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Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim. Jürgen RuszkowskiЧитать онлайн книгу.

Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim - Jürgen Ruszkowski


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Hemd, Hose, Schuhe und sogar mein Seefahrtbuch, das ich beim Landgang als Ausweis brauchte, alles weg. Ich stand nackt in der Unterhose vor der Passkontrolle und hatte ohne Seefahrtbuch größte Schwierigkeiten, wieder an Bord zu kommen. Wegen Beamtenbeleidigung wollte man mich einsperren, und der Alte musste mich mit einer Geldbuße auslösen. - Wenn wir nach Polen fuhren, haben wir vorher immer en gros Damenstrumpfhosen gekauft. Dafür bekam man in Polen alles.“

      „Das Verzeichnis der ICMA (International Christian Maritime Association) mit den Adressen der Seemannsheime in aller Welt ist für mich so wichtig wie für andere Leute die Bibel! In Lomé war ich im deutschen Seemannsheim. Das ist ganz herrlich, mit Swimmingpool unter Palmen, aber die Moskitos stachen wie die Weltmeister!“ Seit 1984 verkehrt Marc regelmäßig im Seemannsheim am Krayenkamp in Hamburg.

      Im August 1991 stieg er in Cuxhaven auf einem alten unter Antigua-Flagge fahrenden, wie er sagt, Schrott-Kümo namens „SUND“ ein, das nur noch 3.Wahl-Ladung fand. Als man den Hafen in Richtung Bilbao verließ, war die Lademarke schon zwei Handbreit unter Wasser. Die Besatzung ahnte nichts Gutes, weil der Alte immer einen seltsam abwesenden Eindruck machte. Als man in den Hafen von Bilbao einlief, wurde Marc durch lautes Rufen eines Kollegen aus dem Schlaf gerissen: „Quickly outside! The Captain kill us!“ Die heimischen Fischerboote gaben bereits Warnsignale. Einen Lotsen hatte der Kapitän abgelehnt. Das Schiff raste auf eine Steinschütte im Hafen zu, die der Alte offenbar übersehen hatte. Ein Besatzungsmitglied konnte das Ruder noch im letzten Moment herumreißen, bevor das Schiff gegen die Steinbarriere gerammt wäre. „Auf den Schreck mussten wir uns erst einen trinken! Später stellte sich heraus, dass der Alte in Mengen Beruhigungsmittel schluckte und diese mit Alkohol kombinierte. Als ich abgemustert hatte, musste ich mir selber die Heuerabrechnung schreiben und dem Eigner drohen: Erst wenn ich mein Geld habe, kriegt Ihr meine Zeugenaussage über die Vorfälle in Bilbao für das Seeamt!“

      Sein letztes Schiff war ein kleiner Tanker. Marc war als Ersatzmann für einen an Bord tödlich Verunglückten angemustert worden. Der hatte trotz strengen Verbots vorne am Kabelgat „einen Smok gemacht“ und war dabei in den Tanker-Abgasen verbrannt. „Als wir in der Elbe auf Grund liefen, habe ich das auf meine Kappe genommen, damit der Offizier keine Scherereien mit seinem Patent kriegen sollte. Als Dank hat man mir die Kündigung präsentiert, als ich wegen eines Hexenschusses vorübergehend von Bord musste.“

      „Ich wollte ja schon längst wieder einsteigen, aber der Wirt vom „Taifun“ hat mich kürzlich zusammengeschlagen: Zähne raus, blaues Auge! Ich hatte 2,6 %o und war somit nicht zurechnungsfähig. Es mag sein, dass ich Scheiße gebaut hab. Der hätte mich auch gerne vor die Tür setzen können. Ich hätte mich dann am nächsten Tag bei ihm entschuldigt, aber mich in dem Zustand dermaßen zusammenzuschlagen! Das lasse ich nicht mit mir machen. Er kann mir 2.000 Mark bieten, die werde ich ausschlagen. Der soll mir das büßen! Ich habe Anzeige erstattet und mir einen Rechtsanwalt genommen.“

      Kürzlich hatte Marc Gelegenheit, auf einer privaten Segelyacht anzuheuern, die von Hamburg für kurzzeitige Vercharterungen in die Karibik segeln sollte. „Dort verdiene ich zwar nicht so viel und muss mit drei anderen eine Kammer teilen, aber so einen Abenteuerjob habe ich immer schon gesucht. Da fühle ich mich auf Störtebeckers Spuren.“ Als sich aber herausstellte, dass für Wochen mit einer Heuerzahlung nicht zu rechnen war, gab er diesen abenteuerlichen Job schnell wieder auf.

      Er versuchte sich noch als Straßenkehrer bei der Stadtreinigung auf dem Altonaer Fischmarkt und als Versicherungsvertreter. Dann verloren wir ihn aus den Augen.

      Das Nordlicht im Maschinenraum

      Herbert Heins (†) wurde 1933 in Apensen im Kreis Stade geboren. Sein Vater war dort Bahnagent, dass heißt, er betreute einen Einmannbahnhof an einer Kleinbahnstrecke, auf der täglich vier bis fünf Züge verkehrten. Nebenher führte er eine Kunstdüngerhandlung mit einer Fahrzeugwaage. In diesem Dorf verbrachte Herbert die frühe Kindheit und die ersten beiden Schuljahre. Dann zog die Familie nach Hollenstedt im Kreis Harburg um. Nach Abschluss der achtjährigen Volksschule durchlief er von 1948 bis 1951 eine dreijährige Lehre als Maschinenschlosser in einem Betrieb, der Landmaschinen, Traktoren und auch Sägewerk-Dampfmaschinen reparierte. Danach arbeitete er gut drei Jahre lang von 1951 bis 1954 in einem Reparaturbetrieb der Britischen Rheinarmee in Finkenwerder, wo Lastkraftwagen, Panzer und Kanonen grundüberholt wurden. Finkenwerder liegt bekanntlich am Elbstrom, und er konnte die vorbeifahrenden Schiffe beobachten. Einige seiner Kollegen waren früher einmal zur See gefahren und berichteten ihm, welche Fahrgebiete die Schornsteinfarben dieser Schiffe verrieten. So reifte in ihm der Wunsch, selber einmal zur See fahren zu wollen. Seine Erfahrungen mit Dampfmaschinen während seiner Lehrzeit trugen erheblich dazu bei, dass ihm von der Ingenieurschule sofort ein Assischein ausgestellt wurde. Um zur Schule gehen zu können, musste er zwölf Monate Fahrzeit auf einem Motorschiff und 12 Monate auf einem Dampfer als Maschinenassistent nachweisen. „Ich habe dann die Reedereien abgeklappert, aber es war sehr schwierig, bei namhaften Reedereien als unbefahrener Assi einen Job zu bekommen. Über das Arbeitsamt in der Admiralitätsstraße gelang es mir dann, eine Stelle auf einem Schiff der Reederei Becker, Thode & Ahrens zu finden.“ Im August 1954 ging er an Bord seines ersten Schiffes: Die „HARALD BECKER“ hatte 1.200 BRT und war als Dreiwachenschiff mit 16 Mann besetzt. Es verkehrte zwischen Skandinavien und der iberischen Halbinsel. Von Schweden brachte man Getreide nach Spanien („irgendein dubioses Dreiecksgeschäft“) und von dort Eisenerz nach Wismar. „In der Maschine waren wir sechs Mann. Obwohl ich doch über einige Jahre Berufserfahrung verfügte, wurde ich als Maschinenassistent wie der jüngste Lehrling behandelt. Man kam sich ganz schön unterdrückt vor. Nach drei Monaten hatte ich die Nase voll und haute ab. Am liebsten hätte ich die Seefahrt wieder an den Nagel gehängt, entschloss mich dann aber, es noch einmal mit einem neuen Dampfer zu probieren. Das Arbeitsamt vermittelte mir das Zweischraubentankschiff „MARIA WEITERT“, ebenfalls ein Dreiwachenschiff mit 16 Mann Besatzung. Wir transportierten Chemikalien und andere Flüssigprodukte zwischen Europa und dem Golf von Mexiko.“ Auf seinem zweiten Schiff gefiel es ihm bedeutend besser. Der Umgangston unter den Kollegen in der Maschine war wesentlich angenehmer: Er fühlte sich als gleichberechtigter Mitarbeiter und blieb neun Monate an Bord. „Die ganz große Meinung zur Seefahrt hatte ich aber noch nicht. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal 38 Jahre lang zur See fahren würde.“ Dennoch ging er ein drittes Mal zum Arbeitsamt, um sich ein Schiff vermitteln zu lassen. Zum Besuch der Ingenieurschule musste er 12 Monate Fahrzeit auf einem Motorschiff nachweisen. Die hatte er hinter sich. Weitere 12 Monate waren auf einem dampfgetriebenen Schiff zu absolvieren. Man bot ihm einen Jahresvertrag auf einem Dampfturbinentankschiff an, das noch in Japan als Neubau in der Werft lag. „Als ich Japan hörte, war ich Feuer und Flamme. Das unter Liberiaflagge fahrende Schiff, die „WORLD JUSTICE“ gehörte dem griechischen Reeder Niarchos und hatte ausschließlich deutsche Besatzung. Wir bekamen deutsche Heuer plus 25 %. Mit dem Schiff fuhren wir von Japan aus über Indien in den Persischen Golf und dann mit einer Ladung Erdöl nach Rotterdam. Zunächst kam ein Garantieingenieur der japanischen Werft mit, bis die Kinderkrankheiten auf dem Neubau ausgemerzt waren.“

      Nachdem das zweite Assijahr ausgefahren war, meldete Herbert sich zum Besuch der Ingenieurschule in Hamburg am Berliner Tor an und bestand nach zwei Semestern die Prüfung für das C4-Patent. Damals durfte man damit Maschinen bis zu 3.000 PS als Leitender Maschinist fahren.

      „In den 1950er und 60er Jahren wurde unter den Seeleuten noch viel getrunken. Wir waren jung und Hans Dampf in allen Gassen und haben manche Nacht durchgezecht. Da musste ich dann aufpassen, dass ich morgens in der Schule nicht einpennte.“

      Nach dem Schulbesuch schloss Herbert 1957 noch einmal einen Jahresvertrag für den Reeder Niarchos ab und musterte auf dem Schwesterschiff „WORLD JURY“ als 3. Maschinist an. Auch mit diesem Schiff wurde Erdöl aus dem Persischen Golf nach Rotterdam, Le Havre oder Port de Bouc bei Marseille gebracht. Eine Reise von Rotterdam in den Golf und zurück dauerte vier Wochen. Nach dem


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