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Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen KlepperЧитать онлайн книгу.

Jochen Kleppers Roman


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nächsten Tage schon erklärte der König von England seinen Schwächezustand für völlig überwunden. Ja, er nahm seinen Anfall nicht einmal zum höflichen Vorwand, um seine völlige Gleichgültigkeit bei der Besichtigung Berlins und gegenüber den Artigkeiten seiner Enkelkinder dahinter zu verbergen. Er hatte in diesen Tagen große Verluste bei seinen privaten Spekulationen erlitten; die beschäftigten ihn sehr. Der üble Ruf der „bubbles“ verfolgte ihn ins alte Vaterland.

       Von der Königin von Preußen gedrängt, ließ er die englischen und hannövrischen Herren, unter sich und mit ihm selber uneins, ein wenig mit den Preußen verhandeln. König Georg, der weder fertig Englisch noch Französisch sprach und gegenüber seinen Londoner Ministern sich mit schlechtem Latein behelfen musste, ließ übermitteln, er gebe sein Versprechen für die Doppelheirat. Er setzte aber noch hinzu, dass er vor Abschließung der frühzeitigen Verlobung die Meinung seines Parlamentes darüber vernehmen müsse; er wolle es sogleich nach seiner Rückkehr zusammenberufen. Die Zustimmung des Parlamentes noch leichter zu gewinnen, möchte man wohl vorerst alle zwischen England und Preußen geschlossenen Verträge erneuern und verschiedene Maßregeln ergreifen, um den ehrgeizigen Plänen der Beherrscher der Zarinwitwe Katharina Alexejewna Grenzen zu setzen.

      Heute ließ Georg I. vorerst nur von Russland sprechen. Das Wort Österreich, für die Kurfürsten von Hannover und Brandenburg ein ungleich schwierigerer Fall, mochte besser erst nach diesen Vorverhandlungen erwähnt sein. Der Kurfürst von Brandenburg hatte sich da in eine für die anderen lästige Deutschtümelei hineingeredet, die reichlich erschwerend und ziemlich altmodisch wirkte. Schon von seinen alten Russenpakten war er nicht abzubringen gewesen, als wäre ein toter Freund noch ein politischer Faktor. Er zeigte einen leidigen Hang, die politischen Fragen ins Menschliche zu verkehren. Über diese Neigung Friedrich Wilhelms zum Privaten sprach der König von England zur Königin von Preußen voller Sorge. Angesichts solcher Unberechenbarkeit des Gatten – denn dieses Signum erhielt die Zuverlässigkeit des Preußenkönigs in der diplomatischen Sprache – laste schwere Verantwortung auf ihr selbst.

      Sophie Dorothea war daran, dem vergötterten Vater in die Arme zu sinken, vor allem, als er auch noch hinzufügte, dass seine Mätressen mit ihm ganz einer Meinung wären, namentlich die entzückende Herzogin von Kendal. Die preußische Königin, eine harte Richterin über Liebe, Schuld und Schmerz im Leben ihrer verstoßenen Mutter, kannte wohl keine schönere Kunde! Und es wären für die Welfentochter selige Augenblicke gewesen, hätte sich die Angst abwehren lassen, dass der unberechenbare und politisch wenig fähige Gatte etwas verderben könne. Vater und Tochter aus dem Welfenhause hatten sich eine etwas hochfahrende Art zurechtgelegt, von dem Brandenburger zu reden.

      König Friedrich Wilhelm aber verzieh seinem Oheim und Schwiegervater viel von seinem Hochmut und seiner überdeutlich zur Schau getragenen Gleichgültigkeit. Denn wenn er auch Fritzens Knabenregiment unter seinem jugendlichen Major übersah – an der großen Parade dieses Morgens hatte Georg I. eine Anteilnahme bewiesen, die Friedrich Wilhelm geradezu überwältigte. Der König von England hatte keinen Blick von den strahlenden Reihen der Sechzigtausend gewendet.

      Dies Heer war Rückhalt gegen Thronprätendenten und Kaiser! Mit diesem Heere war der Kampf mit Österreich um die Silberflotten auf den Weltmeeren – an Brandenburgs Grenzen auszutragen! Mit diesem Heere konnte man sich wohl über das ganze alte Europa erheben!

       Im geheimen, ganz für sich, nannte der Welfe den Hohenzollern nicht mehr Bettelkönig.

      Soldatenkönig – dieses Wort erschien ihm als der richtige Ausdruck und als geistvolle Wendung. In England konnte man ja dann „roi sergeant“ oder gut preußisch „Korporal“ dafür sagen. Manchmal sprühte er vor Geist, der alte Herr; und dabei war er doch eigentlich immer ein wenig rau und träge gewesen.

      * * *

      Der König von Preußen hatte es in den Tagen des hohen Besuches nicht ungern gesehen, wie gewandt seine beiden ältesten Kinder schon aufzutreten verstanden, wie sie in allen Dingen des modernen Geschmacks Bescheid wussten und auf jede Frage aus der Suite König Georgs I. nach Oper und Komödie und Literatur Antwort zu geben vermochten. Der Preußenkönig fand es aller Ehren wert. Er selbst konnte damit nicht aufwarten. Auf den hohen Gast machte es aber leider, ganz im Gegensatz zu den Voraussagen der Königin, nur sehr geringen Eindruck. Er erschien stumpfer denn je.

      Die Kleinen waren auf das Ende des Besuches zu beständig von dem Großvater ferngehalten worden. Sie schienen ihn zu stören. Er konnte sich ihre Namen nicht merken. Er vermochte nicht, sie auseinanderzuhalten. Sie waren bereits heute für ihn die späteren belanglosen apanagierten Prinzen und Prinzessinnen eines kinderreichen Fürstenhauses. König Friedrich Wilhelm wollte den Oheim und Schwiegervater darauf aufmerksam machen, wie ähnlich doch Ulrike seiner Mutter, des Oheims schöner, früh verstorbener Schwester Sophie Charlotte, sei; und der Großvater sollte es lustig finden, dass die fünfjährige Enkelin Bilderbücher und Puppen verachtete und kaum zu halten war, wenn sie hörte, Bruder August Wilhelm ziehe mit den Kadetten auf die Knabenschanze im Tiergarten, Kanonen an der Kette und Feuerwerk im Korb.

      Um nicht gar zu unhöflich zu sein, hatte König Georg nur flüchtig gefragt: „Sie ist Ihr Liebling?“ Dieses Wort ging König Friedrich Wilhelm ein wenig im Kopfe herum. Hatte er Lieblinge unter seinen Kindern? Wie stand es um August Wilhelm, den zweiten Sohn, um seinen Hulla, den er besitzen durfte, wie auch andere Väter ihre Söhne besaßen? Denn der Älteste gehörte ‚Dem König von Preußen‘, jenem Herrn, den auch Friedrich Wilhelm von Hohenzollern als stetig streng Fordernden zu fürchten begann.

      Wenn er Lieblinge hatte, so waren sie mit ihm um nichts besser daran als die übrigen Geschwister. Er unterschied keines von den anderen durch Wohltaten oder Überraschungen. Er lohnte und strafte sie nicht, um ihnen nicht zu früh als der König zu begegnen.

       Freilich kam es vor, dass er sich mit seinem Hulla manchmal eine Viertelstunde lang, die kostbare Viertelstunde eines Königslebens, bespasste und ihn nach Herzenslust abküsste. Was war Hulla für ein munterer kleiner Kerl; wie war er stets für ihn bereit! Was fuhr er gern mit dem Vater aus; wie stand das winzige Mundwerk dann unterwegs nicht einen Augenblick still! Aber der Vater verschloss sich doch den Fehlern seines Kleinen nicht. Beim Exerziermeister ging er nicht auswärts genug, genau wie der Fritz. Ach, die Jungen waren beide nicht sehr kräftig, bei weitem nicht so stark und groß, wie er sich die beiden einzigen „Kerls“ ersehnte, die er nicht erst anzuwerben brauchte – die ihm gehörten! Benehmen und Haltung August Wilhelms schienen im Vergleich zu Fritz nicht so gewandt und sicher. Der Kleine war etwas ängstlich und vor Fremden leicht befangen. Selbst ihm gegenüber traute er sich mit Bitten manchmal nur schriftlich hervor. Da wurde dem König rasch so ein Kinderbriefchen zugesteckt: „Darf ich wohl wieder bisweilen mit Farben malen?“ Das Prinzlein steckte viel bei Pesne im Atelier. Die Hintergründe und Landschaften, die des großen Porträtisten schwache Seite waren, die gerade interessierten Hulla am meisten; an ihnen sah er sich gar nicht satt. Mag er, mag er, dachte der König, Bilder sehen hält die Augen offen! Bücher lesen macht zu leicht in sich gekehrt –. Soll er die geliebten, großen, sanften Augen offenhalten!

      Nein, Lieblinge hatte König Friedrich Wilhelm nicht, nur acht geliebte Kinder; von denen war eines ein Sohn, den er wie andere Väter ihre Knaben zum Sohne haben durfte... Eines seiner Kinder gehörte ihm nicht, wie er sich selbst nicht gehörte. Friedrich und er, sie dienten ‚Dem König von Preußen‘.

      * * *

      Als alle Welt sich noch lebhaft mit dem Besuch des Königs von England am Berliner Hof befasste, als man namentlich im engen Kreis der Tabagie dies und jenes über die Hintergründe der Visite zu erfahren suchte, wusste Gundling seinen Herrn von gar nichts Besserem zu unterhalten als ausgerechnet von altrömischen Gebräuchen. Schlossen in Rom zwei Parteien einen Pakt, so wurde er durch eine Kinderverlobung im Hause der Führer bekräftigt; schlossen sie gar einen üblen Traktat, so musste möglichst eine Doppelheirat das schlechte Machwerk verbrämen. Wer den Antrag auf die festliche Vereinigung der Häuser am ehesten stellte, der hatte den anderen am meisten übervorteilt.

      Und plötzlich sprach Gundling nun doch vom König von England, dem einzigen Thema, das die anderen interessierte.

      „Der hohe Herr ist nur so sehr rasch abgereist, weil


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