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Der Horla. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.

Der Horla - Guy de Maupassant


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       Der Horla

       Guy de Maupassant

      Inhaltsverzeichnis

       Der Horla

       Das Loch

       Gerettet

       Clochette

       Der Marquis von Fumerol

       Das Zeichen

       Der Teufel

       Dreikönigstag

       Im Walde

       Eine Familie

       Josef

       Das Wirtshaus

       Der Landstreicher

       Liebe

       Aus dem Tagebuch eines Jägers

       Impressum

      Der Horla

      8. Mai. – Nein, ist der Tag schön! Den ganzen Morgen habe ich im Grase lang ausgestreckt vor meinem Hause gelegen unter der riesigen Platane, die es vollkommen beschattet, bedeckt und überragt. Ich liebe diese Gegend und lebe dort gern, weil dort meine Wurzeln sind, die tiefen, zarten Wurzeln, die einen Menschen an die Scholle knüpfen, wo seine Väter geboren und gestorben sind, die ihn mit dem verbinden, was man denkt, was man ißt, mit den Sitten wie mit der Nahrung, mit der Sprechweise der Bauern und ihrer Betonung, mit dem Erdgeruch, den Dörfern und sogar der Luft.

      Ich liebe das Haus, wo ich groß geworden bin. Von meinen Fenstern aus sehe ich die Seine längs meines Gartens hinter der Straße, beinahe bei mir, die breite, große Seine, die von Rouen nach Havre fließt mit Schiffen bedeckt, die vorübergleiten.

      Dort drüben links liegt Rouen, die große Stadt mit den blauen Dächern von einem Heer von spitzen, gotischen Türmen überragt. Sie sind nicht zu zählen, schmal oder breit und von der Zink-Spitze der Kathedrale beherrscht. Überall läuten die Glocken am schönen Morgen und ihre metallene Stimme klingt bis zu mir herüber, ihr Gesang aus Erz, den mir der Windhauch zuträgt, bald stärker bald schwächer, je nachdem der Ton sich erhebt oder abschwillt.

      Es war so wundervoll heute morgen!

      Gegen elf Uhr fuhr an meinem Gartenzaun ein langer Zug von Schiffen vorüber, die den Strom ein Schlepper herauf brachte, nur wie eine Fliege groß und der fortwährend vor Anstrengung stöhnte und dicken Dampf ließ.

      Dann kamen zwei englische Schooner, deren rote Wimpel in der Luft flatterten, ein stolzer brasilianischer Dreimaster, ganz weiß, wunderbar sauber und leuchtend. Ich grüßte ihn, ich weiß nicht warum, so sehr gefiel mir das Schiff.

      12. Mai. – Seit einigen Tagen habe ich etwas Fieber, ich fühle mich elend oder vielmehr traurig.

      Woher stammen diese wunderlichen Eindrücke, die unser Glücksgefühl oft in Entmutigung, unser Vertrauen in Angst verwandeln? Es ist, als ob die Luft, die unsichtbare Luft voller Kräfte wäre, die wir nicht kennen, die uns nur manchmal nachbarlich streifen. Ich wache heiter auf, lustig, daß ich singen möchte. Warum? Ich ergehe mich an Wassers Rand und plötzlich kehre ich nach kurzem Spaziergange bedrückt heim, als ob mich zu Haus irgend ein Unglück erwartete. Warum? War es ein kalter Lufthauch, der, als er meine Haut streifte, meine Nerven erschüttert, meine Seele beschattet hat? Ist es die Form der Wolken oder das farbige Licht des Tages, die wechselnde Beleuchtung der Dinge was meine Gedanken beeinflußte, als meine Augen es sahen? Unsere ganze Umgebung, alles was wir gedankenlos betrachten, was wir unwillkürlich streifen, alles was wir unvermutet berühren, alles was verschwommen an uns vorüberzieht, macht auf uns, unsere Sinne und durch sie auf unsere Gedanken, sogar auf unser Herz den Eindruck des Plötzlichen, Überraschenden, Unerklärlichen.

      Ein tiefes Mysterium ist das Unsichtbare. Mit unseren elenden Sinnen können wir es nicht fassen, nicht mit unsern Augen, die weder das zu Kleine sehen können, noch das, was zu groß ist, nicht das, was zu nahe ist, noch das, was zu weit, weder die Bewohner der Gestirne, noch die Infusorien im Wassertropfen, nicht mit unseren Ohren, die uns betrügen, denn das Zittern der Luft übersetzen sie uns in starke Töne. Sie sind Feen, die das Wunder zustande bringen, diese Bewegung in Geräusch zu verwandeln und durch diese Metamorphose die Musik erzeugen, die das stumme Weben der Natur ertönen läßt, – nicht mit unserem Geruchsinn, der schwächer ist als der des Hundes, nicht mit unserem Geschmack, der kaum das Alter eines Weines zu bestimmen vermag.

      O, wenn wir andere Organe besäßen, die für uns andere Wunder thäten, was entdeckten wir wohl alles um uns herum.

      16. Mai. – Ich bin unbedingt krank. Den letzten Monat ging es mir sehr gut. Aber nun habe ich Fieber, ein wildes Fieber oder vielmehr, ich fühle mich fieberhaft entnervt, sodaß meine Seele krank ist wie mein Körper. Auf mir lastet fortwährend das Gefühl, als sei ein Unglück nahe, die Besorgnis vor drohendem Unheil oder vor dem nahen Tode, dieses Vorgefühl, das ohne Zweifel eine Krankheit ist, die wir noch nicht kennen, die in Blut und Fleisch liegt und mich befallen hat.

      18. Mai. – Ich habe eben meinen Arzt zu Rate gezogen, denn ich konnte nicht mehr schlafen. Er fand meinen Puls beschleunigt, die Pupillen erweitert, die Nerven erregt, aber sonst keine besonderen Symptome. Ich soll Douchebäder nehmen und Brom.

      25. Mai. – Keine Änderung ist eingetreten. Mein Zustand ist wirklich eigentümlich: wenn es Abend wird, überfällt mich eine unbegreifliche Unruhe, als ob die Nacht eine fürchterliche Gefahr für mich berge. Schnell schlinge ich mein Essen hinunter, dann versuche ich zu lesen, aber ich verstehe die Worte nicht, ich kann kaum die Buchstaben unterscheiden. Ich laufe in meinem Zimmer auf und ab und eine wundersame Angst lastet auf mir, die Angst schlafen zu gehen, die Angst vor dem Bett.

      Gegen zehn Uhr gehe ich in mein Schlafzimmer hinauf. Sobald ich darin bin, schließe ich zweimal herum ab und riegle zu. Ich habe Angst. Wovor? Bis jetzt fürchtete ich mich vor nichts. Ich öffne die Schränke, sehe unter mein Bett, horche, lausche; wonach? Ist das nicht seltsam, daß ein einfaches Unwohlsein, vielleicht eine Blutstockung, vielleicht die Erregung eines Nervenzentrums, etwa eine Verdauungsstörung, irgend ein kleiner Fehler in dem so unvollkommenen und zarten Gange unserer lebenden Maschine aus dem lustigsten Menschen einen traurigen machen kann, aus dem tapfersten einen Feigling? Dann lege ich mich zu Bett und warte auf den Schlaf, wie auf den Henker. Ich warte auf ihn mit Entsetzen, daß er kommt; mein Herz schlägt, meine Kniee zittern, mein ganzer Körper bebt trotz der Wärme des Bettes, bis zu dem Augenblick, wo ich plötzlich in Schlaf falle, wie einer, der sich in ein Wasserloch stürzt, um sich zu ertränken. Ich fühle den Schlaf nicht allmählich kommen wie früher. Dieser Schlaf ist niederträchtig, er versteckt sich vor mir, er lauert mir auf. Plötzlich packt er mich beim Genick, drückt mir die Augen zu, und mir vergehen die Sinne.

      Ich schlafe – lange, – zwei oder drei Stunden, – dann träume ich oder vielmehr, mich überkommt das Alpdrücken. Ich fühle genau, daß ich zu Bett liege und schlafe, ich fühle es, ich weiß es und ich weiß auch, daß jemand


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