John Flack. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
würde es Ihnen etwas ausmachen, das Polizeibureau in der Vine Street anzurufen, ob dort Rapporte über einige Unglücksfälle eingelaufen sind?«
Vine Street, wo man über die Lebensweise von so manchen Leuten genau unterrichtet war, teilte sofort mit, daß Mr. Georgio Ravini die Stadt verlassen hätte; man nahm an, er wäre in Paris.
»Du lieber Himmel,« sagte Mr. Reeder in seiner nachlässigen, gleichgültigen Weise. »Das ist aber vernünftig von Georgio, und es wäre noch viel vernünftiger, wenn er ganz dort bleiben würde.«
Mr. Simpson stand auf und schüttelte sich. Er war ein starker, beherzter Mann, der diese Angewohnheit hatte.
»Ich will nach dem Präsidium gehen und Rapport erstatten,« sagte er. »Vielleicht ist es doch nicht Flack gewesen. Er ist der Anführer von einer Bande und kann ohne seine Leute nichts machen. Und die sind ja in alle Welt zerstreut, die meisten von ihnen in Argentinien ...«
»Ha, Ha!« lachte Mr. Reeder, aber ohne jedes Anzeichen von Belustigung.
»Worüber lachen Sie denn, zum Teufel?«
Der andere entschuldigte sich sofort.
»Das war mehr ein ... hm ... wenn ich so sagen darf ... ein ... hm ... skeptisches Lachen. Argentinien! Gehen denn Verbrecher wirklich nach Argentinien ... ausgenommen natürlich in den wunderbaren Romanen, die man in der Eisenbahn liest? Eine Überlieferung, mein lieber Mr. Simpson, die bis zu jenen alten Zeiten zurückgeht, wo zwischen den beiden Ländern keine Auslieferungsverträge bestanden. In alle Welt zerstreut! ... Möglich ... Ich warte auf den Tag, wo ich sie alle unter einem Dach zusammen habe. Das wird ein sehr angenehmer Morgen für mich sein, Mr. Simpson, wenn ich durch die Galerie laufen und durch die kleinen Judasse Beobachtungsklappe in den Zellentüren der Gefängnisse. blicken kann und sehe, wie sie Postsäcke nähen – es gibt keine beruhigendere Beschäftigung als Näharbeit! – In der Zwischenzeit passen Sie aber ja auf Ihre Banken auf – der alte John Flack ist siebzig Jahre alt und hat keine Zeit mehr zu verlieren. Die nächste Zeit, bevor viele Tage vergangen sind, wird es erleben, wie in der City von London Geschichte gemacht wird. Ich möchte wissen, wo ich Mr. Ravini finden kann?«
***
Georgio Ravini gehörte nicht zu denen, deren Glückseligkeit von der guten Meinung abhing, die andere von ihm hatten.
Sonst würde er wohl sein ganzes Leben in jämmerlicher Trübsal verbracht haben. Und in bezug auf Mr. Reeder – er erörterte das Thema dieses interessanten Polizeibeamten bei einem Glas Wein und einer guten Zigarre in seiner Wohnung in der Half Moon Street. Es war ein in die Augen fallender, sogar etwas protzenhafter, kleiner Haushalt. Mr. Ravinis Motto war: Das Beste vom Besten – und davon so viel, wie irgendmöglich; sein Salon erinnerte an eine jener übermäßig verzierten französischen Standuhren – alles Gold und Emaille, wenn es nicht Seide oder Damast sein konnte. Er setzte Lew Steyne – eine Art »Leutnant« von ihm – seine Meinung über die Lage der Dinge auseinander.
»Wenn dieser alte Dingsda wirklich nur die Hälfte von dem wüßte, was er zu wissen vorgibt, würde ich den ersten Zug nach Bordighera nehmen,« sagte er. »Aber Mr. Reeder blufft. In gewisser Beziehung ist er sehr gerieben, aber das kann man beinahe von jedem Schnüffler sagen, dem man in den Weg läuft.«
»Du kannst ihn sicherlich was lehren,« erwiderte Lew schmeichlerisch, und Mr. Ravini lächelte selbstgefällig und strich seinen kecken Schnurrbart.
»Ich würde mich gar nicht wundern, wenn der alte Geck nach dem Mädel verrückt ist. Mai und Dezember – kannst du dir so was denken?!«
»Wie sieht sie eigentlich aus?« fragte Lew. »Ich habe sie niemals richtig gesehen.«
Mr. Ravini küßte verzückt seine Fingerspitzen.
»Mich kann er auf jeden Fall nicht ins Bockshorn jagen, Lew – du weißt, wie ich bin. Wenn ich was haben will, dann bin ich hinterher und bin so lange hinterher, bis ich es habe. Ich habe niemals ein Mädel gesehen wie sie. Ganz und gar Dame und so weiter, und was sie an solch altem Knacker finden kann ist mir 'n böhmisches Dorf.«
»Weiber sind komisch,« sagte Lew nachdenklich, »man sollte nicht glauben, daß 'n Schreibmaschinenmächen dir den Laufpaß gibt.«
»Laufpaß geben ist Quatsch,« sagte Mr. Ravini kurz, »ich bin ihr ganz einfach nicht vorgestellt worden, das ist die Geschichte. Aber das kommt noch. Wo ist das Haus?«
»In Siltbury,« sagte Lew.
Er holte ein Stück Papier aus der Westentasche, faltete es auseinander und las die mit Bleistift geschriebenen Worte. »Larmes Keep, Siltbury – an der Südbahn. Ich folgte ihr, als sie mit ihren Koffern von London abreiste. Der alte Reeder brachte sie nach der Bahn und sah so vergnügt aus wie eine gebadete Katze.«
»Eine Pension?« sagte Ravini überlegend, »komische Art von Stellung.«
»Sie ist Sekretärin,« berichtete Lew. (Er hatte das mindestens schon viermal erzählt, aber Mr. Ravini gehörte zu jenen neugierigen Menschen, die alles nicht oft genug hören können.)
»Das Haus ist allerhand,« sagte Lew. Nicht eine der gewöhnlichen Pensionen – nur für seine Leute. Zwanzig Guineen die Woche pro Zimmer, und du kannst froh sein, wenn du überhaupt reinkommst.«
Ravini kratzte sein Kinn und dachte darüber nach.
»Das ist hier ein freies Land,« sagte er, »wer kann mich hindern in – na, wie heißt das Ding – zu wohnen? Larmes Keep? In meinem ganzen Leben habe ich mich noch niemals mit ›Nein‹ von 'ner Frau zufrieden gegeben. Meistens meinen sie's ja überhaupt nicht so. Auf jeden Fall muß sie mir ein Zimmer geben, wenn ich genug Geld habe, um zu zahlen.«
»Und wenn sie an Reeder schreibt?« warf Lew ein.
»Laß sie schreiben!« Ravinis Ton klang herausfordernd, wie auch seine Meinung immer sein mochte. »Was kann er mir anhaben? Es ist doch kein Verbrechen, seine Miete in einer Pension zu bezahlen?«
»Versuchs doch mal bei ihr mit einem von deinen Glücksringen,« grinste Lew.
Ravini betrachtete sie mit Bewunderung.
»Ich kann sie nicht herunterkriegen,« sagte er, »und ich denke gar nicht daran, mich deswegen von meinem Glück zu trennen. Sie wird schon anbeißen, wenn sie mich erst näher kennt – mach dir man keine Sorge deswegen.«
Ein merkwürdiger Zufall wollte es, daß er am nächsten Morgen, als er aus der Half Moon Street kam, gerade den einzigen Mann in der ganzen Welt, den er nicht sehen wollte, treffen mußte. Glücklicherweise hatte Lew seinen Handkoffer nach der Bahn gebracht, und so verriet nichts in Ravinis Erscheinung, daß er sich auf die Reise nach einem galanten Abenteuer machte.
Mr. Reeders Blicke fielen auf die Brillantringe, die im Tageslicht funkelten. Sie schienen eine ganz besondere Anziehungskraft auf den Detektiv auszuüben.
»Hält das Glück noch immer an, Georgio?« fragte er, und Georgio lächelte selbstgefällig. »Und wohin führen Sie Ihre Schritte an diesem wunderbaren Septembermorgen? der Bank, um Ihre ruchlosen Gewinne in Sicherheit zu bringen? Oder um sich schnell ein Visum für Ihren Paß zu besorgen?«
»Ein bißchen spazierengehen,« sagte Ravini leichthin, »der Verdauung halber.« Und dann mit einer kleinen Dosis Bosheit: »Was ist denn eigentlich mit dem Spitzel passiert, den Sie mir hinterhergeschickt haben? Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.«
Mr. Reeder sah an ihm vorbei anscheinend in weite Fernen.
»Er ist niemals weit weg von Ihnen gewesen, Georgio,« sagte er freundlich. »Letzte Nacht ist er Ihnen von Flotsam bis zu der merkwürdigen, kleinen Gesellschaft, an der Sie in Maida Vale teilnahmen, gefolgt, und von da bis nach Haus, um zwei Uhr fünfzehn.«
Georgio verlor ein wenig die Fassung.
»Sie wollen doch nicht sagen, daß er –« Er blickte um sich herum. Mit Ausnahme eines wohlwollend aussehenden Mannes, den man nach seinem Gehrock und Zylinder für einen Arzt halten konnte, war niemand zu sehen.
»Det