Siebenkäs. Jean PaulЧитать онлайн книгу.
welche den veralteten Brautputz nach zehn Jahren von ungefähr aus dem Kleiderfache zog, und in deren Augen auf einmal alle Tränen über die süßen Irrtümer drangen, die sie in zehn Jahren verloren, wißt ihr denn das Gegenteil von der Beneideten so gewiß, die vor euch glänzend vorüberzieht? –
Ich wäre aber nicht unerwartet in diese fremde Tonart von Rührung ausgewichen, wenn ich mir nicht Lenettens Myrtenkränzchen unter dem Hute (ich wollte nur oben nichts von meiner Empfindung sagen) und ihr Alleinsein ohne eine Mutter und ihr angepudertes weißes Blumengesichtchen zu lebhaft vorgestellt hätte und vollends dazu die Bereitwilligkeit, womit sie ihre jungen weichen Arme (sie war schwerlich über neunzehn Jahre) in die polierten Handschellen und Kettenringe der Ehe steckte, ohne nur umzuschauen, an welche Plätze man sie daran führen würde ... Ich könnte hier die Finger aufheben und einen Schwur ableisten, daß der Bräutigam so gerührt war wie ich, wo nicht stärker; zumal wie er den Aurikeln-Puder aus dem Blüten-Gesichte gelind abstrich und die Blumen darin nackt aufblühen ließ. Aber er hatte sein mit Liebetränken und Freudentränen vollgegossenes Herz sehr behutsam herumzutragen, wenn es nicht überlaufen sollte zu seiner Schande vor dem lustigen Haarkräusler und dem ernsten Schulrate. Auch litt er das Überlaufen nicht an sich. Er versteckte, ja verhärtete gern die reinste Erweichung, weil er immer an die Poeten und Schauspieler dachte, welche die Wasserwerke ihrer Empfindung zur Schau springen lassen; und weil er überhaupt über niemand so oft lachte als über sich. Deshalb war heute sein Gesicht von einer sonderbaren lächelnden Verlegenheit, die nur von den naßschimmernden Augen die bessere Bedeutung erhielt, durchzogen und ausgezackt. Da er bald merkte, daß er sich noch nicht genug verberge, wenn er bloß den Handlanger des Perückenmachers und den Proviantkommissarius des Frühstücks vorstelle: so griff er zu einem stärkern Mittel und fing an, sich und seine bewegliche Habe vor Lenetten in ein schönes Licht zu setzen, und fragte: »Liegt meine Stube nicht artig genug, Mademoiselle? – Von hier aus kann ich grade in die Rathaus-Fenster auf den Sitztisch und die Dintenfässer gucken. – Viele von den Stühlen wurden im Frühjahr um vierthalbes Geld erstanden, und sind solche vielleicht niedlich. – Aber mein alter guter Großvaterstuhl« (er hatte sich hineingesetzt und auf dessen gepolsterten Arme seine magern hingestreckt) »geht den Stühlen vielleicht im Großvatertanz voran; wie sie so sanft ruhen, Arm auf Arm. – Mein Tischteppich hat gutgewirkte Blumen, aber das Kaffeebrett wird, hör' ich, wegen seiner lackierten Flora vorgezogen; in jedem Falle tragen beide das Ihrige in Blumen auf. – Mein Leyser ziert mit seinen schweinledernen Meditationen das Zimmer sehr – in der Küche sieht es noch schöner aus, ein Topf steht am andern und das übrige daneben, sogar der Hasenbrecher und die Hasengabel, zu denen sonst mein seliger Vater die Hasen geschossen.«
Die Braut lächelte so vergnügt ihn an, daß ich fast glauben soll, sie hat bis in ihre Fuggerei durch 20 aneinander gestellte Hör- und Sprachröhre fast alles von seinen 1200fl. rhnl. und den Interessen erhorcht; um so leichter begreif' ichs, wenn sich die Welt die Stunde zu erleben sehnt, wo er ihrs einhändige.
Es wird meinen Leserinnen nicht unangenehm zu erfahren sein, daß der Bräutigam jetzo einen leberfarbenen Ehren-Frack antat, und daß er ohne Halsstrang oder Binde und ohne Haarstrang oder Zopf zum hl. Werke in den Frühgottesdienst mit seiner Putzmacherin schritt, unterweges zu seinem eignen satirischen Vergnügen sich die verleumderischen Augen der Kuhschnapplerinnen vorstellend, womit sie der guten Fremden über den Markt bis zum Opferaltare ihres väterlichen Namens nachliefen. »Mäßiges Verleumden«, sagt' er von jeher, »sollte man einer Ehefrau, als einen geringen Ersatz ihrer verlornen Schmeicheleien, eher erleichtern als versalzen.- Der Schulrat Stiefel hütete die Hochzeitstube und entwarf auf dem Schreibtische eine kurze Rezension von einem Programm. – Ich sehe zwar jetzo das geliebte Paar am Altargeländer knieen und könnte dasselbe wieder mit meinen Wünschen, wie mit Blumen, bewerfen, besonders mit dem Wunsche, daß beide den Eheleuten im Himmel ähnlich werden, die allemal, nach Swedenborgs Vision, in einen Engel verschmelzen – wiewohl sie auf der Erde oft in der Hitze auch zu einem Engel, und zwar zu einem gefaltnen einkochen, woran des Weibes Haupt, der Mann, den stößigen Kopf des Bösen vorstellt – noch einmal wünschen könnt' ich, sag' ich; aber meine Aufmerksamkeit wird, so wie die aller Trauzeugen, auf eine außerordentliche Begebenheit und Vexiergestalt hinter der Liedertafel des Chors gelenkt. – –
Droben guckt nämlich herunter – und wir sehen alle in der Kirche hinauf – Siebenkäsens Geist, wie der Pöbel sagt, d.h. sein Körper, wie er sagen sollte. Wenn der Bräutigam hinauf schauet: so kann er erblassen und denken, er sehe sich selber. – – Die Welt irrt; rot wurd' er bloß. Sein Freund Leibgeber stand droben, der schon seit vielen Jahren ihm geschworen hatte, auf seinen Hochzeittag zu reisen, bloß um ihn zwölf Stunden lang auszulachen. Einen solchen Fürstenbund zweier seltsamer Seelen gab es nicht oft. – Dieselbe Verschmähung der geadelten Kinderpossen des Lebens, dieselbe Anfeindung des Kleinlichen bei aller Schonung des Kleinen, derselbe Ingrimm gegen den ehrlosen Eigennutz, dieselbe Lachlust in der schönen Irrenanstalt der Erde, dieselbe Taubheit gegen die Stimme der Leute, aber nicht der Ehre, dies waren weiter nichts als die ersten Ähnlichkeiten, die sie zu einer in zwei Körper eingepfarrten Seele machten. Auch dieses, daß sie Milchbrüder im Studieren waren und einerlei Wissenschaften, bis auf die Rechtsgelehrsamkeit, zu Ammen hatten, rechn' ich, da oft gerade die Gleichheit der Studien ein auflösendes Zersetzmittel der Freundschaft wird, nicht am höchsten an. Ja nicht einmal die bloße Unähnlichkeit ihrer ungleichnamigen Pole (denn Siebenkäs verzieh, Leibgeber bestrafte lieber, jener war mehr eine horazische Satire, dieser mehr ein aristophanischer Gassenhauer mit unpoetischen und poetischen Härten) entschied ihr Anziehen. Aber wie Freundinnen gern einerlei Kleider, so trugen ihre Seelen ganz den polnischen Rock und Morgenanzug des Lebens, ich meine zwei Körper von einerlei Aufschlägen, Farben, Knopflöchern, Besatz und Zuschnitt: beide hatten denselben Blitz der Augen, dasselbe erdfarbige Gesicht, dieselbe Länge, Magerheit und alles; wie denn überhaupt das Naturspiel ähnlicher Gesichter häufiger ist, als man glaubt, weil man es nur bemerkt, wenn ein Fürst oder ein großer Mann einen körperlichen Widerschein wirft. Daher wollt' ich ordentlich, Leibgeber hätte nicht gehinkt, damit man ihn nicht daran von Siebenkäsen unterscheiden können, zumal da dieser auch sein Kennzeichen, das ihn von jenem absondern konnte, geschickt wegradiert und weggeätzt hatte durch eine lebendige Kröte, die er auf dem Kennzeichen krepieren lassen; es war nämlich ein pyramidalisches Muttermal neben dem linken Ohr gewesen, von der Gestalt eines Triangels oder des Zodiakalscheins oder eines aufgestülpten Kometenschwanzes, eigentlich eines Eselohrs. Halb aus Freundschaft, halb aus Neigung zu tollen Szenen, die ihre Verwechslung im gemeinen Leben gab, wollten sie ihre algebraische Gleichung noch weiter fortsetzen – sie wollten nämlich einerlei Vor- und Zunamen führen. Aber sie gerieten darüber in einen schmeichelnden Hader: jeder wollte der Namenvetter des andern werden, bis sie den Hader endlich dadurch schlichteten, daß beide die eingetauschten Namen behielten und also die Otaheiter nachahmten, bei denen Liebende auch die Namen mit den Herzen wechseln. Da es schon mehre Jahre her ist, daß mein Held durch den befreundeten Namendieb um seinen ehrlichen Namen gekommen und dafür den andern ehrlichen eingewechselt: so kann ichs nicht anders machen in meinen Kapiteln, ich muß ihn als Firmian Stanislaus Siebenkäs in der Liste fortführen, wie ich ihn bei der Schwelle vorstellte – und den andern als Leibgeber –, ob mir gleich kein Kunstrichter zu sagen braucht, daß der mehr komische Name Siebenkäs besser für den mehr humoristischen Ankömmling passe, den einmal die Welt noch genauer kennen lernen soll als mich selber.»Und zwar in der längsten, aber besten Biographie, die ich je geschrieben und zu welcher mir täglich ganze Karren mit Aktenstücken, Urkunden, Attestaten u.s.w. vor die Tür geschoben werden, weil ich kein Wort schreiben will, das ich nicht verbriefen kann.« – Diese ganze Note stand in der frühern Auflage; ist aber wohl in der gegenwärtigen entbehrlich, da der Titan längst in aller Händen ist. – –
– Als beide Ebenbilder einander in der Kirche erblickten, lockerten und kräuselten sich ihre errötenden Gesichter sonderbar, über die der Zuschauer so lange lächelte, bis er sie mit den im flüssigen Feuer der gerührtesten Liebe schwimmenden Augen zusammenhielt. Leibgeber zog im Chore unter dem Ringwechsel eine Schere und ein schwarzes Quartblatt aus der Tasche und schnitt von ferne das Gesicht der Braut in sein Schattenpapier hinein. Die Schattenreißerei gab er gewöhnlich für die Proviantbäckerei auf seinen ewigen Reisen aus, und ich führe – da der seltsame Mann, wie es scheint, nicht entdecken will, auf welchen Höhen sich die