Multisystem-Erkrankungen erkennen und verstehen. Sibylle ReithЧитать онлайн книгу.
Luft für alle sei ein zentrales Ziel. Hierfür gelte es, vom isolierten Betrachten einzelner Luftschadstoffe und Maßnahmen wegzukommen und stattdessen die Zusammenhänge in den Fokus zu nehmen.
Professor Klaus Rabe, Präsident der DGP, kritisierte die bislang eher schwache Lobby für Umweltmedizin und wies auf die vielfältigen gesundheitlichen Folgen von erhöhter Luftschadstoffbelastung hin. In der Diskussion käme zudem der Aspekt der Prävention bislang zu kurz.“ 3.3.3/6 Helmholtz
Pollen, Klima und Luftschadstoffe
Unter der Überschrift Klimawandel beeinflusst Pollenflugzeit verwies Prof. Traidl-Hoffmann, die Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg, in einem Interview auf weitere Zusammenhänge zwischen Umweltschadstoffen, Klimawandel und steigender Allergiehäufigkeit.
„Erstens beeinflusst der Klimawandel die Pollenflugzeit. Pollen wie die Hasel fliegen deshalb früher im Jahr, andere über einen längeren Zeitraum. Zweitens produzieren einige Pflanzenarten bei höherem CO2-Gehalt der Luft deutlich mehr Pollen. Und drittens steigern Umweltschadstoffe wie Ozon selbst die Allergenität der Pollen.“
Prof. Traidl-Hoffmann weist darauf hin, dass verschiedene Effekte sich gegenseitig verstärken.
„In mehreren Versuchen konnten wir zeigen, dass Umweltschadstoffe, wie Ozon, Feinstaub oder Stickoxide, den Pollen selbst verändern. Allergieauslösende Proteine und andere proentzündliche Substanzen werden vermehrt darin produziert und sogar neuartige Allergene gebildet. Pollen beherbergen außerdem ein spezifisches Mikrobiom auf ihrer Oberfläche, also ein eigenes Ökosystem aus Mikroorganismen. Auch das Mikrobiom wird durch Umweltschadstoffe negativ beeinflusst. Die Summe dieser Faktoren bewirkt letztlich eine erhöhte Pollenallergenität.
Andererseits wissen wir, dass die Umweltschadstoffe nicht nur auf die Pollen wirken, sondern auch auf uns selbst, den Menschen. Sie machen zum Beispiel die Lunge empfänglicher für allergische Reaktionen wie das allergische Asthma.“ 3.3.3/7 Helmholtz-Gemeinschaft 2021
In der Live-Sendung ARD alpha-demokratie plädierte die Professorin dafür, die individuelle Belastung durch Luftschadstoffe messbar zu machen. Notwendig sei der Einsatz intelligenterer Kraftstoffe und neuer Technologien, z. B. persönliche Apps für Radler, die anzeigen, wo die Luftbelastung gerade besonders hoch ist. Des Weiteren müsse, wie bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Prävention von Krankheiten gefördert und die Wissenschaftskommunikation verbessert werden. 3.3.3/8 ARD
3.3.4 Elektromagnetische Felder/„Elektrosmog“
Was versteht man unter EMF?
Die Gesamtheit unterschiedlicher elektromagnetischer Felder/EMF wird umgangssprachlich als „Elektrosmog“ bezeichnet. Häufige Quellen elektromagnetischer Felder (EMF) sind z. B.:
Hochfrequente elektromagnetische Strahlung oder kurz Hochfrequenz (3 MHz bis 300 GHz).
Niederfrequente elektrische und magnetische Felder im sogenannten ELF-Bereich (3 Hz bis 3 kHz).
Strahlung im VLF Bereich (very low frequencies: im Allgemeinen von 3 kHz bis 3 MHz), werden durch Oberschwingungen und Verzerrungen von Spannung und Strom verursacht.
Technische Quellen der EMF sind allgegenwärtig, z. B.:
Rundfunk- und Fernsehantennen, WLAN-Access Points (auch z. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln), WLAN-Router und WLAN-Clients (z. B. Computer, Tablets, Fernseher), Schnurlos- und Mobiltelefone einschließlich ihrer Mobilfunkbasisstationen, Bluetooth-Geräte, intelligente Zähler („smart meter“) und Baby-Monitore, die hochfrequente Strahlen aussenden.
Beleuchtungsmittel (z. B. Energiesparlampen), Elektrische (Haushalts-)Geräte wie Induktionsherde, medizinische Geräte z. B. in Ambulanzen und Krankenhäusern, smarte Klimaanlagen, smarte Autos.
Infrastrukturen zur Bereitstellung von Elektrizität, Hochspannungsleitungen.
Möglicherweise krebsverursachend
Die Internationale Agentur für Krebsforschung/IARC schätzt hochfrequente elektromagnetische Felder (RF-EMF) als möglicherweise beim Menschen Krebs verursachend (Gruppe 2B) ein.
„Aufgrund der weit verbreiteten Nutzung von schnurlosen Telefonen (Mobil- und Schnurlostelefone) war eine Bewertung der wissenschaftlichen Evidenz zum Hirntumorrisiko notwendig. So wertete die International Agency for Research on Cancer (IARC) bei der WHO im Mai 2011 die damals veröffentlichten Studien aus. Das wissenschaftliche Gremium kam zu dem Schluss, dass hochfrequente (HF) Strahlung von Mobiltelefonen und anderen Geräten, einschließlich Schnurlostelefonen, die ähnliche nichtionisierende elektromagnetische Feldstrahlung (EMF) im Frequenzbereich von 30 kHz-300 GHz aussenden, eine Gruppe 2B, d.h. ein „mögliches“ Humankarzinogen ist. Die Entscheidung der IARC zu Mobiltelefonen basierte hauptsächlich auf Fall-Kontroll-Studien am Menschen durch die Hardell-Gruppe aus Schweden und die IARC Interphone-Studie. Diese Studien lieferten unterstützende Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Hirntumore, d.h. Gliome und Akustikusneurinome [gutartiger Tumor des Ohres, die Autorin].“ [Ü.d.A.] [Wissenschaftliche Belege in der angegebenen Quelle] 3.3.4/1 Carlberg, Hardell
2017 lässt die Meta-Analyse der oben zitierten schwedischen Wissenschaftler Carlberg und Hardell keinen Zweifel über die Korrelation von Mobiltelefonnutzung und dem Risiko der Entstehung von Gehirnkrebs:
Die Meta-Analyse ergab OR = 1,90, 95 % CI = 1,31–2,76. Die Ergebnisse sind konsistent mit einem statistisch signifikant erhöhten Risiko für Gliome. [Ü.d.A.] 3.3.4/2 Carlberg, Hardell
Dennoch geht die Weltgesundheitsorganisation WHO weiterhin davon aus, dass die vorliegenden Beweise nicht ausreichen, um eine quantitative Senkung der Grenzwerte zu rechtfertigen.Hochfrequenzstrahlung (HF) in Zusammenhang mit Mobiltelefonnutzung wird auch vom Bundesamt für Strahlenschutz/BfS nicht als Karzinogen der Kategorie 1 eingestuft. |
Zum Thema „Einstufung hochfrequenter elektromagnetischer Felder durch die IARC“ informiert das Bundesamt für Strahlenschutz/BfS (Stand 25.04.2020):
„Nach Einschätzung der IARC gibt es nach gegenwärtigem Kenntnisstand begrenzte Hinweise auf eine krebserregende Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf den Menschen. Die Hinweise konnten in den vom BfS im Rahmen seines Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms und danach initiierten Studien nicht bestätigt werden. Das BfS hat daher festgestellt, dass nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch hochfrequente Felder – etwa aus dem Mobilfunk – zu erwarten sind, wenn die Grenzwerte eingehalten werden.“ 3.3.4/3 BfS
Diese Argumentation beruht auf Studien, die lediglich sogenannte thermische (wärmebezogene) – nicht aber biologische EMF-Wirkungen als relevant einschätzen. |
Nicht untersucht, bzw. als relevant erachtet werden biologische Faktoren wie: Veränderung des Herzrhythmus, der Gen-Expression, im Stoffwechsel, in der Entwicklung der Stammzellen, DNA-Schäden, erhöhte Anzahl freier Radikale, Lern- und Gedächtnisdefizite, beeinträchtigte Spermienfunktion und -qualität.
Ein Wissenschaftskrimi – der „Wiener Fälschungsskandal“
Die sogenannte REFLEX-Studie war ein von der Europäischen Union gefördertes Projekt, das von der Stiftung für Verhalten und Umwelt durchgeführt wurde. Untersucht wurden mögliche Schädigungen des Erbguts durch hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF). Die von 2000 bis 2004 durchgeführte Studie zeigte, dass Mobilfunkstrahlung in isolierten menschlichen Zellen die Gene schädigen könne. 3.3.4/4 REFLEX
Die Studie war über Jahre dem Vorwurf der Fälschung ausgesetzt, das führte zu einem Rechtsstreit vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen. Auf der Webseite der Interessenvertretung diagnose:funk, die über gesundheits- und umweltschädigende Wirkungen elektromagnetischer Felder informiert, wird die ausgelöste Kontroverse geschildert:
„Die Reflexstudie ist gefälscht – Handystrahlung löst keine Tumore aus!“ – konsterniert lasen wir 2008 im Spiegel, der Süddeutschen, in nahezu der