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Im heiligen Lande. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.

Im heiligen Lande - Selma Lagerlöf


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zu erzählen, die sie schon längst gehört hatte? Sie hatte Lust, ihnen zuzurufen, daß sie ihr die tiefen Geheimnisse des Reiches Gottes offenbaren sollten, während die beiden Alten an nichts weiter dachten, als an eine elende Zänkerei darüber, wer am größten an Ehre und Macht sei.

      Auch die Stimme der Glocke klang ungeduldig: »Es ist hart, wieder und wieder auf die Anschuldigung antworten zu müssen, daß ich nicht der bin, für den ich mich ausgebe. Du entsinnst dich doch, daß schon die ersten Christen mich zu besuchen pflegten, um die Erinnerung an die großen Begebenheiten aufzufrischen, die rings um Golgatha her stattgefunden hatten?«

      »Ja,« antwortete die Moschee, »das alles mag ja wahr genug sein, aber ich bin fest überzeugt, daß du den Christen zwischen neuaufgeführten Straßen und Häuserreihen entschwunden bist, als sich die Stadt erweiterte und Herodes Antipas die neue Ringmauer erbaute.«

      »Ich bin ihnen entschwunden,« erwiderte das heilige Grab, »sie scharten sich beständig um Golgatha, bis die Belagerung von Jerusalem begann, als sie die Stadt verließen.«

      Hierauf erwiderte der heilige Fels nicht ein einziges Wort. Er schien überwältigt zu sein von den traurigen Erinnerungen, die hervorgerufen wurden.

      »Denn der Tempel ward zerstört,« rief die Kirche, »der heilige Tempelgrund ward von Ruinen bedeckt, und Roms Kaiser befahl, daß diese Ruinen nicht fortgeschafft werden durften. Sechshundert Jahre lagst du, o Fels, unter Schutt und Asche begraben.«

      »Was sind sechshundert Jahre für mich«, erwiderte der Fels erzürnt und stolz. »Niemand kann doch daran zweifeln, daß ich auf meinem Platz bin, aber um dich ist immer Streit gewesen.«

      »Wie kann Streit um mich sein, der ich durch ein Wunder Gottes wiedergefunden wurde?« erwiderte die Kirche mit demütiger Freude. »Das war, als die Kaiserin Helena, die eine Christin und Heilige war, in einem Traum den Befehl von Gott erhielt, nach dem heiligen Lande zu ziehen und die Heiligtümer auf den erinnerungsreichen Stätten aufzubauen.«

      »Ach ja, ich entsinne mich der Tage, als die Kaiserin nach Jerusalem kam. Ich entsinne mich ihres Gefolges von Fremden und gelehrten Männern. Ich entsinne mich, wie sie zu Anfang vergebens nach der Stätte spähten, wo das heilige Grab zu finden war.«

      »Aber zu jener Zeit lag ungefähr mitten in der Stadt ein Venustempel, und die Kaiserin hörte, daß Kaiser Hadrian ihn an einem Ort hatte aufführen lassen, den einst die Christen heilig hielten. Sie ließ den Tempel abbrechen, und es zeigte sich, daß er über Golgatha erbaut war. Unter dem Tempelgrunde fand man, vollständig unbeschädigt und auf diese Weise der Nachwelt erhalten, sowohl das heilige Grab als auch den Felsen Golgatha mit dem Grabe Melchisedeks und die Spalte in dem Berge, aus der, wie man behauptete, noch Blut floß. Man fand auch den Salbungsstein– – –«

      Jetzt unterbrach die Moschee die Rede mit einem lauten Hohngelächter. »Aber höre nun den letzten und wichtigsten Beweis,« fuhr die Kirche fort, ohne sich stören zu lassen.« Nichts wünschte die Kaiserin so sehr, als das heilige Grab wiederzufinden, aber das war vollständig verschwunden. Erst nach langem, vergeblichem Suchen kam ein alter, weiser Mann zu der Kaiserin und erzählte ihr, das Kreuz liege tief unter der Erde versteckt. Er beschrieb die Stelle, wo es zu suchen sei. Man müsse tief graben; denn die Soldaten hatten das Kreuz in einen der Wallgräben geworfen und ihn bis zum Rande mit Steinen und Erde angefüllt. Und ich kann noch die fromme Kaiserin sehen, wie sie dort am Rande des Wallgrabens saß und ihre Arbeiter ermunterte. Ich entsinne mich auch des Tages, als das heilige Kreuz auf dem Grunde des alten Grabens gefunden wurde.«

      Die Kirche redete jetzt ganz allein. Sie ließ sich nicht dadurch stören, daß von der Moschee her höhnische Rufe und spöttisches Gelächter erklangen.

      »Ich entsinne mich der Reihe von Wundern, die der Wiederauffindung des Kreuzes folgten. Ich glaube, selbst du wagst nicht, sie zu bestreiten. Auch du hast die Freudenrufe der Kranken gehört, die durch die heilige Reliquie geheilt wurden. Auch du entsinnst dich der Pilgrimzüge, die aus allen Ländern herbeiströmten. Du entsinnst dich der vielen frommen Männer, die sich in den Felsenschluchten Palästinas niederließen. Du entsinnst dich aller der Klöster und Kirchen, die aus der Erde emporschossen.

      Oder hast du, o Fels, die herrlichen Gebäude vergessen, die Konstantin und seine Mutter über dem heiligen Grabe aufführen ließen? An der Stelle, wo das Kreuz gefunden wurde, ward eine Basilika erbaut, aber über der Felsengrotte des heiligen Grabes errichtete man eine schöne Rundkirche.

      Sicherlich erinnerst du dich, o Fels, der griechischen Baumeister, die diese Gebäude mit ebenso großer Pracht aufführten, als seien es Gemächer in einem Kaiserschloß. Du entsinnst dich sicher der Karawanen, die über die Berge dahergezogen kamen, mit den kostbarsten Steinen und Gold beladen, die zu der Ausschmückung der Kirche erforderlich waren. Du erinnerst dich der Porphyrsäulen und der silbernen Kapitäle. Du entsinnst dich der Mosaikwölbung der Grabeskirche, du entsinnst dich der schmalen Fenster, durch die das Licht hineinfiel, das sich in Scheiben aus Alabaster und farbigem Glas brach, bis jeder Lichtstrahl blitzte, als ginge er von einem Diamanten aus. Du entsinnst dich des geschnitzten Gitterwerks um die Emporen, der doppelten Säulenreihe und der Kuppel, die stark und licht über dem Gebäude schwebte. Du entsinnst dich mitten in der Kirche der Grotte des heiligen Grabes, die ungeschmückt und unberührt in all dieser Pracht ruhte.

      Und die Zeit nach der Errichtung dieser Gebäude! Du entsinnst dich wohl, daß alle Christen im Morgenlande Jerusalem als ihre heilige Stadt betrachteten, daß nicht nur schnell davonziehende Pilger allein sie besuchten. Entsinnst du dich nicht mehr, wie Bischöfe mit ihrem Gefolge von Priestern kamen und ihre Kirchen und Schlösser rings um die Grabeskirche bauten? Sahest du nicht den Patriarchen der Armenier ebenso wie den der Griechen und der Assyrer ihre Throne hier errichten? Und sahest du nicht Kopten aus dem alten Ägypten und Abessinier aus dem Herzen Afrikas kommen? Du sahest Jerusalem wieder aufgebaut, eine Stadt von Kirchen und Klöstern, von Gasthäusern und frommen Stiftungen. Du weißt, daß sein Glanz größer war denn je.

      Aber dies alles war mein Werk, o Fels. Du lagest damals vergessen und unbeachtet auf dem Berge Moria. Du warst mit Ruinen bedeckt und unter einem Aschenhaufen verborgen, niemand erinnerte sich deines Daseins.«

      Auf diese Herausforderung erwiderte die Felsenkirche:

      »Was sind einige Jahre der Erniedrigung für mich?! Bin ich nicht beständig der, der ich bin? Es vergingen nur wenige Jahrhunderte, dann kam eines Nachts ein alter, ehrwürdiger Mann mit einem gestreiften Mantel eines Beduinen und dem Turban aus Kamelhaaren auf dem Kopfe zu mir. Dieser Mann war Mohammed, der Prophet Gottes. Er ward lebend in den Himmel aufgenommen, und sein Fuß ruhte auf meiner Stirn, als er von der Erde weggenommen wurde. Im selben Augenblick erhob ich mich durch eigene Kraft mehrere Fuß über der Erde, vor Sehnsucht, ihm folgen zu dürfen. Ich erhob mich aus Schutt und Asche, und ich bin der Ewige, der niemals vergehen kann.«

      »Du ließest dein Volk im Stich, Verräter!« klagte die Kirche. »Du verhalfst den Gläubigen zur Macht.«

      »Ich habe kein Volk, ich diene keinem, ich bin der ewige Fels. Der, der mich anbetet, den beschütze ich. Bald kam der Tag, da Omar seinen Einzug in Jerusalem hielt und der große Kalif den Tempelplatz reinigen ließ und selbst einen Korb voll Schutt auf seinen Kopf nahm und ihn forttrug. Und einige Jahre später führten Omars Anhänger auf mir das prächtigste Gebäude auf, das das Morgenland jemals gesehen hat.«

      Hier unterbrach ihn die Glockenstimme mit ihrer ganzen Heftigkeit: »Ja, das Gebäude ist schön, aber weißt du nicht, woher es stammt? Meinst du, daß ich diese Mosaikgewölbe nicht kenne und diese herrliche Kuppel, diese Marmorwände, unter denen es in ungeschmückter Einfachheit ruht, wie einstmals das heilige Grab in der Rundkirche Helenas? Deine ganze Moschee ist nach dem Muster der ersten Grabeskirche gebaut.«

      Mrs. Gordon wurde immer ungeduldiger. Der Streit der beiden Heiligtümer erschien ihr ärmlich und kleinlich. Nicht einen einzigen Gedanken hatten sie für die verschiedenen Religionen übrig, deren Abbild sie waren. Sie dachten nur daran, mit den Gebäuden zu prahlen, die sie bedeckten.

      Die Moschee fuhr fort: »Ich erinnere mich an gar manches, nicht aber, daß ich die schöne Grabeskirche gesehen habe,


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