Wrong turn. Juryk BarelhavenЧитать онлайн книгу.
ihnen gesteckt haben, dass wir Handel mit anderen Gangs haben und wir uns gegenseitig helfen.“
„Stimmt das denn?“
„Nein, aber kann man nie wissen, was?“
„Du meinst, sie gehen eher davon aus, dass ihre Feinde zu uns gehören und wollen stattdessen auch ein Teil vom großen Ganzen sein? Um bloß nicht einen Nachteil zu haben?“
„Eine kleine Gang ist schnell ausradiert. Aber bei zwanzig kleinen Gangs sieht die Sache schon anders aus. Sie haben mehr davon, uns zu dulden und mit uns zu handeln.“ Roxanne lächelte bei dem Gedanken, dass diese Gangs vereint eine regelrechte Armee darstellten und es selbst nicht mal wussten oder ahnten. „Alle Menschen sehnen sich nach Ordnung, nach Hierarchie.“
„Und einer Königin? Fehlt da nicht noch eine Krone?“
„Man ist erst eine Königin, wenn die Herrschaft legitimiert ist. Und ich habe keine Lust Babyköpfe zu küssen und in einem stinkenden Pelzmantel stundenlang auf einem Thron zu sitzen.“ Sie schaute zur Leiche zurück und zog eine Miene, als müsste sie angestrengt nachdenken. „Doch du könntest Recht haben. Das war schon der Zweite in diesem Monat, der mich herausforderte. Wir setzen alle Partys aus, bis die beiden Idioten gefasst wurden! Was wollen die denn jetzt?“ fragte Roxanne und starrte zur Autobahnauffahrt in der Ferne, wo sich etwas anbahnte.
Tec drehte sich um und holte sein Fernglas hervor.
Er erkannte eine Front aus etwa zwei Dutzend schweren Jeeps, die eine Menge Staub aufwirbelten, während sie sich der Fabrik näherten. Das Symbol des schwarzen Pike-Ass, was auch sonst. BlackOrder. Tec erkannte auch eine Reihe aus Motorrädern, auf denen paarweise BlackOrder-Soldaten saßen, die weit abgeschlagen den Jeeps folgten und sich in großer Entfernung positionierten. Tec zweifelte nicht daran, dass sich auch einige Scharfschützen gerade bereithielten.
BlackOrder.
Schon immer gab es Verbrecherorganisationen, die von ihren Mitgliedern unbedingte Treue und ein Höchstmaß an kriminelle Energie erwarteten, doch bei dem Gründer von BlackOrder galten Mordlust und Zerstörungswut als Tugenden. Der Mann namens King Mike war der Waffenmeister von Oasis, der ungekrönte König des Dunklen Landes und der Kanzler der Verstoßenen. Aus den Resten der „BlackSkins“, der „Dragonheads“ und den „47.Swam“ formte King Mike ein Verbrechen an der Gesellschaft. Nur die härtesten und gefährlichsten Männer und Frauen – mitleidlos und aggressiv – durften nur für einen Zweck existieren: das Reich auszuweiten und die Macht des Anführers zu nähren. Freie Gesellschaften wurden ausgemacht, überfallen und ihre schwächsten Mitglieder gefangengenommen oder getötet. Diejenigen, die in den Zellen unter dem Hauptquartier in Dunkelheit ausharren mussten, dienten BlackOrder auf mancherlei Arten: Sklaverei, Prostitution oder als Fleischlieferant. Und sie waren weit im Westen zuhause – was also taten sie hier?
„Sie sehen aus, als kämen sie, um eins aufs Maul zu kriegen“, seufzte Roxanne. „Das sollte nicht sein, Tec. Wir haben keinen Krieg. Das geht so nicht.“
„Was, wenn King Mike von unserem Missgeschick gehört hat und uns seine Hilfe anbietet?“ Er spürte, dass sie ihn anstarrte und schüttelte schnell den Kopf.
„King Mike ist ein Arsch. Kümmere dich darum, Tec. Mach das Empfangskomitee und sag allen, dass sie ihre Waffen bereithalten sollen. Ich will diese Typen nicht auf meinem Land haben.“
Wenige Minuten später stand Tec, umgeben von einigen Trupps zu Fuß, auf Bikes und auf Jeeps – also knapp fünfzig Mann – vor den heranrollenden Wagen. Keinesfalls zu früh. Mit einem Ruck kam der zentrale Wagen, der den anderen ein wenig vorausfuhr, zwischen dem Steppengewächs zum Stehen. Die Türen platzten auf und spuckten einen Trupp Soldaten aus. Natürlich verurteilte Verbrecher, aber wer sich bei der BlackOrder einreihen wollte, musste sich dem Drill und den Regeln beugen, die jeder Kadettenschule zur Ehre gereicht hätte. BlackOrder-Soldaten trugen die Haare kurz, bewegten sich wie erfahrene Feldkämpfer und salutierten in ihrem Einheitslook (schwarze Stiefel, weite Hosen und kurze Hemden) wie ein Bataillon aus GreenBerets.
Und dann kam er.
Gehüllt in schwarzes Leder und einer Strumpfmaske aus schwarzem Samt stolzierte King Mike wie ein General; eher wie ein Schurke aus Star Wars und maß aus tiefen schwarzwirkenden Augen Tec an. Er hatte eine herablassende Art an sich, die schon fast an Gefühlskälte heranreichte. Er war groß, hager und hatte stechende olivgrüne Augen, die alles durchscheinen konnten. Seine Nase war im Laufe der letzten Monate mehrfach gebrochen worden und wirkte wie ein Fehlgriff der Natur. Seine Strumpfmaske nahm er nur selten ab.
„Ihr müsst King Mike sein“, begrüßte Tec den Mann vor sich und deutete eine Verbeugung an. Äußerlich ruhig zitterte er innerlich vor Ärger, aber auch vor Angst. Wozu gab es Regeln für so etwas? Ob aufgeschrieben oder nicht war nebensächlich – jede Person auf Oasis sollte wissen, wie das hier zu laufen hatte, wie ein Deal zu laufen hatte, den man mit Queen Roxanne traf, verdammt! Und die letzte Regel lautete: BlackOrder bleibt im Westen – PureSky bleibt im Osten! Wenn ihr etwas wollt, dann schickt einen Boten. Punkt.
Tec wusste genau, was Roxanne von ihm erwartete. Seine Queen wusste, wann man Stärke und Überlegenheit zeigen musste. Nämlich immer.
Er bemühte sich ruhig zu sprechen. „Was ist Euer Begehr?“
King Mike war kein muskulöser Mann, eher schmächtig als athletisch, aber seine kühlen Augen strahlten eine Kälte aus, die jedem Eisbrecher schockiert hätte. Doch auch seine Augen erzählten eine Geschichte: sie kommunizierten ähnlich wie ein Habicht, der aufmerksam nach Beute Ausschau hielt. Die Art, wie er sich umsah, verriet, dass er zu aufrecht, zu kontrolliert vorging, um sich nur über Menschenleben sich den Kopf zu zerbrechen. Unter seinem Blick fühlte sich Tec wie unter Röntgenstrahlen durchdrungen. Jeder Makel, mit dem man bis zu diesem Moment gut hatte leben können, würde aufgebläht und ins Unerträgliche potenziert werden. Dieser Mann war ein Killer.
Tec sah sich im Scheinwerferlicht eines sehr mächtigen, kaltherzigen Mannes, dem man allerhand nachsagte. Und gerade im Moment wägte der Waffenmeister von Oasis Tecs Nutzen für sich ab.
„Ich löse euer Problem und dafür will ich den Fluss und das Sägewerk, dazu noch den Wald“, knurrte er, mehr zu sich selbst, aber es kam grollend und knackend unter seiner Maske wie das Murmeln eines schlafenden Riesen.
Tec starrte ihn verständnislos an, und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Da fiel ihm die Bewaffnung der Leute auf: geölte und sicherlich einwandfreie Maschinenpistolen saßen locker in den Holstern. Gute Werkzeuge, gut erhalten. Natürlich hatten die PureSkys auch Waffen: Speere, Messer, Gewehre und das eine oder andere Maschinengewehr. PureSky hatten vielleicht doppelt so viele Mitglieder, aber durchweg männlich aussehende BlackOrder-Soldaten waren zum Kampf gedrillt und würden auf Befehl ohne zu Fragen losstürmen. Tec würfelte in Gedanken seine Chancen aus, lebend bei einer Konfrontation aus der Sache herauszukommen und fand das Ergebnis niederschmetternd.
Zeit, das hier zu beenden. „Ich werde der Queen Euer Angebot überbringen.“
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sich King Mike um und schlurfte langsam wieder zurück. Erst auf einen Wink bewegte sich der ganze Trupp und sofort waren alle in Aufbruchstimmung. Es dauerte keine zwei Minuten und BlackOrder war wieder verschwunden.
Dann senkte sich Grabesstille über die von den Rädern zerfurchten Ebene. Eine große Staubwolke im Westen zeugte von ihrer Anwesenheit.
PureSky brauchten einen Moment, um sich zu fangen, um zu begreifen, dass sie Zeuge eines Vorboten waren – den Vorboten eines drohenden Krieges. Manche von ihnen sahen ungläubig an sich herab, als konnten sie nicht fassen, dass sie gerade noch so mit dem Leben davongekommen waren.
Tec wandte sich um, als er schnelle Schritte vernahm und kurz vor ihm tauchte auch schon das strenge Gesicht seiner Queen auf. „Sie sind bloß zu zweit mit einer Geisel im Gepäck. Wie schwer kann das schon sein?“ In diesem Satz steckten viele Infos, die Tec genau verstand. Er verstand sogar sehr gut.
BlackOrder