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Gabriel Schillings Flucht. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Gabriel Schillings Flucht - Gerhart Hauptmann


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Hanna Elias ist es zu Ende.

      Längeres Stillschweigen.

      Ich kann dir sagen, du glaubst es nicht, wie ich die Zeit ... die mir immerhin früher mal kostbare Zeit! — diesen Sommer wieder mit Scheffeln und Mollen wahnsinnig verschleudert habe. Ich kann keine Wanduhr mehr ticken hören, ich erschrecke bei jedem Pendelschlag.

      Mäurer:

      Wer hat nicht mit Weibern Zeit verloren! Ja, welcher Mann, der wirklich einer ist, hat sich nicht selbst mehr als einmal an Weiber verloren. Das schadet nichts! Man läßt sich fallen, man hebt sich auf, man verliert sich und man findet sich wieder. Hauptsache bleibt, daß man Richtung behält. Wenn man Richtung behält und entschlossen fortlebt, so wette ich tausend gegen eins, was schlecht geheißen hat in der Zeit, muß dann in der Zeit auch wieder mal gut heißen.

      Schilling:

      Ach, Junge, ich habe in meinem verpfuschten Leben zu schrecklich viel niederträchtigen Unsinn verdaut. Mit meiner unanständig anständigen Anlage habe ich, weiß der Teufel, so oft Fiasko gemacht, daß ich allen Ernstes darüber gegrübelt habe, wie man es anfängt, recht grundgemein, schweinemäßig praktisch zu sein. Ich bin talentlos, ich kann es nicht. Dabei hab ich die Welt auf die allerverschiedenste Weise beguckt: durch die hohle Hand, durch die Beine, von oben, von unten, von hinten, von vorn. Und ich kann mir nicht helfen, ich habe immer nur eins gesehen: von weitem macht sie sich ziemlich entfernt, aber aus der Nähe dafür über alle Begriffe stupide, gemein und unanständig.

      Mäurer:

      Schilling, ich lasse die Welt, wie sie ist; wir wollen uns damit weiter nicht aufhalten. Ich habe dir selber, glaub ich, auch nicht immer bloß die schöne Fassade gezeigt. Laß das, vergiß es, denk nicht daran! Und jetzt, Junge, sag ich mal etwas Mystisches: wir sind aus der gleichen Generation. Ich behaupte, da wir beide im gleichen Jahre an der Außenfläche unsres Planeten erschienen sind, so sind wir auch schon vorher miteinander gewandert, in ähnlichem Rhythmus, in ähnlichem Schritt. Und wenn wir auch äußerlich nicht vereint gewesen sind, so sind wir jetzt, wo wir uns wiedertreffen, im tieferen Sinne gleich weit gelangt. Also schreiten wir nur mal wieder eine gute Strecke stramm bewußt miteinander.

      Schilling

      (forciert):

      Topp Kinder, hier wollen wir lustig sein! Deibel nochmal, tüchtig deutschen Sekt saufen und so tun, als wären wir siebzehn Jahr mit den allergrößten Rosinen im Sack und hätten die Nase nicht voll gekriegt. (Beide Freunde geraten in eine nervöse Heiterkeit; alsdann stutzt Schilling, die Gallionfigur gewahrend.) Eiapopeia, was raschelt im Stroh! Was ist denn das für 'ne seltsame Heilige?

      Mäurer:

      Das ist von einem gestrandeten Schiff die Gallionfigur.

      Schilling:

      Äh, überall diese wahnwitzigen Weibsbilder!

      Mäurer:

      Etwas übergeschnappt sieht sie wirklich aus.

      Schilling:

      Sag mal, findest du da keine Ähnlichkeit?

      Mäurer:

      Lucie behauptet mit ihrer Mutter.

      Schilling:

      Nein, Luciens Mutter meine ich nicht. — Im Ausdruck das Haar, auch in der Bewegung.

      Mäurer:

      Mir dämmert es schon! Aber ich billige dieses Ähnlichkeitsaufstöbern nicht. — Trau einem alten, gezausten Fuchs wie mir, mein Sohn: verwickle dich nicht in Ähnlichkeiten. Das sind Schlingen, die man sich selber legt. Und wenn wirklich die Holzpuppe Hanna Elias ähnlich sieht, so mache dir klar, sie hat mit ihrer lüsternen Nase ihr ganzes Schiff in einen nicht grade feucht-fröhlichen Abgrund verführt. — Atme, Mensch, trinke die starke Luft, und laß das Gespenst deines Lebens von gestern dein wirkliches Leben von heut nicht mattsetzen.

      Schilling:

      Da ist keine Gefahr mehr, Gott sei Dank! — Ich sage dir ja, diese Sache mit Hanna ist versunken. Wir haben uns endlich mal so vollkommen geklärt, so in alle Winkel unsrer Beziehung hinabgeleuchtet, daß da absolut nichts mehr zu erörtern bleibt.

      Mäurer:

      Dann gratulier ich von Herzen, Schilling.

      Schilling:

      Verdorben, gestorben, eingesargt, zwölf Klafter tief unter die Erde begraben. — Und, Ottfried, den Gefallen mußt du mir tun: kein Wort, keinen Laut mehr von dieser Geschichte. — Du kennst mich ja; ein für allemal, Ottfried: wenn mir mal ne Erinnerung über die Leber läuft, bitte, laß mich, bemerke es nicht. Es sind manchmal läppische Kleinigkeiten!

      Mäurer:

      Ähnlichkeiten!

      Schilling:

      Ein dunkles Auge ... irgendein Zug um den Mund, das kann Tote wieder lebendig machen! Aber dann laß mich, störe mich nicht! Denn das lähmt mich in meiner Brutalität. Man muß brutal sein, man braucht alle Kraft, um so eines bleichen gestrigen Wesens Meister zu sein! (Er springt auf, wirft Hut, Stock und Rucksack weg und beginnt sich auszukleiden.) Und nu Junge, Reinheit, Freiheit! Luft! Gott sei Dank, ja, man kann hier wieder mal atmen! Hoffentlich kommt bald 'n Sturm! So was Wildes, Frisches, Tolles, Brausendes, Salzhaltiges brauche ich! — ein Bad! — Kein Weibergeplärr! Kein Zungengedresch in Nachtcafés! In Freiheit zugrunde gehn, meinethalb — nur nicht vergurgeln in einem Abraumkanale! (Er rennt, halb entkleidet, gegen die See hin.)

      Mäurer:

      Nicht zu weit hinein, Schilling!

      Schillings Stimme:

      Bade mit, Ottfried! Herrlich! Ahoi, ahoi!

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