues Samtjäckchen mit drei großen Perlenreihen, und alle ihre Zähne, die auch graue Perlen sind, hat sie in Gold gefasst. Aber sie erzählte, wie Tieck las, wie die Sonntag sang, und wie die Elsler tanzte. Die Elsler trug lange Kleider und tanzte das Ballett ‚Sylphide‘; darin starb sie mit den edelsten Bewegungen. Die Abeken versteht nicht, wie sie – die Elsler – es mit dem alten Gecken Friedrich von Gentz aushalten konnte, der ein Freund der Rahel war. Mit Varnhagen (sie spricht's mit F und n-n) war man bis 1848 befreundet; dann wurde er zu radikal.
Ich weiß, das ist Ihnen alles gleichgültig; aber mir ist's etwas ganz besonderes, dem Elektrikerjungen, noch einmal mit Händen den Zauberring der Romantik zu berühren.
Wer sonst noch da war? Das Ehepaar Voss, zwei Geschwister von Wildenbruch, zusammen acht Frauen und vier Männer. Zum Schluss hatte Exz. Wildenbruch eine Gnade für mich. ‚Sind Sie schon längere Zeit in Berlin?‘ – Seit knapp vier Generationen. – ‚Und was ist Ihr Beruf, wenn ich fragen darf? Auswärtiges Amt?‘ – Nein, ich bin Bankier. – ‚Auch ganz schön.‘
Der vierte Mann dagegen, ein Graf Baudissin, ist besser unterrichtet. Er hält mich für einen Kunstreferenten der ‚Zukunft‘.
Auch Bettina hat die Abeken noch gekannt. Am Rolandbrunnen stand eine riesenhohe Pappel, daneben, im Kempergarten, aß man Bierkaltschale, die damals ganz anders schmeckte, und Kirschkuchen. Tieck hatte die schönsten blauen Augen und las die Frauenrollen mit einer Art Fistelstimme. Seine Freundin, die Gräfin X, trug einen grünen Augenschirm. Die Sonntag, als Gräfin Rossi, wurde Gesandtenfrau. Sie sang aber in Gesellschaft die Iphigenie und hatte junge