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Der Horla. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.

Der Horla - Guy de Maupassant


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hatte, war ich wieder durstig. Ich steckte ein Licht an und ging zum Tisch, wo die Wasserflasche stand. Ich hob sie, neigte sie zum Glase, es floß kein Tropfen heraus, – sie war leer, sie war völlig leer. Zuerst verstand ich das nicht, dann plötzlich überfiel mich eine so wahnsinnige Angst, daß ich mich setzen mußte oder vielmehr, ich fiel in einen Stuhl, dann sprang ich mit einem Satze wieder auf, um mich umzublicken und setzte mich wieder, ergriffen von Staunen und Angst, vor die leere Flasche. Mit starren Augen blickte ich sie an, um zu erraten, was da geschehen. Meine Hände zitterten. Jemand hatte also das Wasser getrunken. Wer? Ich? Wahrscheinlich ich, es konnte niemand anders sein wie ich.

      Ich war also ein Nachtwandler? Ich lebte, ohne es zu wissen, dieses geheimnisvolle Doppelleben, das uns Zweifel erwecken muß, ob es nicht in uns zwei Wesen giebt oder ob nicht zeitweise ein anderes, fremdes unbekanntes und unsichtbares Wesen in uns lebt, in Augenblicken, wo unsere Seele schlummert, unser Leib in Banden liegt, der diesem anderen Wesen gehorcht wie uns selbst, ja mehr als uns selbst.

      O, wer kann meine furchtbare Angst fassen, wer kann die Erregung eines Menschen fassen, der bei gesunden Sinnen, vollkommen wach und bei klarer Vernunft mit Entsetzen sieht, wie aus einer geschlossenen Flasche, zu der niemand kann, etwas Wasser verschwunden ist, während er geschlafen hat! Bis zu Tagesanbruch blieb ich so und wagte nicht wieder zu Bett zu gehen.

      6. Juli. – Ich werde verrückt. Diese Nacht hat wieder jemand meine ganze Wasserflasche ausgetrunken oder vielmehr ich habe sie ausgetrunken! Aber bin ich's? War ich's? Wer sonst? Wer? O mein Gott! Ich bin wahnsinnig! Wer wird mich retten!

      10. Juli. – Ich habe wundersame Entdeckungen gemacht.

      Ja, ich muß verrückt sein! . . . Und dennoch . . .

      Ich habe am 6. Juli, ehe ich zu Bett gegangen bin, auf meinen Tisch Wein, Milch, Wasser, Brot und Erdbeeren gestellt.

      Jemand hat – ich habe – alles Wasser getrunken und ein bißchen Milch; der Wein war unberührt, ebenso das Brot und die Erdbeeren.

      Am 7. Juli habe ich denselben Versuch wiederholt mit dem gleichen Ergebnis.

      Am 8. Juli habe ich Wasser und Milch fortgelassen, es war nichts berührt.

      Endlich habe ich am 9. Juli auf meinen Tisch wieder nur Wasser und Milch gestellt, habe sorgfältig die Flaschen in weißen Mousselin eingewickelt und die Stöpsel zugebunden. Dann habe ich mir Lippen, Bart, Hände, mit Graphit vom Bleistift eingerieben und mich zu Bett gelegt.

      Der bleierne Schlaf hat mich überfallen und bald kam das fürchterliche Erwachen. Ich hatte mich nicht bewegt, sogar meine Bettücher zeigten keine Spuren, daß der Graphit abgefärbt. Ich stürzte auf den Tisch zu, der Mousselin, in den ich die Flaschen gewickelt, war unverletzt. Ich knüpfte den Bindfaden auf, zitternd vor Angst. Das ganze Wasser war ausgetrunken und die ganze Milch. O, mein Gott!

      Ich werde sofort nach Paris reisen.

      12. Juli. – Paris. – Ich hatte also diese letzten Tage völlig den Kopf verloren. Ich muß der Spielball meiner nervös überreizten Einbildungskraft gewesen sein, oder ich müßte wirklich Nachtwandler sein oder einer jener, übrigens wissenschaftlich durchaus festgestellten, Einwirkungen unterlegen sein, die man bisher nicht hat erklären können und die man Suggestion nennt. Jedenfalls näherte sich meine verrückte Stimmung dem Wahnsinn und vierundzwanzig Stunden in Paris haben mich wieder zur Vernunft gebracht.

      Gestern habe ich, nachdem ich nachmittags Besuche und Besorgungen gemacht, die mir frische, belebende Luft in die Seele trugen, den Tag im Theater Français beschlossen. Man spielte ein Stück von Alexander Dumas dem jüngeren, und der muntere, lebenskräftige Geist der daraus wehte hat mich vollkommen wieder geheilt. Die Einsamkeit ist eben gefährlich für einen Grübler! Wir brauchen Menschen um uns, die denken und sprechen. Wenn wir lange allein sind, bevölkern wir die Einsamkeit mit Spukgestalten.

      Ich bin sehr fröhlicher Laune über die Boulevards ins Hotel zurückgekehrt. Im Menschen-Gewühl dachte ich mit einiger Ironie an meine Schrecknisse zurück, an die Gedanken, denen ich vorige Woche nachgehangen. Denn ich dachte wirklich, jawohl, ich habe es gedacht, daß ein unsichtbarer Geist neben mir unter meinem Dach lebte. Wie schwach ist unser Verstand! Wie schnell verliert er sich, sobald uns irgend ein kleines, nicht gleich faßbares Ereignis begegnet!

      Statt den Schluß zu ziehen, ich verstehe nicht, weil ich die Ursache nicht kenne, denken wir sofort an gräßliche Wunder und übernatürliche Mächte.

      14. Juli. – Fest der Republik. – Ich bin auf den Straßen spazieren gegangen. Die Kanonenschläge und Fahnen machten mir Spaß, wie einem Kinde. Es ist doch eigentlich zu thöricht, zu einem bestimmten Termin auf Befehl der Regierung lustig zu sein. Das Volk ist eine Herde von Dummköpfen, manchmal unglaublich geduldig und manchmal empört wie wilde Tiere. Man spricht zu ihm: Lache! und es lacht; man sagt zu ihm: schlage dich mit deinem Nachbar – es zieht in den Kampf. Man sagt: Wähle den Kaiser – es wählt den Kaiser, und dann sagt man ihm wieder: gieb für die Republik deine Stimme ab, – und es stimmt für die Republik.

      Die Menschen, die das Volk leiten, sind ebenso dumm, nur daß sie statt Menschen zu gehorchen, Grundsätzen folgen, die doch nicht anders als thöricht und falsch sein können, gerade, weil sie eben Grundsätze sind, das heißt, versteinerte, fest stehende Gedanken, die allgemein anerkannt sind in dieser Welt, wo man nichts sicher weiß, wie Licht und Schall nur Vorstellungen von uns sind.

      16. Juli. – Ich habe gestern Dinge erlebt, die mich tief ergriffen haben.

      Ich aß bei meiner Cousine, Frau Sablé, deren Mann Kommandeur der sechsundsiebzigsten Jäger in Limoges ist. Ich traf bei ihr mit zwei jungen Frauen zusammen, deren eine einen Arzt geheiratet hat, Dr. Parent, der sich vielfach mit Störungen des Nervensystems und jenen außergewöhnlichen Manifestationen der Nerven beschäftigt, zu denen augenblicklich die Erfahrungen auf dem Gebiete des Hypnotismus und der Suggestion Veranlassung geben.

      Er erzählte uns ausführlich ganz wundersame Ergebnisse, die englische Gelehrte und Ärzte in Nancy erzielt.

      Die Thatsachen, die er mitteilte, erschienen mir so seltsam, daß ich meiner Ungläubigkeit Ausdruck gab.

      »Wir sind eben dabei«, sagte er, »eines der wichtigsten Geheimnisse der Natur zu ergründen, ich meine eins ihrer wichtigsten Geheimnisse auf unserer Erde, denn in der Sternenwelt da oben giebt es sicher noch viel wichtigere. Seitdem der Mensch denkt, seitdem er seine Gedanken ausdrücken und niederschreiben kann, fühlt er ein Geheimnis um sich, das er mit seinen unvollkommenen und viel zu grob empfindenden Sinnen nicht zu durchdringen vermag. Mit Anspannung aller Verstandeskräfte sucht er dem Unvermögen seiner Organe zu Hilfe zu kommen. Als dieser Verstand noch im rudimentären Zustand war, nahmen diese unsichtbaren Erscheinungen lächerliche schreckliche Formen an. Damals entstanden der Volksglaube an das Übernatürliche, Märchen von umherspukenden Geistern, von Feen, Gnomen Gespenstern, ich meine sogar das Märchen von Gott, denn unsere Vorstellung vom Schöpfer der Welt, sei es nun in dieser oder jener Religion, ist eigentlich nichts weiter, als eine recht mittelmäßige Erfindung und der thörichtste unannehmbarste Ausfluß des geängstigten Hirnes der Kreatur. Es giebt kein wahreres Wort, als was Voltaire einmal gesagt hat: Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen, doch der Mensch hat's ihm wohl vergolten.

      Aber seit länger als einem Jahrhundert meint man etwas ganz Neuem auf der Spur zu sein. Mesmer und einige andere haben uns einen ganz unerwarteten Weg gewiesen und wir sind wirklich, besonders seit vier oder fünf Jahren, zu ganz erstaunlichen Ergebnissen gelangt.«

      Meine Cousine lächelte auch sehr ungläubig, Dr. Parent sprach zu ihr:

      »Gnädige Frau, soll ich einmal versuchen, Sie einzuschläfern?«

      »Meinetwegen.«

      Sie setzte sich in einen Lehnstuhl und er begann sie starr anzublicken. Ich fühlte mich plötzlich erregt, das Herz schlug mir, die Kehle war mir wie zugeschnürt, ich sah, wie Frau Sablés Augenlieder schwer wurden, wie ihr Mund sich verzog, ihre Brust sich hob und senkte.

      Nach zehn Minuten schlief sie.

      »Stellen Sie sich hinter sie«, befahl der Arzt.

      Und


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