Die vergessene Welt. Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.
das noch jetzt auf der Erde lebt, aber bisher der Wissenschaft nicht bekannt geworden ist. Sie sind noch nicht überzeugt?«
»Mein Interesse ist jedenfalls aufs tiefste erregt.«
»Dann ist Ihr Fall nicht hoffnungslos. Ich fühle, dass irgendwo etwas Verstand in Ihnen schlummert. Wir wollen ihn also geduldig ans Tageslicht befördern. – Wir wollen jetzt den toten Amerikaner verlassen und in unserer Erzählung fortfahren. Sie werden begreifen, dass ich mich nur schwer vom Amazonenstrom trennen konnte, ohne diese Angelegenheit tiefer erforscht zu haben. Es fanden sich nämlich Andeutungen, die einen Schluss auf die Richtung, aus der der tote Wanderer gekommen war, zuließen. Indianische Legenden allein schon hätten mir als Führer dienen können, denn ich fand Gerüchte über ein seltsames Land unter den am Ufer wohnenden Stämmen allgemein verbreitet. Sie haben zweifellos schon vom Curipuri gehört?«
»Niemals.«
»Curipuri ist der Geist des Urwaldes. Etwas Furchtbares, etwas Bösartiges, etwas, dem man aus dem Wege geht. Niemand kann sein Aussehen oder sein Wesen beschreiben. Aber es ist ein Schreckenswort an den Ufern des Amazonenstromes. Über die Richtung, in der Curipuri lebt, sind sich alle Stämme einig. Es war dieselbe Gegend, aus der der Amerikaner gekommen war. Irgend etwas Schreckliches lag auf diesem Wege. Meine Aufgabe bestand darin, zu erforschen, was das war.«
»Und was taten Sie dann?« Meine Lust zum vorlauten Schwätzen war verschwunden. Dieser energische Mann zwang einen zur Aufmerksamkeit und Achtung.
»Ich überwand das starke Widerstreben der Eingeborenen – ein Widerstreben, das soweit ging, dass sie über diesen Gegenstand nicht einmal sprechen wollten –, und durch kluges Zureden, Geschenke und auch, wie ich zugeben muss, durch Androhung von Zwang, sie meinen Wünschen gefügig zu machen, gelang es mir, zwei von ihnen als Führer zu gewinnen. Nach mancherlei Abenteuern, die ich nicht zu beschreiben brauche, und nach Zurücklegung einer gewissen Entfernung, die ich nicht angeben möchte, in einer Richtung, die ich gleichfalls verschweige, kamen wir zuletzt in eine Gegend, die bisher nicht beschrieben und auch mit Ausnahme meines unglücklichen Vorgängers von niemand besucht worden ist. Wollen Sie sich das bitte ansehen?«
Er reichte mir eine Photographie – Größe 9 x 12 Zentimeter.
»Der schlechte Zustand der Platte rührt von der Tatsache her,« sagte er, »dass unser Boot auf der Talfahrt kenterte und die Kiste mit den unentwickelten Platten zerbrach. Die unangenehme Folge dieses Vorfalls war, dass die Platten fast alle ruiniert waren – ein unersetzlicher Verlust. Das ist eine von den wenigen, die teilweise gerettet werden konnten. Diese Erklärung ihrer Mängel oder Fehler muss Ihnen genügen. Man hat von Schwindel gesprochen, aber ich bin nicht in der Stimmung, eine derartige Behauptung zu diskutieren.«
Die Photographie war sicherlich sehr undeutlich. Ein unfreundlicher Kritiker hätte das nebelhafte Bild leicht falsch auslegen können. Es war eine einfache graue Landschaft, und als ich langsam Einzelheiten darauf unterschied, stellte ich fest, dass sie eine lange und außerordentlich hohe Felswand, die aus der Entfernung den täuschenden Eindruck eines riesigen Wasserfalls machte, darstellte. Der Vordergrund war ausgefüllt durch eine geneigte, baumbestandene Ebene.
»Ich glaube, das ist dieselbe Gegend wie auf der Tuschzeichnung«, sagte ich.
»Es ist dieselbe Gegend«, antwortete der Professor. »Ich habe Spuren von dem Lager des Amerikaners gefunden. Jetzt sehen Sie dies hier!«
Es war dieselbe Szene, aus größerer Nähe gesehen, obgleich die Photographie außerordentlich mangelhaft war. Ich konnte deutlich die isolierte, von einem Baum gekrönte Felsspitze, die abseits der Felswände stand, erkennen.
»Jetzt habe ich keinen Zweifel mehr«, sagte ich.
»Gut, da hätten wir also schon etwas gewonnen«, sagte er. »Wir machen Fortschritte, nicht wahr? Wollen Sie jetzt, bitte, die Spitze dieses einzelnen Felsens ins Auge fassen. Bemerken Sie dort etwas?«
»Einen riesigen Baum.«
»Und auf dem Baum?«
»Einen großen Vogel«, sagte ich.
Er reichte mir ein Vergrößerungsglas.
»Ja,« sagte ich, hindurchsehend, »ein großer Vogel steht auf dem Baum. Wie es scheint, hat er einen riesigen Schnabel. Ich möchte sagen, er sieht aus wie ein Pelikan.«
»Zu der Schärfe Ihrer Augen kann ich Ihnen nicht gratulieren«, sagte der Professor. »Es ist weder ein Pelikan, noch überhaupt ein Vogel. Es wird Sie interessieren zu erfahren, dass es mir gelungen ist, dieses einzelne Exemplar zu schießen. Es war das einzige absolute Beweisstück über meine Entdeckungen, das ich in der Lage gewesen bin, mitzubringen.«
»Sie haben das Tier wirklich?« Hier war endlich eine greifbare Bestätigung.
»Ich hatte es. Es ging unglücklicherweise mit so vielem anderen bei demselben Bootsunfall, der mir meine Photographien ruiniert hat, verloren. Ich griff danach, als es in den Wirbeln der Stromschnellen verschwand und behielt nur einen Teil seines Flügels in der Hand. Ich wurde bewusstlos an das Ufer gespült, aber das elende Überbleibsel meines kostbaren Beweisexemplars war noch vorhanden. Ich werde es Ihnen jetzt zeigen.«
Er entnahm einer Schublade etwas, was mir vorkam wie der obere Teil des Flügels einer Fledermaus. Es war höchstens zwei Fuß lang, ein gebogener Knochen, von dem eine größere Hautfläche herabhing.
»Eine enorme Fledermaus«, flüsterte ich.
»Nichts dergleichen«, sagte der Professor ernst. »Mir, der ich in einer gebildeten und wissenschaftlichen Atmosphäre lebe, fällt es wirklich schwer, sich vorzustellen, dass die Grundprinzipien der Zoologie so wenig bekannt sind. Ist es möglich, dass Sie nicht einmal die elementaren Tatsachen der vergleichenden Anatomie kennen, dass nämlich der Flügel eines Vogels nichts anderes ist als sein Unterarm, während der Flügel einer Fledermaus aus drei verlängerten und durch eine Haut verbundenen Fingern besteht? In diesem Fall ist der Knochen sicherlich nicht der Unterarm, und Sie können selbst sehen, dass dies eine einseitig befestigte Haut ist, die an einem einzelnen Knochen hängt, und deswegen kann er nicht von einer Fledermaus stammen. Aber wenn es weder ein Vogel noch eine Fledermaus ist, was ist es denn?«
Mein kleiner Wissensvorrat war erschöpft.
»Ich weiß es tatsächlich nicht«, sagte ich.
Er öffnete das Standard-Werk, auf das er mich schon einmal verwiesen hatte.
»Hier,« sagte er, auf das Bild eines außergewöhnlichen fliegenden Ungeheuers hinweisend, »es ist eine ausgezeichnete Reproduktion des Dimorphodons oder Pterodactylus, eines fliegenden Reptils aus der Jurazeit. Auf der nächsten Seite befindet sich eine Zeichnung vom Bau seines Flügels. Vergleichen Sie diese, bitte, mit dem Stück in Ihrer Hand.«
Ich wurde von Erstaunen gepackt, als ich näher hinsah. Ich war überzeugt. Daran war nicht zu rütteln. Das angehäufte Beweismaterial wirkte überwältigend. Die Skizze, die Photographie und dazu ein wirkliches Beweisstück – das war unwiderleglich. Ich sagte dem Professor das mit warmem Herzen; denn ich fühlte, dass man ihn ungerecht behandelt hatte. Er saß zurückgelehnt in seinem Stuhl, mit gesenkten Lidern und einem milden Lächeln, wie von plötzlichem Sonnenschein überstrahlt.
»Das ist die erstaunlichste Sache, von der ich je gehört habe«, sagte ich, obgleich mehr meine journalistische als meine wissenschaftliche Begeisterung erweckt war. »Das ist kolossal. Sie sind der Kolumbus der Wissenschaft, der eine verlorene Welt entdeckt hat. Es tut mir furchtbar leid, dass es erst schien, als ob ich zweifelte. Es ist ja alles so unglaublich. Aber ich verschließe mich einem Beweise nicht, wenn ich selber prüfen kann. Und dies hier sollte eigentlich jeden überzeugen.«
Der Professor schnurrte wie eine Katze vor Befriedigung.
»Und was taten Sie darauf, Herr Professor?«
»Die Regenzeit trat ein, Herr Malone, und meine Vorräte waren erschöpft. Ich erforschte einen Teil dieser riesigen Felswände, aber es war mir nicht möglich, irgendeinen nach oben führenden Pfad ausfindig zu machen. Der pyramidenförmige Fels, auf dem ich den Pterodactylus