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Die Letzten - Rainer Maria Rilke


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      LUNATA

Die Letzten

      Die Letzten

      © 1901 by Rainer Maria Rilke

      © Lunata Berlin 2020

      Inhalt

       Im Gespräch

       Der Liebende

       Die Letzten

      DEM PRINZEN UND DER PRINZESSIN

      VON SCHÖNAICH-CAROLATH

      ZU HASELDORF

      Im Gespräch

      Man kann gut denken, dass Bilder im Saale sind: tiefe, träumerische in ruhigen Rahmen. Ein Giorgione vielleicht oder so ein purpurdunkles Porträt von einem nach Tizian, etwa dem Paris Bordone. Dann weiß man, dass Blumen da sind. Große erstaunte Blumen, die den ganzen Tag in tiefen, kühlen Bronzeschalen liegen und Düfte singen: müßige Blumen.

      Und müßige Menschen. Zwei, drei oder fünf. Immer wieder streckt sich das Licht aus dem Riesenkamin und beginnt sie zu zählen. Aber es irrt sich immer wieder.

      Ganz vorn an der Feuerstelle lehnt die Prinzessin in Weiß; neben dem großen Samowar, der allen Glanz fangen möchte. Sie ist wie eine wilde Farbenskizze, so hingestrichen im Sturm eines Einfalls oder einer Laune. Mit Schatten und Licht gemalt aus irgendeiner genialen Ungeduld heraus. Nur die Lippen sind feiner ausgeführt. Als ob alles andere nur um dieses Mundes willen da wäre. Als ob man ein Buch gemacht hätte, um auf eine von hundert Seiten die stille Elegie dieses Lächelns zu schreiben.

      Der Herr aus Wien neben ihr neigt sich ein wenig vor in dem breiten Gobelinstuhl: »Durchlaucht« – sagt er und irgendetwas hinterdrein, was ihm selber wertlos scheint. Aber die weichen Worte, die nichts bedeuten, gehen über alle hin, wie eine Wärme, und Jemand sagt dankbar: »Deutsch sprechen ist fast wie Schweigen.«

      Und dann hat man wieder eine Weile Zeit zu denken, dass Bilder da sind, und welche. Bis Graf Saint-Quentin, der am Kamin steht, fragt: »Haben Sie die Madonna gesehen, Helena Pawlowna?«

      Die Prinzessin senkt die Stirne.

      »Sie werden sie nicht kaufen?«

      »Es ist ein gutes Bild« – sagt der Herr aus Wien und vertieft sich in seine feinen, frauenhaften Hände.

      Und ein deutscher Maler, der irgendwo im Dunkel sitzt, fügt hastig an:

      »Ja, man könnte es um sich haben. Ich meine in der Wohnstube oder so.« Und nachdem seine Worte ganz verklungen sind, neigt sich Helena Pawlowna vor: »Nein« – sagt sie und dann traurig: »Man müsste ihm einen Altar bauen.«

      Ihre Worte tasten tief in den Saal hinein, wie Suchende. Pause. Da macht die Prinzessin eine kleine bange Bewegung und will ihnen finden helfen.

      »Kasimir, soll ich die Madonna kaufen?«

      Weither kommt eine volle slawische Stimme, um sich zu wundern.

      »Sie fragen mich?«

      Pause.

      Und Helena Pawlowna bittet um Verzeihung: »Sind Sie nicht Künstler?«

      Antwort: »Manchmal, Helena Pawlowna, manchmal –«

      Wenn die silberne Uhr jetzt nicht geschlagen hätte, würde der deutsche Maler geantwortet haben: »Aber« – doch die silberne Uhr rief auf einmal eine ganze Menge, und da gab er es auf. Besonders, da Graf Saint-Quentin sagte: »Übrigens sind Sie den ersten Winter in Venedig, Helena Pawlowna?«

      »Ja. Aber ich kann mir nicht denken, dass es jemals anders war.«

      »Es ist seltsam. Diese alten Paläste sind so rührend in ihrem Anvertrauen. Sie haben viele Erinnerungen. Und da ist Einem manchmal, als ob man alle mit ihnen teilte. Nicht?« So sagt der Herr aus Wien und schließt die Augen dabei.

      Er sieht also nicht, dass Helena Pawlowna lächelt, während sie ergänzt: »Sie haben Recht. Eines besonders: dass man nicht hier Kind war, kann man gar nicht begreifen. Denken Sie: oft auf der Gasse oder in Gärten geschah mir, ich müsste jemandem winken und ihm erzählen: Hier hab' ich immer gespielt als Kind. Oder: hier in diese Kirche bin ich beten gegangen, zu diesem Bild – lauter, lauter Lügen.«

      Da kommt die Stimme Kasimirs traurig näher:

      »Und doch haben Sie nie jemanden gerufen, Helena?«

      »Oh, wer hätte mir denn geglaubt, Kasimir.«

      Pause.

      Und leise überlegt Graf Saint-Quentin: »Darf man nicht lügen in solchen Fällen?«

      »Aus Sehnsucht einfach –« bestärkt der Herr aus Wien.

      »Aus Schönheit –« fühlt Graf Saint-Quentin.

      »Es schadet ja Keinem,« meint der deutsche Maler und steht plötzlich auf.

      Da beginnt Kasimir: »Es ist ja ohnehin falsch, was man so hinter sich hat. Glauben Sie, Graf, Sie sind in der Vendée Knabe gewesen und wild und ungestüm? Meinen Sie, Herr, das war Wien, was um Ihr erstes Erwachen herum war? Und Sie, Herr, dass dieses flache Land, von dem Sie oft erzählen, wirklich Hintergrund aller Märchen war, wissen Sie das? Dieses Schloss, bitte, und diese Stadt und Ihre Haide da, waren das nicht vielmehr die Grenzen jenes Landes, in welchem Sie tief und innig lebten? Bitte, hörte Ihr Besitz nicht dort auf, wo das Andere begann? Ging Ihre Sonne nicht unter immer, wenn Sie das wirkliche Licht empfanden? Starben die stillen Gestalten in Ihnen nicht an jedem Wort, das Ihr Vater zum Beispiel zu Ihnen sagte? Und Dinge. Wurden die Dinge nicht wertlos im Augenblick, da Sie erkannten, dass sie nicht Ihnen allein gehörten, sondern so herumstehen, dass ein Jeder sie anfassen und benutzen kann nach Laune? Überlegen Sie das, bitte. Ob man nicht alles echte Gold, welches man hat, langsam in Scheine umwechselt. Wie? Und endlich hat man lauter Anweisungen statt der Werte. Und wenn heute oder morgen der große Krach kommt, dann ist man Bettler – ist das nicht so?«

      Pause.

      Und dann Helena Pawlowna: »Mir ist, als ob Sie nicht alles Gold umgewechselt hätten, Kasimir.«

      »Vielleicht, Helena Pawlowna, es kann sein, dass ich das getan habe. Aber dieses Gold gilt nicht im Leben, müssen Sie wissen. Es ist außer Kurs. Man muss Scheine haben und recht viele« –

      Das macht den deutschen Maler ungeduldig: »Ja, ja –« sagt er, »da hört man’s ja wieder. Ihr seid Pessimisten, Ihr Slawen, unheilbare Pessimisten. Wir haben das überwunden: wir lieben das Leben, und unsere Kunst kommt mitten heraus.«

      Er macht ein paar Schritte zum Fenster hin und fügt von dort etwas leiser hinzu: »Ich glaube doch, die Herren müssen mir recht geben. Sie, Herr Graf; denn die Franzosen haben uns ja gerade manches gelehrt, was das Leben betrifft. Wie? Na und Ihr in Wien ...«

      »Ja, ja,« antwortet der Herr mit den feinen Händen langsam, »es ist wahr, wir in Wien, wir tun gerne so, als ob wir alles hätten – Leben – und Kunst und –«

      Und Graf Saint-Quentin nippt von seinem Tee und ist so mit der feinen Tasse beschäftigt, dass er nicht zum Antworten kommt. Wie er sie hinstellt, singt sie eine Weile vor sich hin.

      Aber der deutsche Maler ärgert sich. Er fühlt sich so im Stiche gelassen und hat die Idee, seine Sache retten zu müssen um jeden Preis. Er beginnt also:

      »Darum habt Ihr ja auch eigentlich keine Kunst, Ihr Polen und so weiter. Na, was Literatur betrifft und so Zeug, kann sein. Man soll aus Weltschmerz ja schöne Gedichte machen können und dann sentimentale Musik, hm, Chopin, Tschaikowski, freilich. Aber davon versteh' ich nichts. Was Malerei anlangt, ich meine, moderne –«

      »Oh, sehen Sie den Wereschtschagin –«

      Der Maler wehrt ab.

      »Oder


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