Lotti, die Uhrmacherin. Marie von Ebner-EschenbachЧитать онлайн книгу.
aus-gestochen der Unruhkloben und die Stellungsflügel, und wie schön verziert die beiden und die Klobenplatte. Man sah der kleinen Dilger gar deutlich die Liebe an, mit welcher sie ausgeführt, und auch die, mit welcher sie zeitlebens gehegt und gepflegt worden war. Ihr gehörte Lottis letzter und zärtlicher Blick, bevor sie die Lade zuschob und dabei dachte: Ja, meine Uhren – die machen mir noch das Sterben schwer!
In diesem Augenblick wurde die Zimmertür geöffnet.
»Guten Morgen«, sprach eine tiefe und wohlklingende Stimme. Lotti wandte sich rasch: »Du, Gottfried? Ist es denn schon acht Uhr?«
»Noch nicht«, war die Antwort, »ich bin heute unpünktlich.« »Zeichen und Wunder«, rief Lotti, »was ist geschehen? Was gibts'?«
Gottfried war an den Arbeitstisch getreten. Er hob die kleinen Glasglocken von den Uhren, welche darunterlagen, und nahm diese in den allergenauesten Augenschein.
»Du bist ja fertig«, sagte er nach einer Weile.
»Beinahe – aber antworte mir doch – was gibt's?«
Er richtete sich empor, sah Lotti mit geheimnisvoller Miene, halb freudig, halb zweifelnd, an und sagte: »Eine Überraschung.«
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»Eine Überraschung?« wiederholte Lotti mit einem Anfluge von Sorge, »wenn ich Überraschungen nur zu schätzen wüßte.«
»Diese wird dir gefallen«, entgegnete Gottfried. »Ich habe einen Laden gemietet und bereits eingerichtet.«
Lotti schlug die Hände zusammen und konnte vor Staunen nur die Worte herausbringen: »Aber nein!... Aber wo?«
Nun, nirgends anders als gleich nebenan in der breiten belebten Straße, die zum Domplatze führt. Ein allerliebster kleiner Laden, an dessen Ausschmückung seit acht Tagen eifrigst gearbeitet wurde, der ein schönes Fenster bekommen hatte aus einem Stück tauklaren Glases und eine geschmackvolle Vitrine mit feiner Einfassung aus Ebenholz. In dieser lagen seit gestern eine Kalenderuhr von Audemars und ein Chronometer von Dent inmitten anderer Uhren aus den vornehmsten Häusern.
Lotti war bewundernd vor ihnen stehengeblieben, aber heute erfüllte deren Kostbarkeit sie mit Schrecken. »Ein solcher Wert!« meinte sie, »ein so großes Kapital!« Es schien ihr fast zu kühn, daß Gottfried die Bürgschaft dafür übernommen hatte.
Er jedoch war durchdrungen von Ruhe und Zuversicht.
Seit langer Zeit hatte er seine Vorbereitungen getroffen. Der Meister, der ihn beschäftigte, die Freunde, die er sich noch während seiner Lehrzeit erworben, unterstützten und förderten ihn dabei auf das kräftigste. Als ob es sich an ihm erproben sollte, daß nicht bloß diejenigen Vertrauen erringen, die es nicht wert sind, sondern manchmal doch auch einer, der es verdient, fand er allenthalben bereitwilliges Entgegenkommen. Es wurden ihm so billige und günstige Bedingungen gemacht, daß er, um in seinem Geschäfte zu bestehen, keineswegs auf ein besonderes Glück zu rechnen, sondern nur auf das Ausbleiben eines raffinierten Unglücks zu hoffen brauchte.
Das setzte er Lotti auseinander, die ihm aufmerksam und immer freudiger zuhörte und endlich meinte, in der ganzen Geschichte gäbe es zwei verwunderliche Dinge; erstens, daß er sich zu dem jetzt gefaßten Entschluß solange nicht gebracht, und zweitens, daß er sich doch dazu gebracht. Was sie von der Sache halte, wisse er; hatte sie ihn nicht schon vor Jahren beschworen, sich auf eigene Füße zu stellen?
Gottfried erwiderte, seine Pedanterie sei schuld, daß es nicht früher geschehen. Er hatte sich's einmal vorgesetzt, sein Geschäft nicht anzufangen, wenn er dazu auch nur einen Heller fremden Geldes brauchen würde. Um jedoch alles aus Eigenem bestreiten zu können, dazu habe es eben viel Zeit gebraucht.
»Und gut angewandte, das weiß Gott«, meinte Lotti. »Heil dir, daß du gleich so stattlich ausrücken kannst an der Spitze von Dents und Audemars'...«
»Die beide schon halb und halb verkauft sind«, fiel er ihr ins Wort.
»Gottfried, du machst mich übermütig! Einen Wunsch hast du mir erfüllt, der schon vor Altersschwäche erloschen war – jetzt wird ein zweiter, dem es ähnlich ergangen, lebendig. Du mußt heiraten, Gottfried.«
Er richtete seine kleinen, glänzenden braunen Augen fest auf sie und sprach ganz unternehmend: »Warum nicht?«
»Das sag ich ja«, rief Lotti, »warum nicht? Warum solltest du die brave Frau nicht finden, die du verdienst? Nur suchen heißt es, nur sich ein wenig bemühen, nur nicht, wie du es bisher getan hast, jeder Gelegenheit aus dem Wege gehen, mit einem jungen Mädchen zusammenzukommen, das vielleicht denken könnte: Dieser Gottfried Feßler wäre kein übler Mann für mich.«
Er lachte. »Ein junges Mädchen denkt das nicht.«
»Ich meine auch kein sechzehnjähriges.«
Lotti hatte sich an den Arbeitstisch begeben und begann die reparierten Uhrwerke in ihre Gehäuse einzusetzen.
Gottfried stand am Fenster und sah ihr zu. »Wann wird die Bestellung abgeliefert werden?« fragte er nach einer kleinen Weile.
»Kann morgen geschehen.«
»Tu es selbst, ich bitte dich, und nimm zugleich Abschied von dem Meister. Du darfst für ihn nicht mehr arbeiten.«
Lotti blickte ein wenig betroffen empor. »Abschied nehmen – das wäre schon gut, aber – so plötzlich, so ohne weiteres? Ich bin ihm Dank schuldig, er hat immer Rücksicht auf mich genommen, mich nie ohne Arbeit gelassen, immer gut und rasch bezahlt.«
»Rasch ja, gut – nein. Mache dir keine Sorgen. Ich habe den Herrn bereits darauf vorbereitet, daß er jetzt seine beste Arbeiterin verliert. Wie leid ihm ist, mag Gott wissen, aber begreiflich muß er's finden, daß du dich von nun an für niemanden mehr plagen wirst als für mich, was soviel heißt als für dich selbst, denn – nicht wahr?...« Er war plötzlich in heiße Verlegenheit geraten und stockte. »Oh«, nahm er bald wieder das Wort, »da hätte ich beinahe vergessen! Der Herr bittet dich nur noch um einen letzten Freundschaftsdienst. Du möchtest so gut sein, diese Uhr anzusehen. Ist sehr fein, sagte er, hat dein Lieblingsechappement.«
»Duplex also.«
»Jawohl. Er weiß gerade keinen Arbeiter, dem er sich getraut, sie in die Hand zu geben. Überdies hat's Eile. Morgen abend möchte er sie wiederhaben.«
Gottfried stellte ein hölzernes, mit Messing eingelegtes Kästchen vor Lotti hin. Die wandte demselben den Blick eines teilnehmenden Arztes für einen Patienten zu und fragte: »Was fehlt denn?«
»Weiß nicht«, erwiderte Gottfried, »aber ich glaube, nicht viel. Der Herr hat mir eine lange Geschichte erzählt, er hat die Uhr von einem, der sie aus Leichtsinn oder aus Not losschlug, um ein Spottgeld. Will sie jetzt sehr teuer verkaufen, deshalb sollst du die Herstellung besorgen. Er schwatzte ein langes und breites, ich habe nicht zugehört. Es wäre auch überflüssig gewesen, nachdem ich wußte, was mich dabei anging.«
Lotti, die das Kästchen nicht mehr aus den Augen gelassen, hatte es geöffnet und dann auch – mit seltsamer Spannung und Hast – die Uhr, welche darin gelegen. Unverwandt starrte sie den Namen F. Alexi & Sandoz frères auf der Küvette und die Zahl an, die darunterstand.
»Verkauft – wie sagtest du? – aus Leichtsinn oder aus Not«, sprach sie gepreßten Tones.
»Freilich, freilich«, versetzte er, lehnte sich tiefer in das Fenster zurück, sah auf den Boden nieder und schien ernstlich und scharf nachzudenken. »Du wirst mich doch heute im Geschäft besuchen!« rief er plötzlich aus.
Lotti nickte bejahend; sie hatte bereits begonnen, die Uhr zu zerlegen.
»Das Schild ist noch nicht aufgemacht«, fuhr Gottfried langsam und zögernd fort, »aber fertig ist es schon. Es wird nicht aufgemacht, bevor du die Erlaubnis dazu gibst.« Er hielt inne, er wartete, aber vergeblich. Lotti schwieg, und so hub er denn nach abermaliger Pause von neuem an: »Denk nur, welche Freiheit ich mir genommen – denk nur – ich habe auf