Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.
verband sich im Körper des Reiches kirchliche Betätigung mit jeder staatlichen und gesellschaftlichen; in Krieg und Frieden, in Handel und Handwerk, auf dem Markt und beim Geldverkehr, im Hause und im Stalle leuchtete die goldene Ader des Ewigen auf, das Alltagstreiben der menschlichen Begierden adelnd. Soweit es auf Erden möglich ist, kann man von dem Reich sagen, dass es in seiner Mannigfaltigkeit und Gelenkigkeit, in der Fülle seiner aufeinander bezogenen Individualitäten, die Sternen und Sternbildern gleich durcheinanderschwärmten und sich gelten ließen, in der Großartigkeit und Freiheit seiner Anlage, wo es ohne Zwang stetigen Umschwung um den Mittelpunkt, ohne mechanische Verkettung Zusammenhang gab, wo Macht sich segensreich ausblühen konnte, weil keine ohne gegenwirkende Macht blieb, den Kosmos spiegelte.
Dasselbe kosmische Allumspannen, wie dem staatlichen Teil des Reiches eigen war, zeichnete den kirchlichen aus. Wie der Staat republikanische, monarchische, aristokratische und demokratische Bildungen in sich duldete, ja aus sich hervorbrachte und ineinandergreifen ließ, so litt die Kirche die verschiedensten Ausprägungen der Beziehung zum Göttlichen. Sie pflegte die Askese und Weltabgeschiedenheit der Mönche neben der Pracht und Weltfreudigkeit der Weltgeistlichen, nebeneinander die ackerbautreibenden und die gelehrten Klöster, die Prediger und die Bettelmönche, sie schützte die freien Vereinigungen von Männern und Frauen, die im Nordwesten des Reiches entstanden, gegen die Angriffe der Fanatiker, sie schonte die Frömmigkeit der Mystiker, die auf dem Wege der Verinnerlichung oder der Ekstase die Vereinigung mit Gott suchten, und schritt erst dann gegen sie ein, wenn sie die Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf zu verwischen, Gottverwandtschaft mit Gottgleichheit zu verwechseln schienen. Auch über die große Masse derer, die ganz in der Lust oder den Sorgen der Welt aufgingen, wenig um den Willen Gottes bekümmert, ließ sie die segnende Sonne leuchten, zufrieden, wenn sie die vorgeschriebenen Gebräuche mitmachten und Glieder des geheiligten Körpers blieben, innerhalb dessen sie von dem Strom der göttlichen Gnade, der ihn durchflutete, ergriffen werden konnten. Gehorsam gegen den Organismus, der der Idee nach die gesamte Christenheit umfasste und in dem allein die Seligkeit erlangt werden konnte, war das einzige, was die Kirche unbedingt von jedem verlangte: es war gleichbedeutend mit dem Gehorsam gegen Gott. Ungehorsam war Ketzerei, die unerbittlich bestraft wurde; denn mit der Ausrottung des Ketzers war eigentlich nur die Verdammnis vollstreckt, der derjenige, welcher aus der Kirche heraustrat, verfiel. Diesen unbedingten Gehorsam nun, der der Kirche geschuldet wurde, nahm mehr und mehr der Papst als Inhaber der kirchlichen Gewalt für sich in Anspruch. Während Kaiser und Reich, anfangs eine Einheit, im Verlauf des Mittelalters immer mehr auseinandertraten und sich sogar gegeneinander wenden konnten, verschlang der Papst die Rechte der Kirche in seine Person. Der Papst war die Kirche, der Kaiser war keineswegs das Reich; insofern entwickelte sich die Stellung des geistlichen Herrn des Erdkreises umgekehrt wie die des weltlichen. Es war, als ob das ewige Rom seinen gegenwärtigen Herren den Imperialismus der Cäsaren mitteilte, deren Nachfolger sie sich mit ganz anderer Berechtigung hätten nennen können als die deutschen Kaiser. Zwar war die Macht des Papstes eine rein geistige; aber gerade deshalb konnte keine Überlegenheit der Waffen sie vernichten. Weil das Abendland an ihn glaubte, konnte er seine Könige gegeneinander ausspielen und konnte er innerhalb der Kirche Kardinäle und Bischöfe, die ursprünglich seinesgleichen waren, seiner Herrschaft unterwerfen.
Diesem wie ein gigantischer Baum gewachsenen Reichskörper war die Neigung zum Verwildern, die nach einem Worte Goethes der Natur eigen ist, die Neigung zur Ausartung und Entartung angeboren. Nur in einzelnen Höhepunkten seiner Geschichte erfüllte er seine Idee ganz; sehr bald machten sich störende, zerstörende Schäden bemerkbar. Jede menschliche Einrichtung erfordert, um sich blühend und fruchtbar zu erhalten, den immer neuen Einsatz menschlicher Kräfte unter der Führung der Idee, die sie entstehen ließ. Ist es immer selten, dass ein solcher dauernd erfolgt, so standen ihm gewisse Eigenschaften der Deutschen besonders im Wege: Streben nach Unabhängigkeit und maßloses Wuchernlassen aller Triebe auf der einen Seite, auf der anderen Bequemlichkeit, die lieber Lasten trägt, als sich wehrt. Das Verfolgen eigener Interessen auf Kosten der Gesamtheit nicht selten bis zum Verrat, woran fast alle Reichsstände, hauptsächlich die höchsten und mächtigsten, sich gewöhnten, und die Unfähigkeit der kaiserlichen Zentralgewalt, die der stete Kampf mit dem Papst lähmte, sich Gehorsam zu verschaffen, führten dahin, dass die Reichsglieder nur noch mit Mühe und oft gar nicht zu einem produktiven Zusammenwirken zu bringen waren. Anstatt dessen drohte der Krieg aller gegen alle.
Allen Forderungen des Kaisers misstrauisch gegenüberstehend, gingen die Fürsten ganz auf in dem Streben, aus den vereinzelten Gebieten und Rechten, die ihnen zustanden, ein zusammenhängendes Territorium zu bilden, dessen unumschränkte Herren sie wären. Dabei standen ihnen im römischen Recht erfahrene Räte zur Seite, die das fein durchdachte, der Zentralisierung günstige fremde Recht auf die fließenden Verhältnisse des Reiches anwendeten, bei dem es mehr als auf Herrschaft auf zu erkämpfende Ausgleichung ankam. Noch waren sie fern davon, eine absolute Herrschaft über ihre Untertanen ausüben zu können: die Geistlichen, Herren, Ritter und Städte, die ihr Gebiet umfasste, hatten sich im Maße, wie die Lehensbeziehungen an Kraft verloren, zu den sogenannten Landständen vereinigt, ohne deren Zustimmung der Fürst weder Steuern erheben noch Krieg führen konnte. Neben den Landständen stellte sich dem Machtstreben der Fürsten das Gegengewicht der Reichsritter und Reichsstädte entgegen, deren Selbständigkeit durch sie bedroht war. Wie es dem Fürsten untertänige Landstädte gab, so gab es auch landsässige Ritter; die Reichsritter, unmittelbar dem Kaiser unterstellt, eingeteilt in eine fränkische, eine schwäbische und eine rheinische Gruppe, waren stolz darauf, selbständige Reichsstände zu sein wie die Fürsten, und hätten ihre Herrschaft, mochte sie noch so armselig sein, nicht gegen ein reichlicheres Dasein in der Untertänigkeit unter einem Fürsten getauscht. Vereinigt hätten Reichsritter und Reichsstädte vielleicht etwas gegen die Fürsten ausrichten können; allein zwischen ihnen bestand ein ebenso scharfer Gegensatz wie zwischen ihnen beiden und den Fürsten, da die verarmende Ritterschaft die reich gewordenen Bürger hasste und verachtete und sich nicht selten an ihnen schadlos zu halten suchte.
Das deutsche Recht gab jedem freien Mann die Befugnis, den, von dem er sich verunrechtet glaubte, zu befehden, wenn er bei den zuständigen Gerichten vergeblich Recht gesucht hatte. Als nun die Ritterschaft infolge der veränderten Kriegsweise überflüssig und zum Teil infolge wirtschaftlicher Veränderungen arm geworden war und auf ihren Burgen wie in Wolfshöhlen ein verwildertes Dasein führte, benutzte sie wohl das Fehderecht, nicht um sich Recht zu verschaffen, sondern um unter dem Vorwand der Fehde Angehörige des bekämpften Gebietes zu überfallen und zu berauben und sich von der geängstigten Herrschaft den Frieden abkaufen zu lassen.
Da zu diesen Fehden noch die Kriege kamen, die der Kaiser führen musste, um sich Gehorsam zu erzwingen, und die die Fürsten untereinander führten, um ihre Besitzungen auszudehnen, gab es jederzeit irgendwo im Reich Krieg, wurde bei der Art der damaligen Kriegführung irgendwo deutsches Land verwüstet. Denn die Kriege bestanden hauptsächlich darin, dass die dem Gegner gehörenden Dörfer geplündert und verbrannt, seine Untertanen vertrieben, getötet, verstümmelt wurden. Die schrecklichsten Folgen des Krieges hatten demnach die Bauern zu tragen, die er gar nichts anging. Überhaupt war die Lage des Bauernstandes ein besonders hässlicher Makel im Bild des Reiches.
Längst mit wenigen Ausnahmen vom Kaiser durch die Mittelmächte getrennt, hatten die Bauern keine Möglichkeit, bei einem höheren Gericht gegen Bedrückung Schutz zu suchen. Steuern zahlen zu müssen wurde von den Deutschen als Zeichen der Knechtschaft betrachtet, von Adel und Geistlichkeit mit Entrüstung abgelehnt, einzig in den Städten bestand ein ausgebildetes Steuerwesen. Der geistliche und der weltliche Adel nährten sich hauptsächlich von den Leistungen und Abgaben der Bauern, die allerdings während des Mittelalters nicht allzu hoch waren, aber gesteigert wurden, als die Lebenshaltung anspruchsvoller wurde. Aber nicht nur, dass das schwächste Glied des Reiches die Pyramide tragen musste, es wurde ihnen nicht Dank, sondern Verachtung zuteil, wie denn immer der Stärkere den Schwächeren erst auszunützen und herabzudrücken und, wenn die Knechtung gelungen ist, als geborenen Sklaven zu verhöhnen pflegt. Nur um Anforderungen des Kaisers abwehren zu können, gedachten die Fürsten und Herren wohl des armen Mannes, wie der Bauer genannt wurde, der ohnehin unter Lasten fast zusammenbräche und nicht noch mehr beladen werden könne.
Ein bedrohliches Zeichen war es, dass der Umfang des Reiches nicht nur nicht mehr wuchs, sondern dass auf