Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Rudolf SteinerЧитать онлайн книгу.
aber nicht die Methode des Beobachtens. Während wir die andern Dinge beobachten, mischt sich in das Weltgeschehen – zu dem ich jetzt das Beobachten mitzähle – ein Prozess, der übersehen wird. Es ist etwas von allem andern Geschehen verschiedenes vorhanden, das nicht mitberücksichtigt wird. Wenn ich aber mein Denken betrachte, so ist kein solches unberücksichtigtes Element vorhanden. Denn was jetzt im Hintergrunde schwebt, ist selbst wieder nur das Denken. Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist wieder eine charakteristische Eigentümlichkeit des Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungsobjekt machen, sehen wir uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe eines Qualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in demselben Element verbleiben.
Wenn ich einen ohne mein Zutun gegebenen Gegenstand in mein Denken einspinne, so gehe ich über meine Beobachtung hinaus, und es wird sich darum handeln: Was gibt mir ein Recht dazu? Warum lasse ich den Gegenstand nicht einfach auf mich einwirken? Auf welche Weise ist es möglich, dass mein Denken einen Bezug zu dem Gegenstande hat? Das sind Fragen, die sich jeder stellen muss, der über seine eigenen Gedankenprozesse nachdenkt. Sie fallen weg, wenn man über das Denken selbst nachdenkt. Wir fügen zu dem Denken nichts ihm Fremdes hinzu, haben uns also auch über ein solches Hinzufügen nicht zu rechtfertigen.
Friedrich Wilhelm Schelling – 1775 – 1854
Schelling sagt: Die Natur erkennen, heißt die Natur schaffen. – Wer diese Worte des kühnen Naturphilosophen wörtlich nimmt, wird wohl zeitlebens auf alles Naturerkennen verzichten müssen. Denn die Natur ist einmal da, und um sie ein zweites Mal zu schaffen, muss man die Prinzipien erkennen, nach denen sie entstanden ist. Für die Natur, die man erst schaffen wollte, müsste man der bereits bestehenden die Bedingungen ihres Daseins abgucken. Dieses Abgucken, das dem Schaffen vorausgehen müsste, wäre aber das Erkennen der Natur, und zwar auch dann, wenn nach erfolgtem Abgucken das Schaffen ganz unterbliebe. Nur eine noch nicht vorhandene Natur könnte man schaffen, ohne sie vorher zu erkennen.
Was bei der Natur unmöglich ist: das Schaffen vor dem Erkennen; beim Denken vollbringen wir es. Wollten wir mit dem Denken warten, bis wir es erkannt haben, dann kämen wir nie dazu. Wir müssen resolut darauf losdenken, um hinterher mittels der Beobachtung des Selbstgetanen zu seiner Erkenntnis zu kommen. Der Beobachtung des Denkens schaffen wir selbst erst ein Objekt. Für das Vorhandensein aller anderen Objekte ist ohne unser Zutun gesorgt worden.
Leicht könnte jemand meinem Satze: Wir müssen denken, bevor wir das Denken betrachten können, den andern als gleichberechtigt entgegenstellen: Wir können auch mit dem Verdauen nicht warten, bis wir den Vorgang des Verdauens beobachtet haben.
Blaise Pascal – 1623 – 1662
Das wäre ein Einwand ähnlich dem, den Pascal dem Cartesius machte, indem er behauptete, man könne auch sagen: ich gehe spazieren, also bin ich. Ganz gewiss muss ich auch resolut verdauen, bevor ich den physiologischen Prozess der Verdauung studiert habe. Aber mit der Betrachtung des Denkens ließe sich das nur vergleichen, wenn ich die Verdauung hinterher nicht denkend betrachten, sondern essen und verdauen wollte. Das ist doch eben auch nicht ohne Grund, dass das Verdauen zwar nicht Gegenstand des Verdauens, das Denken aber sehr wohl Gegenstand des Denkens werden kann.
Es ist also zweifellos: In dem Denken halten wir das Weltgeschehen an einem Zipfel, wo wir dabei sein müssen, wenn etwas zustande kommen soll. Und das ist doch gerade das, worauf es ankommt. Das ist gerade der Grund, warum mir die Dinge so rätselhaft gegenüberstehen: dass ich an ihrem Zustandekommen so unbeteiligt bin. Ich finde sie einfach vor; beim Denken aber weiß ich, wie es gemacht wird. Daher gibt es keinen ursprünglicheren Ausgangspunkt für das Betrachten alles Weltgeschehens als das Denken.
Ich möchte nun einen weitverbreiteten Irrtum noch erwähnen, der in Bezug auf das Denken herrscht. Er besteht darin, dass man sagt: Das Denken, so wie es an sich selbst ist, ist uns nirgends gegeben. Das Denken, das die Beobachtungen unserer Erfahrungen verbindet und mit einem Netz von Begriffen durchspinnt, sei durchaus nicht dasselbe, wie dasjenige, das wir hinterher wieder von den Gegenständen der Beobachtung herausschälen und zum Gegenstande unserer Betrachtung machen. Was wir erst unbewusst in die Dinge hineinweben, sei ein ganz anderes, als was wir dann mit Bewusstsein wieder herauslösen.
Wer so schließt, der begreift nicht, dass es ihm auf diese Art gar nicht möglich ist, dem Denken zu entschlüpfen. Ich kann aus dem Denken gar nicht herauskommen, wenn ich das Denken betrachten will. Wenn man das vorbewusste Denken von dem nachher bewussten Denken unterscheidet, so sollte man doch nicht vergessen, dass diese Unterscheidung eine ganz äußerliche ist, die mit der Sache selbst gar nichts zu tun hat. Ich mache eine Sache dadurch überhaupt nicht zu einer andern, dass ich sie denkend betrachte. Ich kann mir denken, dass ein Wesen mit ganz anders gearteten Sinnesorganen und mit einer anders funktionierenden Intelligenz von einem Pferde eine ganz andere Vorstellung habe als ich, aber ich kann mir nicht denken, dass mein eigenes Denken dadurch ein anderes wird, dass ich es beobachte. Ich beobachte selbst, was ich selbst vollbringe. Wie mein Denken sich für eine andere Intelligenz ausnimmt als die meine, davon ist jetzt nicht die Rede; sondern davon, wie es sich für mich ausnimmt. Jedenfalls aber kann das Bild meines Denkens in einer andern Intelligenz nicht ein wahreres sein als mein eigenes. Nur wenn ich nicht selbst das denkende Wesen wäre, sondern das Denken mir als Tätigkeit eines mir fremdartigen Wesens gegenüberträte, könnte ich davon sprechen, dass mein Bild des Denkens zwar auf eine bestimmte Weise auftrete; wie das Denken des Wesens aber an sich selber sei, das könne ich nicht wissen.
Mein eigenes Denken von einem anderen Standpunkte aus anzusehen, liegt aber vorläufig für mich nicht die geringste Veranlassung vor. Ich betrachte ja die ganze übrige Welt mit Hilfe des Denkens. Wie sollte ich bei meinem Denken hiervon eine Ausnahme machen?
Damit betrachte ich für genügend gerechtfertigt, wenn ich in meiner Weltbetrachtung von dem Denken ausgehe. Als Archimedes den Hebel erfunden hatte, da glaubte er mit seiner Hilfe den ganzen Kosmos aus den Angeln heben zu können, wenn er nur einen Punkt fände, wo er sein Instrument aufstützen könnte. Er brauchte etwas, was durch sich selbst, nicht durch anderes getragen wird. Im Denken haben wir ein Prinzip, das durch sich selbst besteht. Von hier aus sei es versucht, die Welt zu begreifen. Das Denken können wir durch es selbst erfassen. Die Frage ist nur, ob wir durch dasselbe auch noch etwas anderes ergreifen können.
Ich habe bisher von dem Denken gesprochen, ohne auf seinen Träger, das menschliche Bewusstsein, Rücksicht zu nehmen. Die meisten Philosophen der Gegenwart werden mir einwenden: Bevor es ein Denken gibt, muss es ein Bewusstsein geben. Deshalb sei vom Bewusstsein und nicht vom Denken auszugehen. Es gebe kein Denken ohne Bewusstsein. Ich muss dem gegenüber erwidern: Wenn ich darüber Aufklärung haben will, welches Verhältnis zwischen Denken und Bewusstsein besteht, so muss ich darüber nachdenken. Ich setze das Denken damit voraus. Nun kann man darauf allerdings antworten: Wenn der Philosoph das Bewusstsein begreifen will, dann bedient er sich des Denkens; er setzt es insofern voraus; im gewöhnlichen Verlaufe des Lebens aber entsteht das Denken innerhalb des Bewusstseins und setzt also dieses voraus. Wenn diese Antwort dem Weltschöpfer gegeben würde, der das Denken schaffen will, so wäre sie ohne Zweifel berechtigt. Man kann natürlich das Denken nicht entstehen lassen, ohne vorher das Bewusstsein zustande zu bringen. Dem Philosophen aber handelt es sich nicht um die Weltschöpfung, sondern um das Begreifen derselben. Er hat daher auch nicht die Ausgangspunkte für das Schaffen, sondern für das Begreifen der Welt zu suchen. Ich finde es ganz sonderbar, wenn man dem Philosophen vorwirft, dass er sich vor allen andern Dingen um die Richtigkeit seiner Prinzipien, nicht aber sogleich um die Gegenstände bekümmert, die er begreifen will. Der Weltschöpfer musste vor allem wissen, wie er einen Träger für das Denken findet, der Philosoph aber muss nach einer sichern Grundlage suchen, von der aus er das Vorhandene begreifen kann. Was frommt es uns, wenn wir vom Bewusstsein ausgehen und es der denkenden Betrachtung unterwerfen, wenn wir vorher über die Möglichkeit, durch denkende Betrachtung Aufschluss über die Dinge zu bekommen, nichts wissen?
Wir müssen erst das Denken ganz neutral, ohne Beziehung auf ein denkendes Subjekt