Das Lexikon der uncoolen Dinge. Harry LuckЧитать онлайн книгу.
Hemd mit kurzen Ärmeln. „Kurze Ärmel sind für Spießer“, warnt daher auch der renommierte Etikette-Spezialist Uwe Fenner und behauptet, ein Gentleman wisse gar nicht, dass Kurzarmhemden existieren. Die Etikette-Trainer Imme Vogelsang stellt sogar fest: „Kurzarm-Träger – das ist so wie Warmduscher.“ (Zum Thema Warmduschen später mehr!) Doch eine schlüssige Erklärung bleiben die selbst ernannten Mode-Experten schuldig, wenn sie das Kurzarmhemd allenfalls bei Staubsaugervertretern, Schutzpolizisten oder Piloten südamerikanischer Airlines erlauben, allen anderen aber ein schickes Marken-Oberhemd ans Herz legen. Und warum bitte soll ein Polohemd erlaubt und ein Kurzarmhemd verboten sein – zumal Letzteres einen unschlagbaren Vorteil gegenüber den meisten anderen Kleidungsstücken hat? Kugelschreiber, Zigaretten, Sonnenbrille, Handy – all das passt bequem in die Brusttasche des – kurzärmeligen – Oberhemds. Männer brauchen keine Handtasche, weil sie ein Oberhemd tragen.
Die Etikette-Trainerin Nandine Meyden urteilt hart: Kurzärmelige Hemden sähen „immer nach Internat und kleinen Jungen aus. Das passt nicht zu erwachsenen Männern“. Sie empfiehlt als Alternative, die langen Ärmel einfach hochzukrempeln, so wie Jürgen Klinsmann bei der WM 2006. – Jogi Löw hat es ihm nachgemacht. – Das sähe „wenigstens cool“ aus. Welch ein Unsinn! Polohemd und Krempelarm zeigen dieselbe nackte Haut des Unterarms wie ein schönes Kurzarmhemd – es muss ja nicht gleich kariert sein –, die erotisierende Wirkung dürfte also die gleiche bleiben. Darum, liebe Modepäpste: Warum soll bei Busfahrern erlaubt sein, was beim Ottonormalspießer uncool ist? Gebt das Hemd frei – mit kultigem Kurzarm.
Die Münchner Imageberaterin Sabine Schwind von Egelstein sagt: „Das Kurzarmhemd wird dann salonfähig, wenn jemand das Kurzarm-Sakko erfunden hat.“ Ich sage: eine geniale Idee!Regenschirm
In meiner Geburtsstadt im Bergischen Land gibt es das geflügelte Wort: „Wer in Remscheid auf sich hält, kommt mit dem Regenschirm zur Welt.“ Diese bergische Volksweisheit wird wissenschaftlich untermauert durch eine Erhebung des meteorologischen Fachmagazins Men’s Health. Demnach fallen in meiner Heimat jährlich rund tausend Liter Regen pro Quadratmeter, das bergische Regendreieck Wuppertal, Remscheid, Solingen, wo man eher verrostet als einen Sonnenbrand bekommt, liegt damit an der bundesweiten Spitze. Als ich meine Heimat aus Sehnsucht nach der weiten, sonnigen Welt verließ und nach München zog, wohnte ich in der Stadt auf dem vierten Rang der Regenliste (973 Liter). Und als ich mit meiner ersten Fernreise zum ersten Mal den europäischen Kontinent verließ, landete ich zum Ende der Regenzeit in Thailand, wo bis zu dreitausend Liter Niederschlag im Jahr gezählt werden. Kurzum: Die ersten Jahrzehnte meines Lebens war es für mich unvorstellbar, dass es Menschen gibt, die es spießig finden, immer einen Regenschirm dabei zu haben. Und Wetter-Apps gab es noch nicht.
Dabei ist ein tragbares Schutzdach neben der Stehlampe und dem Vakuum-Sauger für Bartstoppel am Rasierapparat eine der genialsten Erfindungen der Menschheit, die bereits im Jahr 802 ihre erste urkundliche Erwähnung findet, als Abt Alcuin von Tours dem Salzburger Bischof Arno ein „Schutzdach“ sandte, „damit es von deinem verehrungswürdigen Haupte den Regen abhalte“.
Ein verehrungswürdiger Haupt ist auch der gelernte Bergassessor Hans Haupt, der aufgrund einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg nicht in der Lage war, Regenschirm und Spazierstock gleichzeitig zu tragen. Er griff auf nicht ganz ausgereifte Erfindungen aus dem 17. Jahrhundert zurück und entwickelte 1928 den ersten teleskopierbaren Regenschirm, der im zusammengefalteten Zustand in jede Tasche passte. Bei der Patentierung im Jahr 1930 gab er ihm einen Markennamen mit fünf Konsonanten und einem Vokal: Der „Knirps“ war geboren.
Längst gibt es Schirme mit integrierter Taschenlampe, Bleistift, Pillendose, Kompass oder Trinkglas. Ängstliche Zeitgenossen, die häufiger die Berliner U-Bahn als Transportmittel benutzen, haben im Griff ihres scheinbar harmlosen Schirms einen Dolch verborgen. Und von James Bond und Nick Knatterton kennt man die Sonderanfertigungen, die sich auf Knopfdruck in ein Maschinengewehr oder einen Fallschirm verwandeln.
Aber es wäre nicht angemessen, den Schirm nur als Waffe und Regenschutz zu betrachten. Das englische Wort „umbrella“, das vom lateinischen „umbra“ – Schatten – kommt, deutet darauf hin, dass er ursprünglich mal als Schattenspender gedacht war. Der Schirm ist auch ein Kulturgut, wie die häufige Verwendung als Requisite beim Deutschen Fernsehballett, im Musical (Singin‘ in the Rain) oder der modernen Musik beweist: Es ist wohl eine der erotischsten Liebeserklärungen der Pop-Geschichte, wenn sich Rihanna in nicht ganz wetterfester Kleidung mit Netzstrümpfen und Lackleibchen lasziv um einen schwarzen Stockschirm rekelt und singt: „Now that’s raining more than ever / Know that we’ll still have each other / You can stand under my umbrella.“
Wer heute beschirmt seine Liebe beweisen will und aus individuellen Gründen nicht im Rihanna-Outfit auf die Straße geht, hat andere Möglichkeiten. Die Firma Knirps hat ein Modell namens „Feeling“ auf den Markt gebracht, auf dessen Schirmdach viele kleine Kristalle „in Liebes-Rot und Glücks-Grau“ ein Herz mit einem Schwert darstellen. Auf die Idee, dass Grau die Farbe des Glücks sein soll, kann wohl nur ein Schirmhersteller kommen.
Was sich einfallsreiche Schirmdesigner ausgedacht haben, kann übrigens im einzigen Schirmmuseum der Welt, dem „Muso dell’Ombrello“ in Gignese am Lago Maggiore angeschaut werden.
Dass Menschen, die bei jeder Witterung einen Schirm bei sich tragen, ausgewiesene Pessimisten sein sollen, ist eine Unterstellung, die leicht zu widerlegen ist. Der Schirmträger ist eher ein Realist, der durchaus die Sonnenstrahlen genießen kann, dabei aber nicht vergisst, dass auf Sonnenschein immer Regen folgt – und umgekehrt. Die Stadt mit den meisten Regentagen in Europa liegt nicht in Schottland, sondern mitten in Deutschland: Es ist mit zweihundertsechsundsechzig Tagen Halle an der Saale. Auch Köln liegt mit zweihundertdreiundsechzig Tage noch vor dem schottischen Glasgow und dem irischen Cork. Von Freiburg über Kiel bis Regensburg – dort sowieso – liegt also die Regen-Wahrscheinlichkeit an jedem Tag des Jahres bei deutlich über fünfzig Prozent. Wer also ohne Schirm auf die Straße geht, verkennt schlichtweg die Realität und begibt sich sehenden Auges in die Gefahr, auf offener Straße durchnässt zu werden. Und im Vergleich zum Sonnenbrillenträger, der hinter den getönten Augengläsern seine Gefühle und sein wahres Ich verbirgt, ist der Schirmträger ein Gentleman, der bei drohendem Nass von oben jederzeit der Dame seines Herzens Schirm und Geleit andienen kann – Knirps sei Dank.
Übrigens: Dass der geniale „Mister Knirps“ ausgerechnet aus Solingen und damit aus meiner bergischen Heimat stammt, kann kein Zufall sein.
Filterkaffee
Zugegeben: So ein Kaffeevollautomat mit Cappuccinodüse, Thermoblock-Heizsystem, automatischer Pulvererkennung, digitaler Verkalkungsanzeige, One-Touch-Automatik und LED-Tassenbeleuchtung ist ein imposantes Küchenmobiliar. Doch wenn man bereit ist, für eine Kaffeemaschine mit der Technologie eines Spaceshuttles so viele Scheine wie für einen Gebrauchtwagen hinzulegen, dann bezahlt man buchstäblich einen hohen Preis: Man verzichtet auf den guten alten Filterkaffee.
Ich will hier jetzt nicht über Geschmack reden. Und ich rede auch nicht über die im öffentlichen Dienst verbreiteten monströsen Brühvorrichtungen, in denen eine braune Plörre so lange vor sich hin köchelt, bis sie nach Heizöl schmeckt. Bekanntlich ist der Kaffeekonsum, ähnlich wie die Zigarettenpause, ein Zeremoniell, bei dem die Vorbereitung den wahren Genuss darstellt. Ist es nicht ein einmaliger Vorgang, die Dose mit dem Kaffeepulver zu öffnen, woraufhin eine erste Prise des einzigartigen Dallmayr-Jacobs-Eduscho-Aromas in die Nase steigt, den Melitta-Filter mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger auseinanderzudrücken und mit den wohldosierten Portionen eines Speziallöffels das braune Gold in die Filtertüte zu füllen? (Kenner durchspülen die Filtertüte erst mit Wasser, damit sie den Papiergeschmack verliert.) Nach sanftem Druck leuchtet der transparente Kippschalter rot auf und mahnt noch zur Geduld. Ein faszinierendes Röcheln und Gluckern lässt dann keinen Zweifel mehr daran, dass in wenigen Augenblicken die ersten braunen Tropfen mit einer Temperatur von 92 Grad in der Glaskanne niedergehen werden. Während dieser kostbaren Minuten, vielleicht die schönste Zeit des Tages, erfüllt sich der Raum mit einer einzigartigen Kombination aus Duft von Kaffeearoma und dem hingebungsvollen Blubbern der Maschine.
Anders