Der Capitän des Vultur. Мэри Элизабет БрэддонЧитать онлайн книгу.
Ich weiß es nicht,« erwiederte Mrs. Pecker verächtlich.
»Er ist so voll von Einbildungen wie das älteste Weib in Cumberland. Er sieht immer Gespenster und Kobolde und Leichentücher und allerlei Schreckliches und macht sich dadurch untauglich für Geschäft und Buchführung. Er kann, wenn es finster ist, nicht am Kirchhof vorbeigehen, ohne daß nach seiner Erzählung ehrliche Leute, die ein christliches Begräbniß erhalten haben, aus ihrem Grabe kommen, um ihn anzublicken, als ob anständige Leute wegen eines Menschen wie er, ihr bequemes Grab verlassen möchten. Da wundere sich Jemand, wenn mir die Geduld ausgeht.«
Mrs. Pecker sprach gern von ihrem kleinen Geduldsvorrat in Bezug auf Samuel, ihren Mann, und da all’ ihre Handlungen ihre Worte bestätigten, so fand sie allgemein Glauben.
»O, laß gut sein, Sarah, laßt es gut sein, Capitän Duke, und es geht mich nichts an,« sagte Samuel demüthig, »es waren unser Drei, die ihn gesehen haben, das ist Alles.«
»Drei von Euch, die wen gesehen haben?« fragte der Capitän.
»Drei von uns, die es gesehen haben?«
»Es? Was?«
»Das Gespenst oder den Mann, der vor einer halben Stunde an dieser Thüre anhielt und mich nach dem Wege von Marley Water fragte.«
»Und wie sah dieser Mann aus?« fragte der Capitän.
»Euch so ähnlich wie Euer Spiegelbild,« antwortete der Wirth. »Du brauchst mich nicht so verächtlich anzusehen, Sarah, das Gesicht, das mich jetzt anblickt, ist dasselbe, das mich vor einer halben Stunde angeblickt hat. Ich hätte es mir denken können, daß etwas Ungewöhnliches an ihm sein müsse, weil er so leise herankam,« murmelte Samuel gedankenvoll. »Fleisch und Blut schleichen sich nicht so unbemerkt an einen Menschen heran.«
Capitän Duke sah dem Sprecher scharf in’s Gesicht, sah ihn mit seinen forschenden braunen Augen gedankenvoll und ernst an und dann brach er wieder in ein Gelächter aus, das lauter war als zuvor. So sehr schien ihn das erstaunte und erschrockene Gesicht des Wirths zu ergötzen, daß er noch immer lachte, als er durch den alten niedrigen Vorplatz schritt — lachte, als er die Thüre zu dem eichengetäfelten Zimmer öffnete, in welchem die Honoratioren des Orts zu sitzen pflegten — lachte, als er sich in den großen Armstuhl am Kamine warf —- lachte, als er Samuel Pecker rief und vor Lachen kaum sein Lieblingsgetränk, den Rumpunsch bestellen konnte.
Das Zimmer war leer und als die Thür sich hinter dem Wirth schloß, zogen sich die Muskeln in dem Gesichte des Capitäns zusammen, während der fröhliche Ausdruck aus seinen braunen Augen verschwand und einem entschiedenen Trübsinn Platz machte.
Als der Punsch gebracht wurde, trank er drei Gläser nach einander; aber weder das große Holzfeuer, das in dem weiten Kamin brannte, noch das dampfende Getränk schien ihn zu erwärmen, denn er fröstelte, während er trank.
Er fröstelte, während er trank, und zog dann seinen Stuhl näher an den Kamin, stellte seine Füße auf die zwei eisernen Feuerböcke und blickte düster in die rothe knisternde Flamme.
»Mein Alp, mein Schatten, mein Fluch!« sagte er.
Es waren nur sechs Worte, aber sie drückten den Haß eines Lebens aus.
Darauf schien ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen. Er sprang so schnell empor, daß er den schweren Eichenstuhl umwarf, und eilte aus dem Gemach.
Auf der andern Seite des Vorplatzes befand sich das gewöhnliche Wirthszimmer, wo die Leute aus dem Bürgerstande ihre Abende zubrachten. Es war gegenwärtig gedrängt voll und ein lauter Lärm von Reden und Gelächter drang durch die offene Thüre.
In dieses Zimmer trat der Capitän, und den Hut von seinen braunen Locken, welche hinten mit einem Band zusammengebunden waren, abnehmend, verbeugte er sich vor der fröhlichen Versammlung.
Die Anwesenden waren in einem Augenblick auf ihren Füßen. Capitän George Duke von Sr. Majestät Schiff der Vultur war ein großer Mann zu Compton. Seine Heirath mit der einzigen Tochter des verstorbenen Squire hatte ihm in dem Orte, in dem er sonst ein Fremder war, eine gewisse Popularität verliehen.
»Es thut mir leid, Euch stören zu müssen, Gentlemen,« sagte er herablassend, »ist Pecker da?«
Pecker war da, aber so niedergeschlagen und schüchtern, daß er, als er sich bei Nennung seines Namens von seinem Stuhl erhob und vortrat, kaum ein Wort vorzubringen vermochte.
»Pecker, ich wünsche genau zu wissen, wie viel Uhr es ist,« sagte der Capitän. »Meine Uhr ist abgelaufen und Mistreß Duke, war durch das Lesen von Mr. Richardsons Romanen und durch die Wartung ihres Schooßhundes so ganz in Anspruch genommen, daß alle Uhren in meinem Hause stehen geblieben sind. Welches ist die genaue Zeit nach Eurer unfehlbaren großen Uhr an der Stiege, Samuel?«
Der Wirth fuhr mit feinen kleinen knochigen Händen durch sein lichtblondes Haar, wodurch er seinem Denkvermögen eine leichte Anregung zu geben schien, und entfernte sich dann schweigend, um den Befehl des Capitäns zu vollziehen. Ein Dutzend große kartoffelähnliche silberne und tombackene Uhren kamen in einem Augenblick zum Vorschein.
»Ich habe halb Acht.« — »Ich ein Viertel auf Neun.« —- »Zwanzig Minuten, Capitän.« — George Duke hätte ein halbes Dutzend verschiedene Zeiten haben können, wenn er gewollt hättet aber er sagte in ruhigem Tone:
»Vielen Dank, Gentlemen; aber ich will meine Uhr nach der von Pecker richten, denn ich glaube, daß sie die Zeit besser einhält als die Kirchen-, die Markt- und die Gefängnißuhr.«
»Die Gefängnißuhr geht aber zuweilen am Montag früh um acht Uhr doch sehr richtig, nicht wahr, Capitän?« sagte ein kleiner Schuhmacher, der die Rolle des Witzbolds in der Gesellschaft spielte.
»Zuweilen nicht halb richtig genug, Mr. Tomkins,« antwortete der Capitän, seine Uhr aufziehend, während ein ernstes Lächeln um seinen hübschen Mund spielte. »Wenn Jeder gehängt würde, der es verdient, so würde mehr Platz für die ehrlichen Leute in der Welt sein, Mr. Tomkins. Nun, Samuel, welches ist die genaue Zeit!«
»Zehn Minuten auf Acht,« Capitän, und welch eine Nacht. Ich habe gerade aus dem Stiegenfenster geblickt und der Himmel ist so schwarz wie Dinte und der Erde so nahe, daß man denken könnte, er würde auf unsere Köpfe fallen und uns erdrücken, wenn ihn der Wind nicht hielte.
»Zehn Minuten auf Acht,« wiederholte der Capitän, seine Uhr einsteckend. Dann drehte er sich um und ging auf die Thüre zu, blieb aber hier stehen und sagte: »O, beiläufig gesagt, würdiger Samuel, um welche Zeit habt Ihr meinen Geist gesehen?«
Er lachte, während er diese Frage stellte, und sah die Gesellschaft mit einem boshaften, gegen den schüchternen Wirth gerichteten Wink an.
»Die Kirchenuhr schlug gerade Sieben, als der Mann zu Pferd in den Weg über das Moor einbog, Capitän. Aber fragen Sie mich nichts weiter, es ist von keiner Wichtigkeit, es geht mich nichts an, es geht Niemand etwas an — aber —« und er holte tief Athem —- »Aber ich habe es gesehen.«
Die Kunden des Schwarzen Bären waren sonst nicht gewöhnt, den Bemerkungen des Wirths große Aufmerksamkeit zu schenken: aber diese drei letzten Worte schienen eine besondere Wirkung ans sie auszuüben und sie blickten mit erschrockenen Gesichtern von Samuel Pecker auf den Capitän und von dem Capitän wieder auf Samuel Pecker.
»Unser lustiger Wirth hat seinem alten Ale etwas zu stark zugesprochen und er muß sich in seinen klugen Kopf gesetzt haben, daß er meinen Geist gesehen, aus keinem bessern Grunde, als weil ein Reisender, der mir ein wenig ähnlich sieht, an seiner Thüre angehalten und ihn nach dem Wege von Marley Water gefragt hat. »Ich hoffe, daß guter Ale und gute Gesellschaft ihm den Kopf wieder zurecht setzen werden,« sagte George Duke. »Gute Nacht, Gentleman.«
Er verließ das Zimmer und kehrte nach dem eichengetäfelten Gemach zurück, wo er sich wieder in den Stuhl am Kamin warf und mit düsteren Blicken in das Feuer starrte. Er war ein so gänzlich verschiedenes Wesen von dem Manne, dessen fröhliche Stimme und leichtes Lachen sich so eben in dem gewöhnlichen Wirthszimmer hatte vernehmen lassen, daß es