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Im heiligen Lande. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.

Im heiligen Lande - Selma Lagerlöf


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sich gern überreden, daß dies nur auf einem Zufall beruhe. »Man hat dort oben in den christlichen Stadtteilen vielleicht eine Verleumdung über uns verbreitet«, sagten sie. »Aber das wird sich schon geben.« Die alten Gordonisten erinnerten sich, daß schon mehrmals böse Gerüchte über sie im Umlauf gewesen waren. Man hatte von ihnen gesagt, daß sie ihren Kindern keine ordentliche Erziehung zuteil werden ließen, daß sie auf Kosten einer alten, reichen Witwe lebten und sie vollständig ausplünderten, daß sie ihre Kranken ohne Pflege daliegen und sterben ließen, weil sie Gott nicht in die Zügel greifen wollten, daß sie ein Leben in Üppigkeit und Trägheit führten, daß sie sich aber den Anschein geben, als arbeiteten sie daran, das wahre Christentum einzuführen.

      »Etwas von all diesem wiederholt sich jetzt«, sagten sie. »Aber die Verleumdung wird hinsterben, wie sie es das letztemal getan hat, weil sie kein Körnchen Wahrheit enthält.«

      Da aber geschah es, daß die bethlehemitische Frau, die jeden Tag kam und ihnen Obst und Gemüse verkaufte, plötzlich wegblieb. Sie suchten sie auf, um sie zu bewegen, wiederzukommen, aber sie erklärte ganz bestimmt, daß sie ihnen nie wieder Kräuter oder Bohnen verkaufen werde.

      Das war ein deutliches Zeichen. Sie begriffen jetzt, daß etwas Ehrenrühriges über sie erzählt wurde, es war etwas, das ihnen allen galt, und es war in allen Volksschichten ausgebreitet.

      Es währte nicht lange, bis sie eine neue Bestätigung erhielten. Einige von den Schweden standen eines Tages in der heiligen Grabeskirche, als eine Schar russischer Pilgrime dahinein kam. Die gutmütigen Russen lächelten und nickten ihnen zu; sie konnten sehen, daß sie Bauern waren, gerade so wie sie selbst. Aber im selben Augenblick kam ein griechischer Priester vorüber, und er sagte ein paar Worte zu den Pilgern. Augenblicklich bekreuzigten sich diese und drohten den Schweden mit geballten Fäusten; es sah so aus, als wollten sie sie aus der Kirche hinausjagen.

      Ganz in der Nähe von Jerusalem liegt eine Kolonie deutscher Bauern, die Sektierer sind. Schon vor vielen Jahren sind sie in das heilige Land gezogen. Daheim in ihrem Vaterlande wie auch hier in Palästina sind sie Gegenstand vieler Verfolgungen gewesen. Man hatte versucht, sie gänzlich auszurotten. Trotz alledem war es ihnen so gut ergangen, daß sie jetzt große, prächtige Kolonien in Caifa und ganz Jaffa besaßen, außer denen, die sie in Jerusalem selbst angelegt hatten.

      Einer von diesen Deutschen kam eines Tages zu Mrs. Gordon und sagte ihr ganz aufrichtig, er habe böse Gerüchte über sie und ihre Leute gehört. »Die Missionare da drüben«, sagte er und zeigte nach dem westlichen Teil der Stadt hinüber, »verleumden Euch. Hätte ich es nicht selbst erfahren, daß man ganz unschuldig an dem sein kann, weswegen man verfolgt wird, so würde ich Euch weder Fleisch noch Milch verkaufen. Aber ich verstehe ja, daß sie es nicht haben ertragen können, mitanzusehen, daß Ihr in der letzten Zeit so viele Anhänger gewonnen habt.«

      Mrs. Gordon fragte, wessen man sie denn beschuldige.

      »Sie sagen von Euch, daß Ihr ein lasterhaftes Leben hier in der Kolonie führt. Ihr gestattet Euren Leuten nicht, in den Stand der heiligen Ehe zu treten, wie Gott es befohlen hat, deswegen behauptet man, daß bei Euch nicht alles so zugeht, wie es zugehen sollte.«

      Die Kolonisten wollten ihm anfänglich nicht glauben. Aber sie merkten bald, daß er die Wahrheit geredet hatte, und daß alle Menschen in Jerusalem von ihnen glaubten, daß sie einen schändlichen Lebenswandel führten. Keiner von den Christen in Jerusalem wollte etwas mit ihnen zu schaffen haben. In den Gasthäusern wurden die Reisenden gewarnt, sie zu besuchen. Einige von den Fremden wagten sich freilich hin und wieder noch nach der Kolonie hinaus. Wenn sie von dort zurückkehrten, schüttelten sie geheimnisvoll den Kopf und sagten, sie hätten nichts Anstößiges bemerkt; aber sie meinten allerdings, es könne ja allerlei dort betrieben werden, was man nicht zu sehen bekomme.

      Die Amerikaner, von dem Konsul bis herab zu der geringsten Krankenpflegerin, waren am allergehässigsten gegen die Gordonisten. »Es ist eine Schande für uns alle, daß es Amerikaner sind,« sagten sie, »daß solche Menschen nicht aus Jerusalem hinausgejagt werden können.«

      Die Kolonisten waren natürlich klug genug, um sich selbst zu sagen, daß hierbei nichts zu machen sei, daß sie die Leute reden lassen mußten. Ihre Widersacher würden wohl einsehen, daß sie unrecht hatten. »Wir können doch nicht von Haus zu Haus gehen und erzählen, daß wir unschuldig sind«, sagten sie. Sie trösteten sich damit, daß sie ja einander hatten, und daß sie einig und glücklich seien. »Die Armen und die Kranken in Jerusalem haben noch nicht angefangen uns zu scheuen«, sagten sie. »Wir müssen dies vorüberziehen lassen; es ist eine Prüfung, die Gott uns schickt.«

      Gleich im Anfang ertrugen alle Schweden die häßlichen Verleumdungen mit großer Ruhe. »Sind sie hier draußen so verblendet,« sagten sie, »daß sie glauben, wir armen Bauern haben gerade diese Stadt aufgesucht, in der unser Heiland starb, um ein schändliches Leben zu führen, dann ist ihr Urteil nicht viel wert, und dann ist es ganz gleichgültig, was sie meinen.«

      Und als die Leute fortfuhren, sie mit Verachtung zu behandeln, war es ihnen eine Freude, zu denken, daß Gott sie würdig erachtete, Verfolgung und Verhöhnung in derselben Stadt zu erleiden, wo man Christus verspottet und gekreuzigt hatte.

      Aber als es Oktober geworden war, kam eines Tages ein Brief an des Gemeindevorstehers Gunhild. Er war von ihrem Vater. Er schrieb, um ihr zu erzählen, daß ihre Mutter gestorben sei. Der Vater machte ihr keine Vorwürfe, er schrieb nur von der Krankheit und dem Begräbnis. Man konnte wohl merken, daß der alte Gemeindevorsteher bei sich gedacht hatte: »Ich will ihr schonend schreiben, sie wird ohnedies schon unglücklich sein.«

      Er hatte den ganzen Brief in derselben milden Gemütsstimmung geschrieben, bis er seinen Namen darunterschrieb. Aber da hatte der zurückgehaltene Zorn ihn plötzlich übermannt. Er hatte die Feder schnell und tief in das Tintenfaß getaucht, und mit großen, eckigen Buchstaben hatte er ganz unten an den Rand des Briefes geschrieben:

      »Deine Mutter hätte den Kummer über Deine Abreise vielleicht überwinden können, aber sie nahm ihren Tod über das, was im Missionsblatt stand, daß Ihr da drüben in Jerusalem ein schändliches Leben führtet. So etwas hatte niemand hier erwartet, weder von Dir noch von denen, in deren Gesellschaft du fortgereist bist.«

      Gunhild steckte den Brief in die Tasche; sie ging den ganzen Tag damit herum, ohne mit jemand darüber zu reden.

      Sie zweifelte nicht daran, daß der Vater die Wahrheit geschrieben hatte in bezug auf das, was den Tod der Mutter verursacht hatte. Die Eltern waren immer sehr ehrliebend gewesen und sehr genau in bezug auf ihren guten Ruf. Sie hatte auch etwas davon, niemand in der ganzen Kolonie hatte so sehr darunter gelitten, Gegenstand der Verachtung zu sein. Ihr half es nichts, daß sie selbst wußte, sie war unschuldig; sie fühlte sich doch beschimpft, und es war ihr, als könne sie sich nicht unter Menschen sehen lassen. Schon seit langer Zeit hatte sie sich gegrämt und sich von den bösen Zungen gepeinigt gefühlt, wie von brennenden Wunden. Und nun hatten sie ihrer Mutter das Leben genommen.

      Gertrud und Gunhild bewohnten dasselbe Zimmer. Sie waren immer die besten Freundinnen gewesen; aber Gunhild sprach nicht einmal mit Gertrud über das, was der Vater ihr geschrieben hatte. Sie fand es unrecht, Gertruds Freude zu stören, die sie darüber empfand, hier in Jerusalem zu sein, wo alles mögliche ihr die Erinnerung an ihren Heiland nahe brachte.

      Aber den ganzen Tag hindurch nahm Gunhild den Brief wieder und wieder hervor. Sie wagte nicht, ihn zu lesen; nur wenn sie ihn ansah, zog sich schon ihr Herz zusammen in beißendem Kummer. »Ach, könnte ich doch sterben,« dachte sie, »ich werde ja nie wieder glücklich. Ach, könnte ich doch sterben!«

      Sie saß da und betrachtete den Brief. Sie fühlte, daß er ein Gift enthielt, das sie töten würde. Sie hoffte nur, daß es schnell gehen und bald vorüber sein möge.

      Am nächsten Tage kam Gunhild durch das Damaskustor gegangen. Sie war in der Stadt gewesen und wollte jetzt nach Hause, nach der Kolonie.

      Es war ein außerordentlich warmer Tag, was gegen Ende Oktober, ehe der Herbstregen noch begonnen hat, häufig der Fall ist. Als Gunhild aus der finsteren Stadt herauskam, wo Häuser und Bögen Schutz gegen die Sonne gewährt hatten, war


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