Mein Orient-Tagebuch: Der Löwe von Aššur. Tomos ForrestЧитать онлайн книгу.
„Ich bin Tarek, der Noba, und hatte Wache auf dem Deck, als plötzlich zwei Hände nach mir griffen. Noch bevor ich Alarm geben konnte, waren die anderen da und wollten mich mit einem Messer töten. Einen konnte ich fassen und warf ihn gegen die anderen, aber dann sprangen die beiden wieder auf und stürzten sich auf mich. Da kamt Ihr auf das Deck, Sidi, und habt Tarek gerettet, dafür danke ich Euch!“
„Wo sind die anderen, Tarek? Sie müssen doch den Lärm wie wir gehört haben!“, antwortete ich, und der kräftige Nubier deutete nach vorn, wo es den Niedergang zu den Mannschaftsquartieren gab.
„Sie müssen so leise an Bord gekommen sein, dass ich zunächst nichts von ihnen bemerkt habe. Als Erstes wurde die Tür hier verriegelt, sodass die anderen mir nicht helfen konnten!“, antwortete der Nubier und eilte nach vorn, wo laute Schläge gegen das Holz und gedämpfte Rufe zu vernehmen waren.
Wenig später strömten die Männer der Morning Star auf das Deck, und unser Kapitän, der große Perser, kam als Erster auf uns zugelaufen.
„Allah sei gepriesen, Ihr lebt!“, rief er aus und hob die Hände.
„Das war Glück, und hier steht Tarek, der wohl Dank seiner Körperkraft den heimtückischen Überfall zurückschlagen konnte. Holt Lampen herauf, damit wir die beiden Toten untersuchen können. Ein dritter Mann wurde von dem Nubier ins Meer geworfen, er wird wohl entkommen sein!“, erklärte ich rasch.
Lampen wurden herbeigeschafft, und in ihrem Schein untersuchten wir in aller Eile die beiden toten Angreifer. Sie waren in einfache Dschallabija gekleidet, trugen in ihren um die Hüfte gewickelten Tüchern noch die Scheiden ihrer Dolche, während wir die Waffen auf dem Deck fanden. Nichts schien darauf zu deuten, woher sie stammten, aber dann war es Lindsay, der im Schein seiner Taschenlampe auf den Unterarm eines Mannes wies.
In bläulicher Farbe zeichnete sich dort eine Tätowierung ab, die sofort meine Aufmerksamkeit fesselte. Den Hintergrund bildeten zwei ausgebreitete Schwingen, davor stand ein Mann mit langem, schwarzem Bart, einer hohen, altertümlichen Kopfbedeckung, und richtete seinen gespannten Bogen zur Seite. Das Bild war sehr deutlich ausgeführt, dabei insgesamt aber klein.
„Aššur!“, flüsterte Tarek der Nubier und kniete sich auf das Deck neben Lindsay, um die Zeichnung besser betrachten zu können. Dann, noch eine Nuance leiser, fügte er hinzu: „Die Bruderschaft des Löwen!“
„Was hast du da gesagt? Bruderschaft des Löwen?“
Tarek hatte sich wieder erhoben und war schon neben dem nächsten Toten, dessen Ärmel er rasch nach oben streifte und seine Worte flüsternd wiederholte. Nun war auch der zweite Nubier zu ihm getreten und raunte leise: „Khemeis muss fliehen, Tarek!“
Doch der andere legte ihm beruhigend den Arm um die Schultern und antwortete noch immer mit gedämpfter Stimme: „Niemand weiß von uns, Bruder. Dieser Anschlag galt den Ferani, nicht uns!“
Ich hatte wohl verstanden, was die beiden da leise austauschten, schwieg aber dazu und wartete ab, bis sich eine bessere Gelegenheit für ein Gespräch finden würde. Unser Kapitän teilte die Mannschaften in mehrere, gleich große Gruppen, die nun bewaffnet auf dem Deck wachen würden.
Ich muss einräumen, dass ich unserem Kapitän und seiner Mannschaft nicht vollständig traute, immerhin war es Selim Agha Bey gewesen, der sie und das Schiff ausgesucht hatte. Aber nach diesem nächtlichen Überfall, bei dem sich insbesondere der bärenstarke Nubier bewährt hatte, musste ich meine Vorbehalte fallen lassen.
Endlich kehrte wieder Ruhe ein, und ich fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich in den frühen Morgenstunden wieder aufschreckte. Aber es waren nur meine wilden Träume, die mich geweckt hatten. Ich wusch mich in Ruhe, kleidete mich an und begab mich an Deck, wo eben die Vorbereitungen zur Weiterreise getroffen wurden.
Kapitän Arash stand am Steuer und begrüßte mich freundlich.
„Hattet Ihr eine gute Nachtruhe, Effendi?“
„Danke, es ging so. Die Nacht verlief ruhig?“
„Wir haben aufmerksam gewacht, Effendi, aber jetzt können wir unsere Reise fortsetzen. Es gibt einen uns günstigen Wind, sodass wir heute ein großes Stück zurücklegen können, zumal die See noch immer ruhig ist.“
„Gut, dann werde ich jetzt mal nach Lindsay sehen, er scheint sich zum Langschläfer zu entwickeln.“
„Never mind, Master!“, vernahm ich da seine Stimme, und ein gut gelaunter Sir David betrat das Deck, natürlich, wie immer, in seinen großkarierten Anzug gekleidet. „Bin schon einige Zeit munter und gedenke nun, ausgiebig auf dem Deck zu frühstücken. Haben heute vor, noch Tripolis zu erreichen, yes!“
Damit zog er einen Stuhl zu sich heran und nahm an dem bereits gedeckten Tisch Platz und ich leistete ihm Gesellschaft. Sofort eilte der Koch mit einer Schüssel herbei, und erstaunt betrachtete ich, was er uns auf die Teller häufte.
„Ham and Eggs, ich bin verblüfft, Sir David!“
„Nichts ist wichtiger als ein gutes Frühstück!“, antwortete er und schob sich eine gehäufte Gabel in den Mund, wobei seine riesige Nase den Eindruck machte, als wolle sie sich davon überzeugen, dass er wirklich alles auf einmal essen wollte. Mit anderen Worten, Sir David Lindsay bot einen so grotesken Anblick beim Essen, dass ich mich mit einem Lächeln abwenden musste und auf das Meer hinaussah, wo am Horizont bereits einige kleinere Segler zu erkennen waren.
8. Kapitel
Am Spätnachmittag dieses Tages erreichten wir die Gegend der Kerkenna-Inseln, und ich bemerkte, dass Kapitän Arash unruhig wurde. Immer häufiger suchte er den Horizont mit einem Monokular ab und gab schließlich einem seiner Männer die Anweisung, die Dampfmaschine anzufeuern. Diese Tätigkeit konnte uns nicht entgehen, und als ich Lindsay darauf ansprach, blickte er mich erstaunt an. Er hatte den ganzen Tag über seinen Aufzeichnungen gebrütet und immer wieder eine Karte dabei betrachtet und schließlich mit einem Zirkel ausgemessen. Dabei tat er sehr geheimnisvoll, antwortete nur ausweichend auf meine Fragen, und als ich einmal einen längeren Blick auf die Karte werfen konnte, hatte ich zunächst Schwierigkeiten, sie zuzuordnen. Dann aber konnte ich zwei Ortsnamen entziffern und war mir nun sicher, dass es sich um einen Ausschnitt einer Gegend unterhalb Bagdads am Tigris handelte.
Meine Aufmerksamkeit wurde durch einen Ruf des Kapitäns abgelenkt, und ich trat zu ihm an das Steuer. Er reichte mir stumm das Monokular und deutete in die Richtung, in der ich die ersten Inseln erkennen konnte. Eine Weile musste ich suchen und die Schärfe für mich einstellen, dann entdeckte ich das Segelschiff. Es schien eine Dhahabiyya zu sein, eines der etwas größeren Schiffe, die man auch Sandal nannte. So rasch, wie sie sich näherte, musste sie sehr gut vor dem Wind liegen, auch wenn sie mehrfach kreuzte.
„Ich mache mir Sorgen, Effendi. Diese Dhahabiyya hält direkt auf uns zu, und ich vermute, dass man uns stoppen will.“
„Aber warum, Arash? Ist es ein Fahrzeug der hiesigen Behörden?“
Der Perser schüttelte den Kopf.
„Ausgeschlossen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich genau dieses Schiff schon einmal gesehen habe, und damals war es bewaffnet und in der Nähe trieben Holzplanken auf dem Wasser. Wir waren damals mit einem kleinen, vollkommen unbedeutenden Schiff unterwegs und lagen so hoch, dass man schon von Weitem erkennen konnte, dass unser Laderaum leer sein musste. Vielleicht sind wir nur deshalb damals ungeschoren geblieben.“
„Also Piraten? So nahe an der Küste?“
„Ideale Verhältnisse für Piraten, Effendi. Sie können zwischen den Inseln verschwinden und wieder auftauchen, ohne dass man ihnen in diesem Labyrinth folgen könnte.“
Ich nahm das Monokular wieder hoch und warf erneut einen Blick hindurch.
„Am Heck flattert eine Fahne, Arash. Kannst du das Symbol erkennen?“
Der Perser griff erneut zum Glas, sah hindurch und nickte. Seine braune Gesichtsfarbe war einem fahlen Blass gewichen.
„Allah