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Die Bestie im Menschen. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Die Bestie im Menschen - Emile Zola


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ohne ihre Wohnung, dieses Zimmer, zu rechnen, dessen Heizung sie sogar frei hatte. Alles in Allem also eine sehr angenehme Situation. Und Roubaud rechnete aus, daß, wenn Pecqueux, ihr Gatte, seine zweitausendachthundert Franken Fixum und Prämien mit in die Wirthschaft stecken würde, anstatt sie auf beiden Endstationen der Linie in Flüssigkeiten umzusetzen, das Ehepaar mehr als viertausend Franken verdienen würde, das heißt also das Doppelte von seinem Einkommen als Unterinspector des Bahnhofs in Havre.

      »Selbstverständlich,« schloß er, »kann man nicht jeder Frau eine Dienstleistung in den Bedürfnißanstalten zumuthen, aber gar so albern ist auch dieses Amt noch nicht.« Inzwischen hatten sie ihren mächtigsten Hunger bereits gestillt und sie aßen nur noch mechanisch; sie schnitten den Käse in kleine Stückchen, um das Mahl in die Länge zu ziehen. Auch ihre Worte flossen langsamer von ihren Lippen.

      »Da fällt mir gerade ein,« rief er, »ich habe Dich zu fragen vergessen, warum hast Du die Einladung des Präsidenten zu einem zwei- oder dreitägigen Besuch in Doinville ausgeschlagen?«

      Sein Geist führte in dem Wohlgefühle der Verdauung ihm soeben noch einmal den Besuch vor Augen, den sie heute früh dicht beim Bahnhof in dem Hotel der Rue du Nocher abgestattet hatten. Er sah sich wieder in dem großen ernsten Kabinet, er hörte den Präsident ihnen erzählen, daß er am nächsten Tage nach Doinville reisen würde. Dann hatte Jener unter einer plötzlichen Eingebung ihnen angeboten, noch heute Abend mit ihnen gemeinsam den sechs Uhr dreißig Zug zu benutzen, um in Person sein Pathchen zu seiner Schwester zu bringen, die schon lange nach ihr Sehnsucht habe. Die junge Frau aber hatte alle möglichen Verhinderungsgründe vorgeschützt.

      »Ich kann in diesem kleinen Ausfluge nichts Schlimmes finden,« fuhr Roubaud fort. »Du hättest bis zum Donnerstag dort bleiben können, ich würde mich schon bis dahin allein beholfen haben ... Du mußt doch zugestehen, daß wir in unsrer Stellung Jene nöthig haben. Ich finde es nicht sehr geschickt, ihre Höflichkeiten abzuweisen, umsomehr als Deine Weigerung ihm sichtlich nahe ging ... Ich habe auch erst aufgehört in Dich zu dringen, als Du mich am Paletot zupftest. Dann stimmte ich Dir bei, aber ohne zu begreifen ... Nun warum wolltest Du nicht?«

      Séverine, deren Augen unstät umherwanderten, machte eine Bewegung der Ungeduld.

      »Kann ich Dich denn so allein lassen?«

      »Das ist kein Grund ... Seit unsrer Hochzeit vor drei Jahren warst Du schon zweimal in Doinville und hast dort eine ganze Woche zugebracht. Ich sehe keinen Hinderungsgrund, auch zum dritten Male dorthin zu reisen.«

      Die Verwirrung der jungen Frau wuchs, sie mußte den Kopf abwenden.

      »Es sagte mir nicht zu. Du wirst mich doch nicht zu Dingen zwingen wollen, die mir mißfallen.«

      Roubaud öffnete die Arme gleichsam als Zeichen dafür, daß er sie zu nichts zwänge, sagte aber dennoch:

      »Halt! Du verbirgst mir etwas ... Hat Dich Frau Bonnehon das letzte Mal nicht gut aufgenommen?«

      O doch. Frau Bonnehon wäre stets die Güte selbst gewesen. Diese liebenswürdige, große, kräftige Dame mit herrlichen blonden Haaren war trotz ihrer fünfundfünfzig Jahre noch eine Schönheit. Seit ihrer Wittwenschaft und selbst zu Lebzeiten ihres Mannes soll sie, wie man sich erzählte, ihr Herz oft verschenkt haben. In Doinville war sie der Abgott. Sie wandelte das Schloß in ein Paradies um. Die ganze Gesellschaft von Rouen, namentlich die Beamten waren dort ständige Besucher. Frau Bonnehon suchte ihre Freunde namentlich unter den Beamten.

      »Dann gestehe, daß die Lachesnaye Dich kühl behandelt haben.«

      Seit ihrer Ehe mit Herrn von Lachesnaye war Berthe Séverine gegenüber zweifellos eine andere geworden. Diese arme, unbedeutende Berthe mit ihrer rothen Nase wäre allerdings nicht mehr so gütig wie früher. Die Damen in Rouen lobten sie sehr ihrer Distinktion wegen. Ein so garstiger, trockener, geiziger Gatte wie der ihrige, schiene wirklich wie geschaffen, um seiner Frau seinen Charakter aufzuprägen und sie schlecht zu machen. Aber trotzdem, auch Berthe's Benehmen ihrer ehemaligen Genossin gegenüber hatte nichts zu wünschen übrig gelassen, Séverine könnte auch ihr keinen direkten Vorwurf machen.

      »Dann mißfällt Dir also der Präsident dort unten?«

      Séverine, die bis dahin langsam und monoton geantwortet hatte, machte abermals eine ungeduldige Bewegung.

      »Ei! Welch ein Einfall!«

      Und sie sprach weiter in kurzen, nervös abgebrochenen Sätzen. Man bekäme ihn im Schlosse kaum zu Gesicht. Er hätte sich in Doinville einen Pavillon reserviren lassen, dessen Thür auf eine öde Landstraße führe. Er ginge und käme, ohne daß Jemand es erführe. Seine Schwester wüßte nie genau zu sagen, wann er käme. In Barentin nähme er einen Wagen und ließe sich Nachts bis Doinville fahren; dort lebe er, von Niemandem gesehen, tagelang in seinem Pavillon. O, er würde dort am allerwenigsten Jemand belästigen.

      »Es fiel mir gerade ein, weil Du mir gewiß an zwanzig Male schon erzählt hast, daß er Dir in Deiner Kindheit stets die blasse Furcht einflößte.«

      »Die blasse Furcht! Du übertreibst wie gewöhnlich ... Gewiß, er lachte kaum. Er sah uns mit seinen großen Augen so durchdringend an, daß man sofort den Kopf senkte. Ich habe Leute vor ihm zittern und nicht ein Wort über die Lippen bringen gesehen, so sehr imponirte er ihnen durch den weitverbreiteten Ruf seiner Strenge und Weisheit ... Aber mich selbst zankte er nie aus, ich habe immer gefühlt, daß er eine Schwäche für mich hatte ...«

      Ihre Stimme sank abermals zum Flüstern herab und ihre Augen suchten die Leere.

      »Ich erinnere mich noch ganz gut ... Ich war noch ein kleines Ding und spielte mit meinen Freundinnen in den Alleen. Sobald er kam, versteckten sich alle, selbst seine Tochter Berthe, die unaufhörlich vor Furcht zitterte, eine Sünde begangen zu haben. Ich dagegen erwartete ihn ganz ruhig, und wenn er mich lächelnd mit verzogenem Mündchen dort stehen sah, gab er mir beim Vorübergehen einen kleinen Backenstreich ... Später, als ich sechzehn Jahre alt war, mußte ich ihm stets die Bitte vortragen, wenn Berthe irgend eine Vergünstigung von ihm haben wollte. Ich sprach mit ihm, senkte aber nie die Blicke, so daß ich die seinen mir bis unter die Haut dringen fühlte. Ich machte mir aber nicht viel daraus, wußte ich doch, daß er mir alle Wünsche bewilligen würde ... Ja, ja, ich erinnere mich noch sehr gut daran! Dort unten giebt es kein Plätzchen im Park, keinen Korridor, kein Zimmer, das mir nicht wieder vor die Erinnerung tritt, sobald ich die Augen schließe.«

      Sie schwieg, ihre Lider hatten sich gesenkt und über ihr geröthetes und aufgedunsenes Gesicht schien ein Schauer der Erinnerung an die Dinge von ehedem zu gleiten, Dinge, von denen sie nicht gesprochen hatte. Einen Augenblick blieb sie in dieser Haltung, ihre Lippen öffneten sich etwas, als verursachte das plötzliche Zucken eines Muskels ihr eine schmerzliche Empfindung am Mundwinkel.

      »Er war gewiß sehr gütig zu Dir,« begann Roubaud. der sich soeben eine Pfeife angezündet hatte, von Neuem, »er hat Dich nicht nur als vornehmes Fräulein erziehen lassen, sondern auch Deine paar Pfennige weise verwaltet, schließlich hat er auch noch die Summe abgerundet, als wir uns verheiratheten ... Dabei rechne ich noch gar nicht, daß er Dir etwas hinterlassen will, wie er mir selbst gesagt hat.«

      »Ja,« sagte Séverine leise, »das Häuschen in la Croix-de-Maufras, den von der Eisenbahn durchschnittenen Besitz. Wir haben früher dort öfter eine ganze Woche zugebracht ... Ich rechne noch gar nicht darauf, denn die Lachesnaye werden doch die Erbschaft hintertreiben. Ich würde es auch vorziehen, nichts nehmen zu müssen!«

      Sie hatte die letzten Worte so lebhaft hervorgestoßen, daß er mit seinen runden, sich vergrößernden Augen erstaunt die Sprecherin anblickte und die Pfeife aus dem Munde nahm.

      »Bist Du komisch! Man erzählt sich, daß der Präsident Millionär sei. Was ist also dabei so Schlimmes, wenn er auch seine Pflegetochter in seinem Testament bedenkt? Das würde Niemand überraschen und unsern Verhältnissen käme es gut zu statten.«

      Dann ließ ihn ein durch den Kopf gehender Gedanke laut auflachen.

      »Du befürchtest doch nicht, für seine leibliche Tochter gehalten zu werden? ... Du weißt doch, daß man sich


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