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Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur. Herbert George WellsЧитать онлайн книгу.

Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur - Herbert George Wells


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im Sprechen auf und ab gehe. Meine Schwester Fanny nahm Hut und Jacke und huschte unauffällig die Stiege hinauf und zum Hause hinaus. Nach einer Weile erschien Prue; sie sagte, sie habe der Lehrerin aufräumen geholfen, ich aber wußte, daß sie log. Dann verging eine lange Zeit. Schließlich kam Vater allein die Treppe herunter.

      Er ging zum Kamin, als ob er im Traum wandle, blieb auf dem Kaminteppich stehen und starrte mit unheilvollem Ausdruck vor sich hin, offenbar wartend, daß Mutter ihn frage, was denn geschehen sei. ›Warum ist John nicht heruntergekommen, um eine Tasse Tee zu trinken und einen Bissen zu essen? Wo ist er hingegangen, Morty?‹

       ›Er ist fortgegangen, um einen Möbelwagen zu bestellen‹, erwiderte Vater.

      ›Einen Möbelwagen? Ja, wozu denn?‹ fragte Mutter.

      ›Er muß ausziehen – wenn du es wissen willst.‹

      ›Er muß ausziehen?‹

      ›Wir werden sie für ein paar Tage hier bei uns unterbringen müssen‹, fuhr Vater fort.

      ›Wen werden wir hier unterbringen müssen?‹

      ›Ihn und Adelaide. Sie kommen nach Cherry Gardens.‹

      ›Du willst doch nicht etwa sagen, daß John seine Stellung verloren hat?‹

      ›Doch! Seine Lordschaft ist ihm mit einem Male feindlich gesinnt. Es ist Unheil angestiftet worden. Irgendwer hat spioniert, und seinen Feinden ist es gelungen, ihn um seine Stellung zu bringen. Er ist hinausgeworfen worden. Er kann gehen – hat man ihm gesagt.‹

      ›Ja, aber man wird ihm doch gekündigt haben!‹

      ›Nein, nicht im geringsten. Seine Lordschaft ist ganz rot vor Zorn in den Garten gekommen. »Hinaus mit dir!« So hat er gesprochen. Mit diesen Worten. »Und danke deinem Schöpfer, daß ich dir nicht die Polizei auf den Hals jage, dir und deinem scheinheiligen Schwager.« Ja, das hat Seine Lordschaft gesagt.‹

      ›Ja, aber was meint er denn damit, Morty?‹

      ›Was er damit meint? Er meint, daß gewisse Personen, die er nicht nennt, John verdächtigen, Lügen über ihn erzählt und ihn beobachtet haben, ihn und mich. Sie haben mich auch mit hineingezogen, Martha, und unseren Harry auch. Sie haben eine Geschichte über uns zusammengedichtet ... Ich hab' ja immer gesagt, daß wir es nicht so regelmäßig machen sollten ... Nun haben wir's! Nun ist John kein herrschaftlicher Gärtner mehr! Und nicht einmal ein Zeugnis wird man ihm geben. Er wird nie mehr eine ordentliche Stellung bekommen, er ist ruiniert. Das haben wir nun davon!‹

      ›Ja, wird denn behauptet, daß er etwas genommen hat? Mein Bruder John soll etwas genommen haben?‹

      ›Produktionsüberschuß. Den für sich zu nehmen, ist das Recht jedes Gärtners, seit die Welt besteht.‹

      Ich saß mit glühenden Backen da und tat so, als ob ich nichts von diesem furchtbaren Gespräch hörte. Niemand wußte, welchen Anteil ich am Sturz meines Onkels hatte. Und bald begann sich, dem Gesang einer Lerche nach einem Gewitter vergleichbar, in meinem Herzen die Hoffnung zu regen, daß ich nun vielleicht kein Gärtner werden würde. Meine Mutter gab ihrer Bestürzung in abgerissenen Sätzen Ausdruck. Immer wieder stellte sie ungläubige Fragen, und Vater antwortete in orakelhaftem Ton. Plötzlich wandte sich Mutter in wildem Zorn an Prue und warf ihr vor, daß sie, anstatt Geschirr abzuwaschen, einem Gespräche zuhöre, das sie nichts angehe.«

      »Du schilderst uns diese Szene sehr eingehend«, meinte Beryll.

      »Es war das die erste große Krise meines Traumlebens«, erwiderte Sarnac. »Sie ist mir sehr lebhaft in Erinnerung. Ich kann die alte Küche, in der wir lebten, noch ganz deutlich vor mir sehen, die verblichene Decke auf dem Tisch und die Petroleumlampe mit ihrer Glaskugel. Ich glaube, bei einigem Nachdenken könnte ich alles aufzählen, was sich in jenem Raume befand.«

       »Was ist ein Kaminteppich?« fragte Iris plötzlich.

      »Was für ein Ding war der Kaminteppich, von dem du sprachst?«

      »Ich wüßte nicht, womit ich so einen Kaminteppich vergleichen sollte. Es war eine Art derbe Decke, die man vor das Kamingitter legte; vor dem Kohlenfeuer, das im Kamin brannte, war nämlich ein kleines Gitter angebracht, damit die Asche nicht auf den Fußboden des Zimmers falle. Unseren Kaminteppich hatte mein Vater selbst hergestellt, und zwar aus alten Lappen, alten Kleidern, Flanellresten und Stückchen Sackleinen; die Stoffe wurden in schmale Streifen geschnitten und diese dann auf einem Stück Sackleinen befestigt. An Winterabenden hatte Vater am Feuer gesessen und emsig genäht.«

      »Hatte dieser Kaminteppich irgend ein Muster?«

      »Nein. Aber ich werde mit meiner Geschichte niemals zu Ende kommen, wenn ihr fortwährend Fragen an mich stellt. Ich erinnere mich, daß Onkel, nachdem er einen Möbelwagen bestellt hatte, wieder zu uns kam und ein Käsebrot als Abendimbiß bei uns verzehrte, bevor er nach Chessing Hanger zurückmarschierte. Er war blaß und sah verstört drein. Sein Gehaben hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem des Sir John; er sah aus wie einer, den man gewaltsam aus irgendeinem Versteck hervorgezogen hat, ein elender und bedauernswerter Mensch, der plötzlich dem Licht ausgesetzt wird. Ich erinnere mich, daß meine Mutter ihn fragte: ›Und wie nimmt es Adelaide?‹

      Onkel setzte eine resignierte Miene auf. ›Sie hat schon wieder einen neuen Schmerz‹, sagte er bitter. ›In einem solchen Augenblick!‹

       Mein Vater und meine Mutter wechselten einen verständnisvollen Blick.

      ›Ich sage euch –‹, hob Onkel wieder an, brachte aber nicht heraus, was er uns sagen wollte.

      Ohnmächtige Wut schüttelte ihn. ›Wenn ich bloß wüßte, wer mir das angetan hat‹, stieß er endlich hervor. ›Diese – diese Schlange von einer Haushälterin – ja, eine Schlange nenne ich sie – sie hat einen, den sie an meine Stelle setzen will. Und sie und Petterton haben die Geschichte angezettelt –.‹

      Er schlug auf den Tisch, aber es war ihm nicht ganz ernst damit.

      Vater schenkte ihm etwas Bier ein.

      ›Uff!‹ sagte Onkel und leerte das Glas.

      ›Na, es läßt sich eben nicht ändern‹, fuhr er, sich ermannend, fort. ›Irgendwie werd' ich schon durchkommen. Hier in den Zwei-Pfennig-Villen wird wohl Gartenarbeit zu kriegen sein, denke ich. Ich werd' mir schon einen Verdienst schaffen ... Aber stellt euch einmal vor! Ich ein Gärtner, der für Taglohn arbeitet! Die kleinen Beamten da in all den Villen werden nicht übel stolz sein, wenn Lord Brambles Gärtner ihnen das Gras abmäht. Ich seh' sie schon, wie sie mich ihren Bekannten durchs Fenster zeigen werden. Der war Obergärtner bei einem Lord, werden sie sagen. Hm hm –.‹

      ›Es ist ein Sturz‹, meinte Vater, als Onkel gegangen war. ›Man kann sagen, was man will, es ist ein Sturz ...‹

      Mutter war mit der Frage der Einquartierung beschäftigt. ›Sie wird auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen müssen, und ihm werden wir einen Strohsack auf dem Fußboden herrichten. Ich glaub' ja nicht, daß sie sehr zufrieden sein wird. Sie werden zwar ihr eigenes Bettzeug mitbringen, aber Adelaide ist nicht danach angetan, sich auf einem Sofa wohlzufühlen.‹

      Die arme Frau fühlte sich überhaupt nicht wohl. Obgleich Onkel und auch mein Vater und meine Mutter ihr Vorstellungen machten, daß sie jetzt nicht krank sein dürfe und daß ihr Betragen unverantwortlich sei, beharrte sie bei der Behauptung, ihre Schmerzen seien so schlimm, daß ein Arzt gerufen werden müsse. Dieser befahl eine sofortige Überführung in ein Hospital zum Zwecke einer dringenden Operation.«

      »In jenen Tagen«, fuhr Sarnac fort, »herrschte völlige Unwissenheit in Bezug auf den menschlichen Körper. Die alten Griechen und die Araber hatten während der kurzen Phasen ihrer geistigen Regsamkeit immerhin einiges auf dem Gebiete der Anatomie geleistet; die anderen Völker aber hatten vorwiegend nur theoretische Studien in der Physiologie getrieben, und das auch erst während der letzten drei Jahrhunderte vor der Zeit, die ich euch schildere. Die Menschen im allgemeinen wußten so gut wie nichts vom Lebensprozeß


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