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Auf zwei Planeten. Kurd LaßwitzЧитать онлайн книгу.

Auf zwei Planeten - Kurd Laßwitz


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Metern vom Pol, so sind Sie in fünf Minuten bequem um den Pol herumgegangen und haben sämtliche 360 Meridiane überschritten; Sie haben also in fünf Minuten alle Tageszeiten abgelaufen. Gehen Sie nach Westen herum, und wollen Sie die richtige Zeit jedes Meridians haben, so müßten Sie auf jedem Meridian Ihre Uhr um 4 Minuten zurückstellen, so daß Sie nach besagten fünf Minuten um einen vollen Tag zurück sind, und wenn Sie in dieser Art eine Stunde lang um den Pol herumgegangen sind, so muß Ihre Uhr, wenn sie einen Datumzeiger besitzt, den 7. August anzeigen.«

      »Da muß ich mir halt einen Anklebekalender anschaffen«, meinte Saltner.

      »Ja, aber wenn Sie nach Osten herumgehen, kommen Sie um ebensoviel in der Zeit voran, Sie hätten dann nach zwölfmaligem Spaziergang um den Pol den 31. August erreicht, wenn Sie bei jedem Umgehen des Pols ein Blatt in ihrem Kalender abrissen. In beiden Fällen würden sie sich indessen tatsächlich noch am 19. August befinden. Sie müßten also, wie die Seefahrer beim Überschreiten des 180. Meridians, ihren Datumzeiger entsprechend regulieren.«

      »Und wenn wir nun gerade über den Pol wegfliegen?«

      »Dann springen wir in einem Moment um zwölf Stunden in der Zeit. Der Pol ist eben ein Unstetigkeitspunkt.«

      »Sackerment, da weiß man ja gar nicht, wo man ist.«

      »Ja«, sagte Torm, »das ist eben das Fatale. Wir haben uns von Anfang an darauf verlassen müssen, daß wir unsere Lage aus dem zurückgelegten Wege bestimmen. Läßt sich denn gar nichts tun?«

      »Nur wenn wir landen und unsere Instrumente so fest aufstellen, daß wir einige Sterne anvisieren können.«

      »Daran können wir auf keinen Fall eher denken, bis wir den See überflogen haben und das jenseitige Gebirge überschauen. Hier zwischen den Inseln dürfen wir uns nicht hinabwagen. Wir sind also wirklich nicht besser daran als unsere Vorgänger, und der wahre Pol bleibt wieder unbestimmt.«

      »Zu verflixt«, brummte Saltner, »da sind wir vielleicht gerade am Nordpol und wissen es nicht.«

      2. Kapitel

      Das Geheimnis des Pols

      Langsam zog der Ballon weiter, doch bewegte er sich nicht direkt auf die auffallende kleine Insel zu, sondern sie blieb rechts von seiner Fahrtrichtung liegen.

      Während Grunthe die Landmarken aufnahm und Torm die Instrumente ablas, suchte Saltner, dem die photographische Festhaltung des Terrains oblag, die Gegend mit seinem vorzüglichen Abbéschen Relieffernrohr ab. Dasselbe gab eine sechzehnfache Vergrößerung und ließ, da es die Augendistanz verzehnfachte, die Gegenstände in stereoskopischer Körperlichkeit erscheinen. Sie hatten sich jetzt der Insel soweit genähert, daß es möglich gewesen wäre, Menschen, falls sich solche dort hätten befinden können, mit Hilfe des Fernrohrs wahrzunehmen.

      Saltner schüttelte den Kopf, sah wieder durch das Fernrohr, setzte es ab und schüttelte wieder den Kopf.

      »Meine Herren«, sagte er jetzt, »entweder ist mir der Champagner in den Kopf gestiegen –«

      »Die zwei Glas, Ihnen?« fragte Torm lächelnd.

      »Ich glaub es auch nicht, also – oder –«

      »Oder? Was sehen Sie denn?«

      »Es sind schon andere vor uns hier gewesen.«

      »Unmöglich!« riefen Torm und Grunthe wie aus einem Munde.

      »Die bisherigen Berichte wissen nichts von einer derartigen Insel – unsere Vorgänger sind offenbar gar nicht über das Gebirge gekommen«, fügte Torm hinzu.

      »Sehen Sie selbst«, sagte Saltner und gab das Fernrohr an Torm. Er selbst und Grunthe benutzten ihre kleineren Feldstecher. Torm blickte gespannt nach der Insel, dann wollte er etwas sagen, zuckte aber nur mit den Lippen und blieb völlig stumm.

      Saltner begann wieder: »Die Insel ist genau kreisförmig – das haben wir schon bemerkt. Aber jetzt sehen Sie, daß gerade im Zentrum sich wieder ein dunkler Kreis von – sagen wir – vielleicht hundert Metern Durchmesser befindet.«

      »Allerdings«, sagte Grunthe, »aber es ist nicht nur ein Kreis, sondern eine zylindrische Öffnung, wie man jetzt deutlich sehen kann. Und um den Rand derselben führt eine Art Brüstung.«

      »Und nun suchen Sie einmal den Rand der Insel ab. Was sehen Sie?«

      »Mein Glas ist zu schwach, um Einzelheiten zu erkennen.«

      »Ich habe gesehen, was Sie wahrscheinlich meinen«, sagte Torm.

      »Aber was ist das«, unterbrach er sich, »der Ballon ändert seine Richtung?«

      Er gab das Glas an Grunthe und wandte seine Aufmerksamkeit dem Ballon zu. Dieser wich nach rechts von seinem bisherigen Kurse ab. Er bewegte sich parallel mit dem Ufer der Insel, diese in sich gleichbleibender Entfernung umkreisend.

      »Wir wollen uns überzeugen, daß wir dasselbe meinen«, sagte Grunthe. »Rings um die Insel zieht sich ein Kreis von pfeiler- oder säulenartigen Erhöhungen in gleichen Abständen.«

      »Es stimmt«, sagten die andern.

      »Ich habe sie gezählt«, bemerkte Torm, »es sind zwölf große, dazwischen je elf kleinere, im ganzen hundertvierundvierzig.«

      »Und der seltsame Reflex über der ganzen Insel?«

      »Wissen Sie, es sieht aus, als wäre die ganze Insel mit einem Netz von spiegelnden metallischen Drähten oder Schienen überzogen, die wie die Speichen eines Rades vom Zentrum nach der Peripherie laufen.«

      »Ja«, sagte Torm, indem er sich einen Augenblick erschöpft niedersetzte, »und Sie werden gleich noch mehr sehen, wenn Sie länger hinschauen. Ich will es Ihnen sagen.« Seine Stimme klang rauh und heiser. »Was Sie dort sehen, ist der Nordpol der Erde – aber, wir haben ihn nicht entdeckt.«

      »Das fehlte gerade«, fuhr Saltner auf. »Dafür sollten wir uns in diesen pendelnden Frierkasten gesetzt haben? Nein, Kapitän, entdeckt haben wir ihn, und was wir da sehen, ist kein Menschenwerk. So verrückt wäre doch kein Mensch, hier Drähte zu spannen! Eher will ich glauben, daß die Erdachse in ein großes Velozipedrad ausläuft, und daß wir wahrhaftig berufen sind, sie zu schmieren! Nur nicht den Mut verlieren!«

      »Wenn es nicht Menschen sind«, sagte Torm tonlos, »und ich weiß auch nicht, wie Menschen dergleichen machen sollten, und warum, und wo sie herkämen – das hätte man doch erfahren – so – eine Täuschung ist es doch nicht – so steht mir der Verstand still.«

      »Na«, sagte Saltner, »Eisbären werden's nicht gemacht haben, obgleich ich mich jetzt über nichts mehr wundern würde, und wenn gleich ein geflügelter Seehund käme und ›Station Nordpol‹ ausriefe. Aber es könnte doch vielleicht eine Naturerscheinung sein, ein merkwürdiger Kristallisationsprozeß – – Sakri! Jetzt hab ich's. Das ist ein Geysir! Ein riesiger Geysir!«

      »Nein, Saltner«, erwiderte Torm, »das habe ich auch schon gedacht – ein Schlammvulkan könnte etwa eine ähnliche Bildung zeigen. Aber – Sie haben wohl das Eigentliche, die Hauptsache, das – Unerklärliche noch nicht gesehen –«

      »Was meinen Sie?«

      »Ich hab' es gesehen«, sagte jetzt Grunthe. Er setzte das Fernrohr ab. Dann lehnte er sich zurück und runzelte die Stirn. Auch um die fest zusammengezogenen Lippen bildeten sich Falten, daß sein Mund aussah wie ein in Klammern gesetztes Minuszeichen. Er versank in tiefes, sorgenvolles Nachdenken.

      Saltner ergriff das Glas.

      »Achten Sie auf die Färbungen am Boden der ganzen Insel!« sagte Torm zu ihm.

      »Es sind Figuren!« rief Saltner.

      »Ja«, sagte Torm. »Und diese Figuren stellen nichts anderes dar als ein genaues Kartenbild eines großen Teils der nördlichen Halbkugel der Erde in perspektivischer Polarprojektion.


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