Vater Goriot. Honore de BalzacЧитать онлайн книгу.
standen ernsthaft wie geprügelte Esel. Das Fest, dem er vor einigen Tagen beigewohnt, hatte in den im Erdgeschoß gelegenen Empfangsräumen stattgefunden. Da ihm zwischen der Einladung und dem Balle keine Zeit geblieben war, seiner Cousine einen Besuch abzustatten, war er in die Privatgemächer Frau von Beauséants noch nicht eingedrungen. Er sollte also zum ersten Male die Wunder eines persönlichen Geschmacks gewahren, den eine vornehme Frau in ihren Zimmern zum Ausdruck zu bringen weiß. Ein um so interessanteres Studium, als sich Vergleiche mit dem Salon der Frau von Restaud anstellen ließen. Von halb fünf Uhr an war die Vicomtesse zu sprechen. Fünf Minuten früher würde sie ihren Vetter nicht empfangen haben. Eugen, der noch nichts von den Pariser Formen und Gebräuchen ahnte, ließ sich auf einer blumengeschmückten prächtigen Treppe mit vergoldetem Geländer und roten Teppichen zu Frau von Beauséant geleiten, noch unbekannt mit deren Geschichte, – einem der vielen Histörchen, die man sich abends in den Salons von Ohr zu Ohr erzählte.
Die Vicomtesse unterhielt seit drei Jahren Beziehungen zu einem der berühmtesten und reichsten Edelleute Portugals, dem Marquis d'Ajuda-Pinto. Es war eines jener reinen Liebesverhältnisse, die so innig gestaltet sind, daß ein Dritter im Bunde unzulässig wäre. So hatte denn auch der Vicomte von Beauséant der Öffentlichkeit ein Beispiel gegeben, indem er wohl oder übel diese morganatische Verbindung achtete. Diejenigen, die in den ersten Tagen jenes Freundesbundes die Vicomtesse um zwei Uhr besuchen kamen, fanden stets den Marquis d'Ajuda-Pinto dort. Frau von Beauséant, die ihre Tür nicht verschließen konnte, was sehr unpassend gewesen wäre, empfing die Besucher so kalt und blickte so starr und gelangweilt zur Decke, daß jeder bald begriff, wie ungelegen er kam. Als Paris wußte, daß Besuche zwischen zwei und vier Uhr Frau von Beauséant störend seien, ließ man sie bald unbehelligt. Sie besuchte die Theater in Begleitung des Herrn von Beauséant und des Herrn d'Ajuda-Pinto; aber als ein Mann von Lebensart ließ Herr von Beauséant seine Frau und den Portugiesen allein, sobald er sie in der Loge untergebracht hatte.
Herr d'Ajuda aber wollte heiraten. Er bewarb sich um ein Fräulein von Rochefide. In der ganzen hohen Aristokratie gab es nur eine einzige Person, die noch nichts von der nahen Heirat wußte, – das war Frau von Beauséant. Wohl hatten einige ihrer Freundinnen andeutungsweise davon gesprochen; aber sie hatte nur gelacht, im Glauben, man wolle ihr viel beneidetes Glück trüben. Nun aber sollte das öffentliche Aufgebot erfolgen. Der Portugiese war gekommen, um der Vicomtesse von seinen Heiratsplänen Mitteilung zu machen; aber der schöne Mann hat nicht einmal eine Andeutung zu stammeln gewagt. Weshalb? Zweifellos ist eben nichts schwieriger, als einer Frau ein solches Ultimatum zu stellen. Gar mancher Mann findet es leichter, sich eines Gegners zu erwehren, der ihn mit der Spitze seines Degens bedroht, als einer Frau gegenüberzustehen, die zwei Stunden jammert und dann die Sterbende spielt und nach Riechsalz verlangt.
Gerade jetzt also stand Herr d'Ajuda-Pinto wie auf Nadeln und wollte gehen, er wollte Frau von Beauséant die Nachricht schriftlich zukommen lassen; denn es sei angenehmer, dachte er bei sich, diesen Liebesmord brieflich zu vollführen. Als daher der Kammerdiener Herrn Eugen von Rastignac meldete, erbebte der Marquis vor Freude. Ihr aber wißt: eine Frau, die liebt, ist noch erfinderischer in allem, was Eifersucht heißt, als sie geschickt ist, das Liebesspiel abwechslungsreich zu gestalten. Wenn sie fühlt, daß der Geliebte sie verlassen will, errät und empfindet sie den Sinn einer Geste. Frau von Beauséant bemerkte also das leichte, unwillkürliche, aber entsetzlich verräterische Zittern.
Eugen bedachte nicht, daß man sich in Paris bei niemandem, wer es auch sei, vorstellen sollte, ehe man sich nicht von Freunden des Hauses die Geschichte des Mannes, der Frau, der Kinder hat berichten lassen, um nicht eine jener Tölpeleien zu begehen, von denen man in Polen so schön und bildhaft sagt: ›Spann fünf Ochsen vor deinen Wagen!‹ – wahrscheinlich um dich aus dem Sumpf herauszuziehen, in den deine Dummheit dich gebracht hat. Nach einem so tölpelhaften Benehmen, wie er es bei Frau von Restaud an den Tag gelegt, die ihm nicht einmal Zeit gelassen hatte, besagte fünf Ochsen vorzuspannen, konnte kein anderer als Eugen so kühn sein, sein Ochsentreiberhandwerk bei Frau von Beauséant fortzusetzen. Wenn er aber dort Frau von Restaud und Herrn von Trailles äußerst lästig gewesen war, so zog er hier Herrn d'Ajuda aus der Verlegenheit.
»Auf Wiedersehen!« sagte der Portugiese und bemühte sich, die Tür zu gewinnen, als Eugen den kleinen, kokett in Grau und Rosa gehaltenen Salon betrat, wo aller Prunk so selbstverständlich schien.
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