Lydia. Louise AstonЧитать онлайн книгу.
sie die Wachsmaske abnahm, die ihr Gesicht bedeckte, wäre ein Maler vielleicht überrascht worden durch die Bemerkung, daß die Schönheit ihrer Züge keinesweges der Anmuth und antiken Grazie ihrer Formen entsprach, denn sie zeichneten sich weder durch Regelmäßigkeit, noch durch eine besonders auffallende geistige Harmonie aus. Zwar war Alles in diesem Gesicht klein und zart, aber zugleich von so eigenthümlichem Schnitt, daß dadurch, und durch die Mischung von Sanftheit und Energie in ihren strahlenden Augen, alle ihre Züge einen etwas unbestimmten, proteuischen Charakter annahmen. Wenn auch die erste jugendliche Frische dieses Gesicht bereits verlassen hatte, so war es doch von großer Weiße und Feinheit der Zeichnung und gewann durch die an beiden Seiten es beschattenden kurzen braunen Locken einen höchst interessanten Ausdruck.
Sie legte die Maske auf den Tisch und folgte der Einladung des Barons, welcher ihr mit großer Ruhe eine Cigarre bot und ein Glas Wein präsentirte.
"Du hast mich erwartet, Richard?" - fragte sie mit dem ihr eigenthümlichen mollartigen Tone, indem sie die Cigarre in Brand setzte.
"Woraus schließest Du das?" - sagte der Baron schnell, weil sein Selbstgefühl sich durch den scharfen Blick Alicens, welche seine Ruhe richtig zu beurtheilen verstand, verletzt sah.
Sie wies auf die drei Gläser. Landsfeld biß sich auf die Lippen.
"Ich habe Cornelien erwartet" - sagte er.
"Ich wünsche guten Appetit, mein Herr" - lachte Alice, indem sie den Baron mit seinen eigenen Worten persiflirte. "Das war kein kluger Streich von Dir, Richard" - fuhr sie mit melancholischer Stimme fort - "den armen Berger so zu kränken; und inhuman ohnehin."
Landsfeld zuckte die Achseln.
"Du kennst ja mein aufbrausendes Wesen, Alice. Du hättest mich nicht so früh aus Deiner Schule entlassen sollen, denn wo hätte ich die Humanität besser und praktischer lernen können, als bei Dir?"
"Du bist bitter, Richard. Hast Du so wenig Erhabenheit der Seele, um dem guten Arthur sein kurzes Liebesglück nicht zu gönnen, und was mehr ist - so wenig Stolz, um in ihm einen wirklichen Nebenbuhler zu sehen? Du bist eifersüchtig, mein Freund, und das ist schmachvoll."
"Du bist hinterlistig, meine theure Freundin, und das ist mehr als schmachvoll, es ist - "
"Sprich nicht aus, Richard, ich bitte Dich. Ich weiß ohnehin Alles, was Du mir sagen kannst, und erwiedere auf dies Alles nur Eins:
Entweder warst Du ein blinder Thor, als Du mich liebtest, denn ich habe Dir meine Ansichten über die Autonomie der Liebe nie verhehlt, ja ich bin überzeugt, daß Du mich dieser Freiheit wegen selbst geliebt hast - oder Du bist ein eitler Egoist, der nur dann für allgemeine Ideen sich enthusiasmiren kann, so lange er sich als den Mittelpunkt dieses Universums weiß."
"Vielleicht bin ich Beides, Alice" - sagte der Baron mühsam lächelnd, da er sich getroffen fühlte.
"Was gedenkst Du zu thun? Berger hat Dich gefordert?" sagte Alice nach einer Pause.
"Wir werden uns morgen in der Frühe schlagen. Er wird Dich bitten, ihm zu sekundiren."
"Das wird nicht gehen. Denn ich habe Cornelien gefordert; wir duelliren uns um dieselbe Zeit."
Landsfeld schlug ein schallendes Gelächter auf. - "Das ist ja eine wundervolle Idee. Und Cornelia hat die Forderung angenommen, natürlich."
"Ich habe noch keine Antwort, aber ich zweifle nicht daran."
"O, sie muß. Ich will sogleich an sie schreiben."
"Du kannst sie ja morgen abholen, wenn's Zeit ist."
"Es ist wahr. Womit schlagt ihr euch?"
"Auf Hieber. Es war dies eben auch ein Grund, weswegen ich so spät noch zu Dir komme. Kannst Du mir ein Paar besorgen?"
"Leider besitze ich solche nicht, aber ein Paar kurze Stoßrappiere stehen zu Deiner Disposition."
"Gut, - doch - was gedenkst Du zu thun mit Berger?"
"Es thut mir leid, Deine Unruhe nicht beschwichtigen zu können. Du wirst es morgen selbst sehen."
"In der That bin ich in Unruhe um ihn. Denn er ist ein Mensch von seltener Reinheit und Tiefe des Gemüths. Du solltest ihn näher kennen lernen, Richard. Ich wette, Du würdest ihn liebgewinnen."
"Möglich" - sagte der Baron kalt.
"Kennst Du noch diesen Anzug?" - fragte Alice, indem ein plötzliches Feuer in ihren Augen aufloderte.
"Wie oft hat Dich der blonde Schäfer darin bewundert?" gegenfragte Landsfeld, indem er seine Lippen zu einem sybaritischen Lächeln zwang, das jedoch nicht völlig frei von Bitterkeit war.
"Nie" - erwiederte Alice melancholisch - "aber ich werde mich morgen darin schlagen."
Es lag eine solche Wahrheit in der tragischen Ruhe, mit der Alice diese Worte aussprach, daß selbst Landsfeld einen kurzen Schauer fühlte. - Alice legte sich in die Ecke zurück und schloß die Augen.
Sie bot einen verführerischen Anblick dar.
Er warf einen langen, glühenden Blick auf sie. Sein Herz pochte. Er hatte dies Weib übermenschlich geliebt, er war ein Gott in ihren Armen gewesen. Jetzt war nur noch die Wahl, ob er den Göttersitz, von dem sie ihn selbst um eines Andern Willen verstoßen - ihn verstoßen, wieder einnehmen oder ihn zertrümmern müsse. Es war ein Augenblick des gewaltigsten Kampfes, indem alle Mächte seiner Seele gleich Titanen gegen den Olymp seiner Energie auftürmten. - Seine Lippe zitterte, sein Auge glühte und eine fahle Blässe bedeckte sein Gesicht. Er stand auf. Alice öffnete die Augen, halb träumerisch, halb verlangend war ihr feuchter Blick auf Landsfeld gerichtet. - Aber der Kampf war in ihm bereits ausgekämpft. Seine Lippe zitterte nicht mehr und seine Züge hatten ihren gewöhnlichen Ausdruck und ihre natürliche Farbe wieder erlangt. Nur in seinen Augen loderte noch die Glut des innern Ringens nach.
"Es ist spät, Alice" - sagte er mit großer Besonnenheit. "Ich habe noch zu thun. Und auch Du -." Er vollendete nicht die Bitterkeit, welche auf seinen Lippen lag, als er Alicen erblassen und in einen Strom von Thränen ausbrechen sah.
"So ist es wirklich aus?" - sagte sie nach einer Weile, indem sie sich erhob. "O Richard. Jetzt, wo mein Stolz sich zwischen uns gelagert hat, kann ich Dir sagen, daß es nur eines Wortes von Dir bedurft hätte, um jedes andern Glückes außer des von Dir mir gewährten zu entsagen. - Vielleicht aber ist's besser so." -
Sie warf den Mantel um und legte die Maske vor das Gesicht.
"Auf Wiedersehen morgen früh, oder vielmehr heute früh, denn Mitternacht ist wohl längst vorüber. Lebe wohl, Richard." Sie reichte ihm die Hand. "Laß uns ohne Groll scheiden. - Du hast mir sehr, sehr wehe gethan, aber ich schwöre es Dir bei Gott - nein, das ist eine Redensart - bei der Seele meines Kindes - das Du so oft auf Deinem Schooße gewiegt, ich werde Dich nie, nie hassen können. Denn Du bist der einzige Mann, den ich als Mann kennen gelernt. Lebe wohl."
Ehe noch Landsfeld ihren Abschiedsgruß erwiedern konnte, hatte sie bereits das Zimmer verlassen. Er öffnete das Fenster. Eben trat sie auf die Straße. Ihr faltenreicher schwarzer Mantel, unter dem zuweilen die weißen Beinkleider hervorblickten, flatterte noch lange im Scheine des hellen Mondlichtes und verschwand endlich den Blicken des Nachsehenden.
Landsfeld trat vom Fenster zurück. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er einen quälenden Gedanken davon verscheuchen. Dann richtete er sich hoch auf. Ein Siegeslächeln schwebte auf seinen Lippen, aber ein reineres als jenes höhnische Lächeln triumphirender Schadenfreude, das seinen Mund verzerrte, als er das Billet Lydia's gefunden.
"Ich will eine Entscheidung" - sagte er im lauten Selbstgespräch - "der letzte mögliche Beweis muß geprüft werden. Soll ich mich ewig mit der quälenden Ungewißheit foltern, ob es sich lohnt, an die Menschen zu glauben oder nicht? Soll ich immer wieder aus der Seelenruhe gleichgültiger Verachtung aufgestört werden durch die heuchlerische Hoffnung, es sei doch wohl ein Irrthum von mir, mit jeder Wahrheit in der Menschenbrust abschließen zu wollen? - Ich will Gewißheit haben, ich will ganz versöhnt sein mit den