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Ellernklipp. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.

Ellernklipp - Theodor Fontane


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ich kenn' Euch und weiß, es wird das Rechte sein. – Aber nun kommt, daß wir nach der Muthe sehen.«

      Und er klatschte zweimal in die Hand und rief dem Kinde vom Fenster aus zu: »Wir wollen gehen, Hilde! Nimm dein Tuch!«

      Und gleich danach schritten alle drei quer über das Tal auf einen langen und ziemlich hohen Heckenzaun zu, der, neben dem Gehöfte des Heidereiters ansteigend, erst auf den Wiesen- und Weidegrund der »Sieben Morgen« und dann immer höher hinauf auf eine weitgestreckte, mit Ginster und Heidekraut bestandene Hochfläche führte, die »Kunerts-Kamp« hieß und nach hinten zu mit einem anscheinend endlosen Tannenwalde schloß. An dem Punkte aber, wo Kamp und Wald sich ineinander schoben und ein Eck bildeten, stand das kleine weißgetünchte Haus der Muthe Rochussen, einer armen Holzschlägerswitwe.

      Hilde war eine gute Strecke zurückgeblieben, um Gräser und Blumen zu pflücken, und erst als Sörgel und der Heidereiter bis dicht an den Zaun heran waren, der das weiße Häuschen von drei Seiten her einfaßte, beeilte sie sich, wieder in die Nähe beider zu kommen. Und nun schob sie, die kleine Hand durch das Gitter zwängend, einen Holzriegel von innen her zurück und lief über den Hof hin auf die mit Tannenzweigen bestreute, zugleich als Küche dienende Diele, daran die beiden einzigen Stuben des Hauses gelegen waren. Und nun öffnete sie die vorderste derselben und trat zurück, um die beiden Männer eintreten zu lassen.

      Diese blieben jedoch, einen Augenblick wenigstens, wie betroffen stehen, denn was sie sahen, war mehr ein Begräbnis- als ein Sterbezimmer. Alles Unschöne war wie vorweg aus dem Wege geräumt. Unter einer aus bunten Zeugstücken sauber zusammengesteppten Decke lag die Tote, das dunkle Haar gescheitelt und eine Kette von Bernsteinkugeln um den Hals, daran ein flammendes Herz hing. Ihre Linke hielt die gesteppte Decke fest und ließ für jeden, der eintrat, gleich auf den ersten Blick einen Schlangenring am vierten Finger erkennen. Es war ersichtlich, daß sie das Herannahen ihrer letzten Stunde gefühlt und das eitle Verlangen gehabt hatte, nach ihrem Tode noch eine Verwunderung und das Gerede der Leute zu wecken. Und so hatte sie denn das Haus bestellt, sich gekleidet und geschmückt und sich dann niedergelegt und war gestorben. Und ohne Kampf schien sie hinübergegangen zu sein, denn so herb ihre Züge waren, aus jedem sprach es doch wie das Glück einer endlichen Erlösung.

      Und nun war auch Hilde herangetreten und hatte die Blumen, die sie draußen auf der Heide gepflückt, über die Mutter ausgestreut. Und sie kniete nieder und küßte die herabhängende Hand. Aber sie weinte nicht und gab kein Zeichen tiefen Schmerzes. Es war vielmehr, als wisse sie nichts Deutliches von Tod und Sterben, und als beide Männer immer noch schwiegen, erhob sie sich und ging auf den Platz hinaus, wo der Brunnen stand und ein paar Leinenstücke zum Bleichen ausgespannt lagen.

      Es war stickig in dem Zimmer, und Sörgel, den es von Anfang an nach frischer Luft verlangt hatte, trat ans Fenster, um zu öffnen. Und dabei wurd' er auf dem Fensterbrett und fast zu Häupten der Toten eines zierlichen und mit Silber eingelegten Ebenholzkästchens ansichtig, das an dieser ärmlichen Stelle beinahe mehr noch überraschen mußte als der Schmuck, den die Holzschlägerswitwe trug. In dem Kästchen aber lag alles, was diese hinterließ: ein Goldgulden, ein Spezies, ein paar kleinere Münzen und daneben zwei silberne Trauringe, die sie bei Lebzeiten getragen, aber in ihrer Sterbestunde von sich getan hatte.

      »Das ist ihr Trauring«, sagte Sörgel und legte den kleineren auf seine flache Hand. »Und das hier ist der von dem Rochussen. Und sind nun elf Jahre, daß sie mit ihm unten vorm Altar stand. Ihr wißt ja, wie's kam und was es war; und sollte was zugedeckt werden. Aber sie hat nicht mit den beiden Ringen wie mit einer Lüge vor ihren Gott hintreten wollen, und ist mir, als ob's eine Beichte wär' und ein Bekenntnis. Und nur hoffärtig ist sie geblieben bis an ihr Ende. Denn seht nur, von dem Schlangenringe hat sie nicht lassen wollen, den trägt sie noch, auf daß jeder ihn sehe. Ja, Heidereiter, irr und verworren sind unseres Herzens Wege.«

      Der schwieg und sah vor sich hin. Sörgel aber fuhr fort:

      »Und auch das hier – und er wies auf die Münzen – erzählt mir nur, was ich schon weiß. Sie hat nie gedarbt, arm, wie sie war. Es geschah eben, was geschehen mußte, solange noch wer da war, der den Finger aufheben und sagen konnte: so und nicht anders. Aber das ist nun vorbei seit heute nacht, und die Gnädigste drüben wird sich nicht aus freien Stücken zu dem Enkelkinde bekennen wollen. Es war ihr immer ein Stachel im Fleisch. Und so haben wir von Stund' an eine Waise mehr in der Gemeinde.«

      »Nicht doch«, sagte Baltzer. »Ich nehme das Kind, und es soll mit meinem Martin zusammengehen. Ja, Pastor, ich will ein Gespann haben, damit fährt sich's besser, und ist dem Jungen gut. Und lieben wird er sie schon, denn's ist ein feines Kind und hat die langen Wimpern und das helle Rothaar – dasselbe, das die drüben haben. Und wer den Toten Blumen streut, der streut sie, denk' ich, auch wohl den Lebenden.«

      »Ich hoff' es«, antwortete Sörgel.

      Und danach riefen sie Hilden und sagten ihr, daß sie nun Abschied nehmen müsse. Die war denn auch bereit und stutzte nicht, und nur auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal und lief zurück, um der Toten die Hand zu streicheln. Und nun erst folgte sie den beiden Männern und trat auch ihrerseits und ohne Zeichen tieferer Bewegung ins Freie.

      Der Pastor gedachte seinen Weg wieder über Kunerts-Kamp und die Sieben-Morgen zu nehmen, genauso, wie sie gekommen waren; als ihn aber der Heidereiter bedeutet hatte, es sei näher über Diegels Mühle, schlenderten sie gemeinschaftlich an einer tiefen Grenzfurche hin, die von dem kleinen weißen Haus aus bis an den Abfall des Berges führte. Hilde ging vor ihnen her und stemmte, wie sie zu tun liebte, den rechten Arm in die Seite. Das gab ihr einen geraden Gang und machte, daß sie größer aussah, als sie war. Die beiden Männer aber folgten ihr mit den Augen, und Baltzer sagte lächend: »Ich werde sie zu hüten haben.«

      Eine kurze Strecke noch, und die Grenzfurche bog nach links hin um eine kahle Felswand herum, in deren Front sie sich als mannsbreite Straße fortsetzte. Die Felswand selbst aber hieß Ellernklipp. Ein mittelhoher Brombeerbusch wuchs hier als einzige Schutzlehne hart am Abgrund hin, und der alte Sörgel, indem er sich an dem Gezweige festhielt, sah in freudiger Bewegung in das Landschaftsbild hinein, das ihm heut', unter dem Einfluß einer besonderen Beleuchtung, als etwas Neues und Niegesehenes erschien. In den Fenstern des Schlosses stand die Vormittagssonne, weiter unten blinkte der Wetterhahn auf der Schindelspitze des Turmes, und von rechts her, unter Erlen halb verborgen, flimmerte das Schieferdach von Diegels Mühle herauf.

      »Ich muß nun da hinein«, sagte der Heidereiter und zeigte halb rückwärts auf den Wald. »Und dies ist der Weg, der nach der Mühle führt. Ehrwürden sehen den Haselbusch, und wenn Sie den haben, schlängelt sich's allmählich bergab. Aber immer rechts. Nach links hin geht's in den Elsbruch und ist steil und abschüssig, und wer fehltritt, ist kein Halten mehr. Und du, Hilde, gehst vorauf und suchst Ehrwürden die besten Stellen.«

      Und sie ging vorauf und wartete nur dann und wann, bis der Alte, den sie führen sollte, wieder heran war. In diesem aber klang es nach, was der Heidereiter in der Muthe Haus oben gesprochen hatte: »Wer den Toten Blumen streut, der streut sie, denk' ich, auch wohl den Lebenden.« Und er wiederholte sich jedes Wort. »Aber ich fürchte«, fuhr er in leisem Selbstgespräche fort, »sie kennt nicht Gut und nicht Bös, und darum hab' ich sie zu dem Baltzer Bocholt gegeben. Der hat die Zucht und Strenge, die das Träumen und das Herumfahren austreibt. Und wenn sie Gutes sieht, so wird sie Gutes tun.«

      2 Hilde spielt

      Hilde blieb in der Pfarre bis zum Begräbnis ihrer Mutter, am dritten Tag in aller Frühe. Man läutete nicht, und nur einige Neugierige waren gekommen, darunter auch Dienstleute vom Schloß. Und als nun der alte Sörgel das Gebet gesprochen und der Toten eine Handvoll Erde nachgeworfen hatte, nahm Baltzer Bocholt das Kind an der Hand, um es in seine neue Heimstätte hinüberzuführen. Auf dem Flur, in der Nähe der schmalen Treppe, standen alle Zugehörige des Hauses, und Baltzer, als er sie stehen sah, sagte: »Das ist gut, daß ihr da seid. Sieh, Hilde, dies ist unsere Grissel. Mit der wirst du nun zusammen leben und mußt ihr gehorchen in allen Stücken, als ob ich's selber wär'. Und dies ist Joost, unser Knecht, der meint es gut. Nicht wahr, Joost? Und laß dich nur aufs Pferd von ihm setzen, aber immer nur, wenn


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