Altes Herz geht auf die Reise. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
gedehnt; der Zwischenfall eben war schon ganz vergessen und die alte, böse, streitlustige Stimmung erwacht. »Sie fragen also um die Marie –? Und warum tun Sie so, als kämen Sie vom Amt, und dabei kommen Sie von der Vormundschaft?! – Wir haben vor keinem Richter und vor keinem Gendarm Angst, daß Sie es nur wissen!! Und wenn Ihnen das Gör jetzt seine Lügen geschrieben hat, so wird ihr mein Mann schon zeigen, was er für eine Hand schreibt! Denn den alten Spruch kennen Sie ja wohl auch: Pastors Kinder und Müllers Vieh gedeihen selten oder nie …«
Sie schoß zum Küchenfenster: »Päule! Päule! Sollst einmal kommen, wir haben feinen Besuch.«
Und ohne Atemholen schalt sie weiter: »Aber wenn ich sie unser Mädchen nenne, so stehe ich auch dazu, denn was gehört ihr schon weiter von dem ganzen Betrieb hier als die Schulden?! Mein Mann und ich, wir dürfen uns ja wohl totschuften, bloß damit das feine Fräulein was vor den Schnabel kriegt, und mit fünf Unehelichen plagt man sich, nur damit sie im Winter was Warmes im Leibe und auf dem Leibe hat – aber danken tut es einem keiner! – Päule, da ist einer vom Vormundschaftsgericht und fragt nach der Marie.«
Ein langer, rotblonder, noch junger Mann war in die Küche getreten, einen Eimer mit Milch in der Hand. Er lächelte den Besucher friedlich und freundlich an und sagte: »Na, Mali, dann wirst du heute mal die Milch durchdrehen müssen.«
»Ich!« rief die Frau. »Ich – bei all meiner Arbeit, wo das Gör sich den ganzen Nachmittag rumgetrieben hat, und du liegst auch am liebsten auf dem Sofa! Ach, Päule, wenn der Gendarm wenigstens den Philipp zu fassen kriegte – ich wollte ihm schon eine Heimkehr besorgen!«
»Ssssssst!« machte der Päule so scharf, daß der Professor zusammenfuhr. »Willst du mal deinen Mund halten! Marsch, los mit der Milch, eh sie kalt wird.«
Selbst der Professor merkte es, daß der große, lange, freundliche Mann jetzt gar nicht mehr freundlich, sondern sehr finster aussah. Und die Frau hatte auch schon den Eimer genommen und war aus der Küche fort, wortlos, wie eine, die Angst hat.
Aber gleich war der Herr Schlieker wieder nett: »Hier lang, bitte. Unsere gute Stube ist zwar kalt, aber Sie müssen’s nehmen, wie Sie’s finden. Wir sind arme Leute, aber ehrlich, wir stehlen kein Holz aus dem Wald wie die andern im Dorf. Lieber frieren wir und heizen bloß das Kinderzimmer, damit die junge Brut es warm hat … Nun warten Sie einen Augenblick hier, ich hole gleich die Lampe. Bleiben Sie hier fein still stehen. Es ist ein bißchen sehr dunkel, und hinten ist die Kellerluke offen, wo wir die Runkeln rausholen … Machen Sie bloß kein Schrittchen, daß Sie nicht ins Loch fallen, der Keller ist tief.«
Die Tür klappte, und der alte Professor blieb, die Reisetasche noch immer in der müden Hand, im Finstern. Eine lange, lange Weile stand er so und wagte nicht, den Fuß zu heben, aus Furcht vor der offenen Rübenluke. Ihm dünkte, als hätte man in der Zeit zwanzig Lampen füllen, zurechtmachen und anzünden können. Der freundliche Päule kam selbst seinem menschengläubigen Herzen gar nicht freundlich vor, sondern von Grund auf falsch und hinterlistig, und wenn man sich auch vor böser Nachrede hüten mußte, das Wort ging ihm doch im Kopf herum: »Ein Gau ist rauh, aber ein Schlieker ist ein Betrüger …«
»Und«, dachte der Professor, »so viel weiß ich doch noch von meinem alten Fritz Reuter, daß ein Schlieker ein Schleicher heißt.« »Gott schütze mich!« rief er ängstlich bei sich, »wohin gerate ich –?! Welche Welt – sofort müßte ich heim. Aber das Kind, das arme, verkommende Kind – das Haus anstecken – und sie spricht es mit ihren Kinderlippen aus! Nein, bleiben muß ich nun und es durchkämpfen …«
Da wurde es hell, und der Wirt kam mit der Lampe.
»Es hat wohl ein bißchen gedauert? Ja, ja, hohe Herren warten nicht gern, und ein Armer muß zehnmal laufen, ehe ein Reicher auch nur aufsteht. Ich habe den Schweinen schnell Futter eingetan, wir sind bloß Bauern, Herr, bei uns kommt das Vieh vor dem Menschen. – Und so haben Sie hier denn in der Ecke gestanden und keinen Fuß vor den andern gesetzt, und ich Dösbartel denke nicht einen Augenblick daran, daß dies ja dem alten Pastor Thürke sein Arbeitszimmer ist, und kein Gedanke an eine offene Rübenluke im Fußboden. Nun, Sie als studierter Herr werden ja auch manchmal nicht alle Ihre Gedanken auf einem Haufen beisammen haben, und so dürfen Sie es einem einfältigen Menschen nicht für ungut nehmen, daß es ihm auch nicht anders geht …«
Über all dem bösen, scheinheiligen Geschwätz hatte sich der Professor umgesehen, und ein richtiges pastörliches Studierzimmer war es, dem eigenen gar nicht unähnlich, in dem er da war, mit Stehpult und großem Schreibtisch, einem grünen Plüschsofa in der Ecke und einem Mahagonitisch davor. Auf das Sofa ließ er sich langsam nieder und warf dabei einen halb sehnsüchtigen, halb traurigen Blick auf die hohen Regale, die um die Wände herumliefen. Denn es jammerte sein Herz, wie da die Bücher, dick verstaubt, durcheinander lagen, mit großen Lücken dazwischen, und manche sogar aus den Einbänden gefallen.
Aber dies vertraute Zimmer gab ihm doch auch trotz aller Müdigkeit – eine freundliche Langmut, und so sagte er denn zu seinem Wirt: »So müssen Sie nicht mit mir reden, Herr Schlieker. Ich versteh auch so, daß ich Ihnen kein erwünschter Gast bin. Und sobald ich weiß, was es mit der Rosemarie für eine Bewandtnis hat und wie ihr zu helfen ist, will ich Ihnen nicht weiter zur Last fallen, sondern gehen.«
»Ja, ja«, sagte Päule, rieb sich bedachtsam das rotblonde Kinn und sah den Professor starr an. »So hat sich denn also die Marie mal wieder hingesetzt und eine Beschwerde über die bösen, betrügerischen Schliekers ans Vormundschaftsamt geschrieben. Aber die hohen Herren dort müssen ja rein gar nichts zu tun haben, daß sie ohne jede Anfrage an mich oder den Schulzen gleich losfahren auf die Anzeige von solch unmündigem Kind.«
»Nein«, antwortete der Professor hastig. »Das ist ein Mißverständnis von Ihrer Frau, Herr Schlieker, ich bin niemand vom Amt oder Gericht, ich bin der Professor Gotthold Kittguß aus Berlin.«
Der andere rieb sich weiter das Kinn, und es war so, als riebe er ein Lachen über das ganze, immer fuchsmäßiger werdende Gesicht breit. »Wer das gedacht hätte«, wunderte er sich. »Also nichts Amtliches, gar nichts.« Er beugte sich über den Tisch und sah dem Professor nahe in die Augen. »Aber etwas Verwandtes zur Marie sind Sie doch, nicht wahr? Verwandtschaft ist doch da –?«
Der Professor hielt dem lauernden, lächelnden Gesicht mutig stand. »Nein, auch das bin ich nicht. Aber ich bin ein alter Studienfreund vom seligen Pastor Thürke und will ihm …«
Er brach ab, denn der andere hatte mit einem Ruck den Tisch zwischen ihnen beiden fortgerissen und stand nun vor ihm, die Fäuste geballt und das Gesicht scharlachrot vor Wut. »Und da kommen Sie her«, schrie er, und seine Stimme kippte in die Fistel vor Wut, »kommen her ohne ein Recht und ein Gesetz und stänkern in meinem Haus und hetzen die kleine, widerborstige Hexe nur noch mehr gegen uns auf! Ich pfeif auf Ihre Professorenschaft, ich schmeiße Sie raus aus dem Haus, Sie alter Stänkerer, Sie! Ich schlage Ihnen alle Knochen im Leibe entzwei, wenn ich Sie hier noch einmal sehe, Sie … Sie …«
Er sah wirklich so aus, der Päule Schlieker, als wollte er sich sofort auf den alten Professor stürzen, und wenn er aufhörte mit Brüllen, so nur darum, weil er den Atem verloren hatte.
Aber der alte Professor Kittguß mochte sich vor Hunden, Ratten, Fröschen und mancherlei anderm harmlosen Getier graulen: vor Menschen hatte er keine Furcht. Langsam und bedächtig erhob er sich von dem Sofa und stand freundlich vor dem Zornigen. Sanft und fest legte er ihm eine Hand auf die Schulter, und mit der andern deutete er ihm auf die Brust und sprach: »Da tut es weh, Herr Schlieker? Nicht wahr? Das ist der böse Zorngeist, der in Ihnen sitzt, der tut weh. Ehe Sie den nicht ganz von sich abtun, werden Sie auch nicht glücklich sein. Und das möchten Sie doch, nicht wahr?«
Der andere zog und zerrte mit seiner Schulter unter dem Griff des alten Mannes, und einen Augenblick war es sogar, als wollte er ihn vor die Brust stoßen. Aber das vermochte er nun doch nicht über sich, und seine Schulter bekam er auch so aus der schwachen Greisenhand frei. Päule Schlieker tat einen Schritt zurück vor den großen braunen Augen, die ihn so durchdringend ansahen, rückte seine Jacke zurecht und sagte verdrossen: »Über Sie kann einer bloß lachen …«
»Und,