Jeder stirbt für sich allein. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
der schlimmste von der ganzen Bande! Ewig läuft er in seiner HJ-Führer-Uniform herum und erwartet, daß man ihn zuerst grüßt, obwohl er doch ein reiner Garnichts ist. Langsam kommt der Baldur die letzten Treppenstufen hoch, er hält sich am Treppengeländer fest, so angetrunken wie er ist. Er hat trotz seiner glasigen Augen den Borkhausen da an der Wand längst gesehen, er spricht ihn aber erst an, als er direkt vor ihm steht: »Was schnüffelst du denn hier vorne im Hause herum? Ich will das nicht haben, mach, daß du in den Keller zu deiner Nutte kommst! Marsch, hau ab!«
Und er hebt den Fuß mit dem genagelten Schuh, setzt ihn aber gleich wieder hin: zum Fußtrittgeben steht er zu wacklig auf den Füßen.
Einem Ton wie dem eben ist der Borkhausen einfach nicht gewachsen. Wenn er so angeschnauzt wird, kriecht er ganz in sich zusammen, hat bloß Angst. Er flüstert demütig: »Entschuldigen Sie bloß, Herr Persicke! Wollte mir nur mal ’nen kleinen Spaß mit der ollen Jüdschen machen!«
Der Baldur legt vor angestrengtem Nachdenken die Stirn in Falten. Nach einer Weile sagt er: »Klauen wollt’ste, du Aas, das ist dein Spaß mit der ollen Jüdschen. Na, geh voran!«
So grob die Worte auch waren, so klangen sie doch zweifelsfrei wohlwollender; für so was hatte Borkhausen ein feines Ohr. So sagt er denn mit einem für den Witz um Entschuldigung bittenden Lächeln: »Ick klau doch nicht, Herr Persicke, ick organisier bloß manchmal ein bißchen!«
Baldur Persicke erwidert das Lächeln nicht. Mit solchen Leuten macht er sich nicht gemein, wenn sie auch manchmal nützlich sein können. Er klettert vorsichtig hinter Borkhausen die Treppe hinunter.
Beide Männer sind so mit ihren Gedanken beschäftigt, daß sie darauf nicht achthaben, daß die Flurtür bei den Quangels jetzt nur angelehnt ist. Und sie wird sofort wieder geöffnet, als die beiden Männer vorüber sind. Anna Quangel huscht ans Treppengeländer und lauscht hinunter.
Vor der Flurtür der Persickes hebt Borkhausen stramm die Hand zum deutschen Gruß: »Heil Hitler, Herr Persicke! Und ich danke Ihnen auch schön!«
Wofür er dankt, weiß er selbst nicht so genau. Vielleicht, weil der HJ-Führer ihn nicht mit dem Fuß in den Hintern getreten und die Treppe hinuntergeworfen hat. Er hätte sich das ja auch gefallen lassen müssen, solch ein kleiner Pinscher wie er ist.
Baldur Persicke erwidert den Gruß nicht. Er starrt den andern mit seinen glasigen Augen an und erreicht, daß er nach kurzem zu blinzeln anfängt und den Blick zur Erde senkt. Baldur fragt: »Du wolltest dir also einen Spaß mit der alten Rosenthal machen?«
»Ja«, antwortet Borkhausen leise mit gesenktem Blick.
»Was denn für ’nen Spaß?« wird er weiter gefragt. »Bloß so Firma Klau und Lange?«
Borkhausen riskiert einen raschen Blick in das Gesicht seines Gegenübers. »Och!« sagt er. »Ich hätte ihr auch schon die Fresse lackiert!«
»So!« antwortet der Baldur nur. »So!«
Eine Weile stehen sie schweigend. Der Borkhausen überlegt, ob er jetzt gehen darf, aber er hat noch nicht den Befehl zum Abtreten bekommen. So wartet er stumm, mit wieder gesenktem Blick, weiter.
»Geh da mal rein!« sagt Persicke plötzlich mit sehr mühsamer Zunge. Er zeigt mit ausgestrecktem Finger auf die offene Flurtür der Persickes. »Vielleicht habe ich dir noch was zu sagen. Mal sehen!«
Borkhausen marschiert, wie vom weisenden Zeigefinger befohlen, schweigend in die Wohnung der Persickes. Baldur Persicke folgt, ein wenig schwankend, aber in soldatischer Haltung. Die Tür schlägt hinter beiden zu.
Oben löst sich Frau Anna Quangel vom Treppengeländer und schleicht in die eigene Wohnung zurück, deren Tür sie sachte ins Schloß gleiten läßt. Warum sie die beiden bei ihrem Gespräch, erst oben vor der Wohnung der Frau Rosenthal, dann unten vor Persickes Tür, belauscht hat, sie weiß es nicht. Sie folgt sonst ganz der Gewohnheit ihres Mannes: die Mitbewohner können tun und lassen, was sie wollen. Frau Annas Gesicht ist noch immer krankhaft weiß, und in ihren Augenlidern ist ein irritiertes Zucken. Ein paarmal schon hätte sie sich gerne hingesetzt und geweint, aber sie kann es nicht. Ihr gehen Redensarten durch den Kopf wie: »Es drückt mir das Herz ab«, oder: »Es hat mich vor den Kopf geschlagen«, oder: »Es steht mir vor dem Magen«. Von all dem empfindet sie etwas, aber auch noch dies: »Die sollen mir nicht ungestraft meinen Jungen umgebracht haben. Ich kann auch anders sein …«
Wieder weiß sie nicht, was sie mit dem Anderssein meint, aber dies Lauschen eben war vielleicht schon ein Anfang davon. Otto wird nicht mehr alles allein bestimmen können, denkt sie auch noch. Ich will auch mal tun können, was ich will, auch wenn es ihm nicht paßt.
Sie macht sich eifrig an die Fertigstellung des Essens. Die meisten Lebensmittel, die sie beide auf Karten zugeteilt erhalten, bekommt er. Er ist nicht mehr jung und muß ständig über seine Kraft arbeiten; sie kann viel sitzen und Näharbeit tun, also versteht sich solche Teilung von selbst.
Während sie noch mit ihren Kochtöpfen hantiert, verläßt Borkhausen wieder die Wohnung der Persickes. Sobald er die Treppe hinuntersteigt, verliert seine Haltung das Kriecherische, das sie vor denen hatte. Er geht aufrecht über den Hof, sein Magen ist angenehm von zwei Schnäpsen erwärmt, und in der Tasche hat er zwei Zehnmarkscheine, einer von ihnen wird Ottis üble Laune besänftigen.
Aber als er die Stube im Souterrain betritt, ist Otti keiner üblen Laune. Auf dem Tisch liegt eine weiße Decke, und Otti sitzt mit einem Borkhausen nicht bekannten Manne auf dem Sofa. Der Fremde, der gar nicht schlecht angezogen ist, zieht hastig seinen Arm, der um Ottis Schulter lag, zurück. Aber das hätte er gar nicht zu tun brauchen, in so was war Borkhausen nie heikel.
Er denkt: Kiek mal, das alte Aas, solche fängt sie sich auch ein! Der ist mindestens Bankangestellter oder Lehrer …
In der Küche heulen und jaulen die Kinder. Borkhausen bringt jedem eine dicke Scheibe von dem Brot, das auf dem Tisch steht. Dann fängt er selber zu frühstücken an, es ist sowohl Brot wie Wurst wie Schnaps da. Er streift den Mann auf dem Sofa mit einem zufriedenen Blick. Der Mann scheint sich nicht so wohl wie Borkhausen zu fühlen.
Darum geht Borkhausen auch schnell, sobald er ein bißchen gegessen hat. Er will den Freier um Gottes willen nicht vergraulen! Das Gute ist, daß er nun die ganzen zwanzig Mark für sich behalten kann. Borkhausen richtet seine Schritte nach der Rollerstraße; er hat von einer Kneipe dort gehört, wo die Leute besonders leichtsinnig reden sollen. Vielleicht läßt sich da was machen. Man kann jetzt in Berlin überall Fische fangen. Und wenn nicht bei Tage, dann bei Nacht.
Wenn Borkhausen an die Nacht denkt, zuckt es immer wie Lachen hinter seinem lose herabhängenden Schnurrbart. Dieser Baldur Persicke, alle diese Persickes, was für ’ne Bande! Aber ihn sollen sie nicht für dumm verkaufen, ihn nicht! Sie sollen bloß nicht glauben, bei ihm ist es mit zwanzig Mark und zwei Schnäpsen getan. Vielleicht kommt noch mal die Zeit, wo er alle diese Persickes in die Tasche steckt. Er muß jetzt nur schlau sein.
Dabei fällt Borkhausen ein, daß er noch vor der Nacht einen gewissen Enno finden muß. Enno ist vielleicht der richtige Mann für so was. Aber keine Angst, den Enno findet er schon. Der macht täglich seine Runde durch nur drei oder vier Lokale, wo die kleinen Rennwetter verkehren. Wie dieser Enno wirklich heißt, das weiß Borkhausen nicht. Er kennt ihn nur aus den paar Lokalen, wo ihn alle Enno rufen. Er wird ihn schon finden, und er wird vielleicht sogar der richtige Mann sein.
4
Trudel Baumann verrät ein Geheimnis
So leicht Otto Quangel auch in die Fabrik gekommen war, so schwer war es zu erreichen, daß die Trudel Baumann zu ihm herausgerufen wurde. Sie arbeiteten hier nämlich – übrigens genau wie in Quangels Fabrik – nicht nur im Akkord, sondern jede Arbeitsstube mußte auch ein bestimmtes Pensum schaffen, da kam es oft auf jede Minute an.
Aber schließlich kommt Quangel doch zum Ziel, schließlich ist der andere genauso ein Werkmeister wie er selbst. Man kann einem Kollegen so was schlecht abschlagen, besonders wenn gerade der Sohn gefallen ist. Das hat Quangel nun doch