Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Rita anonym um 1900Читать онлайн книгу.
Ich glaube das letztere. Denn wie eine Dame schaut sie wirklich nicht aus. Natürlich, sie wird ja auch schließlich erst 14 Jahre. Gestern Nachmittag waren eine Menge Mädeln eingeladen, natürlich für mich die Hella und wir haben uns großartig unterhalten. Aber die meisten haben grässlich aufgeschnitten vom Land, wo sie überall angeblich waren. Wir waren 9 Mädeln, aber die liebste ist mir die Hella.
21. September: Morgen fängt die Schule an. Das heißt, wir haben verabredet, dass wir immer Liz sagen und nie Schule. Ich bin schon furchtbar neugierig.
22. September 19..: Heute hat die Schule angefangen. Die Hella hat mich abgeholt und wir sind miteinander gegangen. Die Inspee hat bei der Mama geklatscht, dass wir ihr davongelaufen sind. Wir brauchen doch keine Gouvernante. Wir sind 34 in der Klasse. Als Klassenvorstand haben wir eine Frau Doktor, dann 2 Fräulein, 1 Professor und ich glaube noch ein Fräulein im Zeichnen. Die Frau Doktor hat Deutsch und Schönschreiben. Sie hat uns nebeneinander gesetzt in die 3. Bank. Dann hat sie eine Anrede gehalten, dann sind die Bücher diktiert worden, aber wir sollen noch warten mit dem kaufen bis Montag. Wir haben 2 mal Pause, eine lange und 2 kurze. Die lange gehört zum Spielen, die kurzen zum Hinausgehen. Ich war nie draußen in der Volksschule und jetzt gehe ich schon gar nicht. Die Mama sagt auch immer, das ist nur eine schlechte Gewohnheit. Die meisten Kinder waren draußen, sogar unter der Stunde. Heute haben wir keinen eigentlichen Unterricht gehabt. Morgen beginnt er, aber wir wissen nicht was. Dann gingen wir nachhause.
23. September: Heute haben wir das Fräulein von Geographie und Geschichte gehabt, das ist keine Doktorin. Die Inspee sagt, sie haben sie voriges Jahr gehabt, aber sie haben sie nicht leiden können, sie ist gar nicht schön. Der Papa hat geschimpft und hat zur Inspee gesagt: Du dummes Ding, setz ihr nur so dummes Zeug in den Kopf. Da zeig deine Autorität als Große. Bei jeder Lehrerin und jedem Lehrer kann man etwas lernen, wenn man nur will. Aber uns gefällt das Frl. Vischer wirklich nicht und Geographie und Geschichte ist so nicht meine Leibspeise. Übrigens lerne ich ja nicht für sie, sondern für mich. Die Frau Dr. Mallburg ist furchtbar lieb und schön. Wir werden immer nur Frau Dr. M. schreiben von ihr. Wenn sie lacht hat sie zwei Grüberln und eine Goldplombe. Sie ist neu an der Anstalt. Ich weiß nicht ob wir auch Gesang haben. In Französisch haben wir die Madame Arnau, die ist sehr schön gekleidet, ein schwarzes Spitzenkleid. Die Hella hat ein wunderbares Etui für die Bleistifte und Federn; ganz weich, so müssen wir es haben, damit es keinen Lärm macht, wenn es in der Stunde hinunterfällt. Ich glaube es kostet 7 K oder 1 K 70, das weiß ich nicht genau. Heute hatten wir gleich bis 12 Uhr Schule, zuerst Deutsch, dann Rechnen, dann Religion für die Katholischen und dann gingen wir fort. Die Hella hat auf mich gewartet, der Herr Pastor war nämlich nicht da.
24. September: Wir haben geglaubt, die Buchhandlungen sind heute ausnahmsweise offen, aber wir haben uns geirrt. Die Mama von der Hella hat gesagt, natürlich das kommt davon, wenn die Küken klüger sein wollen, als die Hennen. Nachmittag war die Hella bei mir und die Inspee war bei F. eingeladen. Dort gehe ich nicht mit, weil es mir zu fad ist, den ganzen Tag wird Klavier gespielt. Ich habe schon von den Klavierstunden genug. Sie fangen erst an, wenn der Stundenplan fix ist. Vielleicht am 1. Oktober, dann muss ich an die Frau B. schreiben, eigenhändig, hat sie gesagt. Das verlangt sie von allen ihren Schülerinnen. Die Lehrerin von der Hella wär mir lieber. Aber sie hat keine Zeit und ist auch teurer, glaub ich. Aber wenigstens könnte sie mir nicht immer das Fräulein Dora als Muster vorhalten. Es ist eben nicht jeder so musikalisch wie das Frl. Dora. Abends hat die Inspee bis um 10 oder um 12 Uhr in einem dicken Buch gelesen, und dabei geheult. Das hat sie geleugnet, aber ich hab's gehört und sie hat auch gar nicht reden können. Sie sagt, sie hat Schnupfen, die Lügnerin.
25. September: Heute haben wir einen provisorischen Stundenplan bekommen, aber er bleibt nicht, bis die Professoren von Gymnasium genau wissen, wann sie kommen können. Unsere Frau Doktor könnte auch in einem Gymnasium sein, aber weil nur eines ist, so ist sie bei uns. Wir haben für morgen eine mündliche Redeübung: Unsere Ferien. Höchstens 8 oder 10 Sätze, zu Hause können wir es niederschreiben, aber in der Schule dürfen wir nicht hineinschauen. Ich habe es schon gemacht. Aber vom Robert habe ich nichts geschrieben. Der verdient nicht einmal, dass ich an ihn denke. Ich habe auch der Hella gar nicht alles gesagt.
25. September: Ich war dran bei der Redeübung, und die Frau Doktor hat gesagt, sehr gut, wie heißt du? Grete Lainer hab ich gesagt und sie hat gesagt: Und das ist deine gute Freundin neben dir? Jetzt soll sie uns sagen, wie sie ihre Ferien verlebt hat. Die Hella hat es auch sehr gut gekonnt, und die Frau Doktor sagte auch, sehr gut. Dann hat es geläutet. In der großen Pause hat die Frau Doktor mit uns gespielt: Reih um. Das war sehr lustig. Ich kam 6mal dran. In den kleinen Pausen waren wir ganz allein, weil die Lehrkräfte alle so viel zu tun haben wegen dem Stundenplan. Eine Repetentin aus dem Lyzeum F. ist bei uns. Sie sitzt in der letzten Bank, denn sie ist sehr groß. So groß wie die Frau Doktor.
26. September: Heute haben wir zum ersten Mal den Professor Riegl gehabt in Naturgeschichte. Er trägt einen Zwicker und schaut einen nie an. Und im Französisch hat die Madame A. gesagt, dass ich die beste Aussprache habe. Wir haben sehr viel auf, und ich weiß nicht, ob ich alle Tage zum Schreiben komme. Die Kinder sagen der Professor Igel statt Riegel und die Weinmann hat gesagt Nikel.
30. September: Ich habe gar keine Zeit zum Schreiben gehabt. Die Hella schreibt schon seit dem 24. nicht. Heute muss ich aber schreiben, denn ich bin dem Robert begegnet in der Schottengasse. Guten Tag mein Fräulein, nur nicht so stolz, hat er im Vorbeigehen gesagt. Und wie ich mich umgedreht habe, war er schon vorbei, sonst hätt ich ihm was ordentliches gesagt. Ich muss zum Nachtmahl.
1. Oktober: Ich kann nicht schreiben, der Oswald ist aus S. gekommen, er hat sich den Fuß verstaucht, aber ich weiß nicht, er kann dabei herumgehen. Er ist furchtbar blass und redet kein Wort vor Schmerzen.
4. Oktober: Heute haben wir frei, weil der Geburtstag des Kaisers ist.
Gestern hat mir die Resi etwas Grässliches erzählt. Der Oswald darf nicht mehr nach S. zurück. Er hat etwas angestellt, was, weiß die Resi nicht, sie sagt etwas sehr Unanständiges, ich möchte wissen, was, vielleicht etwas am Klosett. Er bleibt immer so lange draußen, das habe ich schon am Lande bemerkt. Oder am Ende war etwas in seinem Vereine. Die Inspee tut, als ob sie es wüsste, aber es ist natürlich nicht wahr, sie weiß gar nichts. Der Papa ist wütend und die Mama hat ganz verweinte Augen. Zu Mittag redet kein Mensch ein Wort. Wenn ich nur wüsste, was er getan hat. Der Papa hat gestern furchtbar geschrien mit ihm und da haben wir, die Dora und ich gehört, wie er gesagt hat: So ein Lausbub hat es notwendig, (jetzt haben wir etwas nicht verstanden) und dann hat er gesagt, du schau in deine Schulbücheln und nicht auf die Mädeln und die verheirateten Frauen, du Lausbub du. Und die Dora sagt: Ah jetzt versteh ich und ich sag: Ich bitt dich, sag mir was denn, es ist doch mein Bruder so gut wie deiner. Aber sie sagt: „Das verstehst du nicht, das passt nicht für so junge Ohren.“ Das ist eine Gemeinheit, für ihre Ohren aber passt es und sie ist doch nur um nicht einmal ganz drei Jahre älter als ich. Aber weil sie das blaue Kleid halblang bekommen hat, bildet sie sich so viel ein und glaubt, sie ist eine Dame. So schauen sie aus, die Damen und dann nascht sie Kompott, dass sie den Mund ganz voll hat und gar nicht reden kann. Wenn ich so etwas merke, rede ich immer auf sie, dass sie antworten muss. Das ärgert sie furchtbar.
9. Oktober: Jetzt weiß ich alles!!! Also daher kommen die kleinen Kinder. Und das hat am Ende der Robert damals gemeint. Nein, das tue ich nie, ich heirate einfach nicht. Denn dann muss man es tun; es tut furchtbar weh und doch muss man. Wie gut, dass ich es schon weiß. Aber ich möcht nur wissen, wie, die Hella sagt, das weiß sie auch nicht genau. Aber vielleicht sagt es ihr ihre Cousine, die weiß nämlich wirklich alles. Und neun Monate dauert es, bis man das Kind kriegt und dabei sterben sehr viele Frauen. O, das ist grässlich. Die Hella weiß es schon lang, aber sie hat sich nicht getraut, mir was zu sagen. Ihr hat‘s heuer am Lande ein Mädel gesagt. Und sie hat es der Lizzi, ihrer Schwester sagen wollen, eigentlich sie hat sie nur fragen wollen, ob das alles wahr ist und die Lizzi rennt zu ihrer Mama und sagt ihr, was die Hella gesagt hat. Und ihre Mama sagt: „Das ist schrecklich mit den Kinder, so eine verdorbene Generation, dass du dich nicht unterstehst, einem anderen Kind das zu sagen, vielleicht zu der Grete Lainer“ und gibt ihr ein paar Ohrfeigen.