Joseph Conrad: Das Ende vom Lied – Weihe – Hart of Darkness:. Joseph ConradЧитать онлайн книгу.
Aufgrund seines Engagements für die Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit wurde der Vater 1861 verhaftet, zunächst im X. Pavillon der Zitadelle Warschau eingekerkert und neun Monate später ins nordrussische Wologda verbannt, wohin ihn seine Ehefrau Ewelina (geborene Bobrowska) und sein Sohn begleiteten. 1865 starb dort Conrads Mutter (Josef war erst acht Jahre alt). Der Vater wurde aus der Verbannung schließlich entlassen, wohnte noch kurze Zeit in Krakau, wo Conrad das Gymnasium besuchte, und starb 1869 (Josef war also mit 11 Jahren Vollwaise).
Das Sorgerecht für das damals elfjährige Kind erhielt dessen Onkel Tadeusz Bobrowski. Er erlaubte dem sechzehnjährigen Jugendlichen 1874 ins französische Marseille zu gehen, um Seemann zu werden.
Denkmal für Joseph Conrad in Gdynia, Polen – 10. August 2004
© 2004 by Tomasz Sienicki [user: tsca, mail: tomasz.sienicki (at) gmail.com] – Eigenes Werk
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Das Ende vom Lied
Das Ende vom Lied
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I
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Noch lange, nachdem der Dampfer „SOFALA“ Kurs auf das Land zu genommen hatte, war die morastige Küste als ein dunkler Rauchstreifen hinter dem Band aus Schaum erschienen. Es war, als ob Sonnenstrahlen mit größter Gewalt auf die ruhige See fielen, als ob sie auf der Oberfläche in glitzernden Dunst zerstäubten, in ein fast greifbares Licht, das das Auge blendete und das Hirn mit seinem grellen Flackern ermüdete.
Kapitän Whalley sah nicht auf die See. Als sein Serang sich dem geräumigen Rohrstuhl, den der Kapitän wuchtig ausfüllte, genähert und mit leiser Stimme gemeldet hatte, dass der Kurs umgesteuert werden müsse, da war Kapitän Whalley sofort aufgestanden und, das Gesicht geradeaus gerichtet, stehengeblieben, während das Vorderende seines Schiffes einen Viertelkreisbogen beschrieb. Er hatte kein einziges Wort ausgesprochen, hatte nicht einmal den Befehl gegeben, das Ruder zu stützen. Es war der Serang, ein ältlicher, flinker, kleiner Malaie mit sehr dunkler Haut, der murmelnd dem Steuermann den Befehl gab. Und dann setzte sich Kapitän Whalley langsam wieder in den Armstuhl auf der Brücke und sah starr auf das Deck zu seinen Füßen.
Er konnte nicht hoffen, in diesen Gewässern etwas Neues zu sehen. Er hatte während der letzten drei Jahre immer die gleichen Küsten befahren; von Low Cape nach Malantan waren es fünfzig Meilen, sechs Stunden Fahrt für das alte Schiff mit der Flut, oder sieben dagegen. Dann steuerte man das Land an, und allmählich erschienen dann drei Palmen am Himmel, hoch und schmächtig, die flatterigen Köpfe zusammengesteckt, wie zu einem heimlichen Klatsch über die dunklen Mangroven. Die „SOFALA“ hielt auf den dunklen Küstenstreifen zu, der in einem gegebenen Augenblick, wenn das Schiff nahe genug heran war, verschiedene leuchtende Einbuchtungen aufwies – die Mündung eines hochgehenden Flusses. Dann arbeitete sich die „SOFALA“ stromaufwärts durch eine braune Flüssigkeit, drei Teile Wasser und ein Teil schwarze Erde, zwischen niedrigen Ufern hin, drei Teile schwarze Erde und ein Teil Brackwasser, wie sie es einmal in jedem Monat, durch sieben Jahre hindurch oder noch länger getan hatte, lange bevor Kapitän Whalley von ihrem Dasein gewusst, lange bevor er daran gedacht hatte, er könnte jemals etwas mit ihr und ihren unabänderlichen Reisen zu tun haben. Das alte Schiff hätte den Weg besser kennen müssen als die Besatzung, die nicht so lange Zeit ohne Veränderung dabeigeblieben war; besser auch als der treue Serang, den Whalley von seinem letzten Schiff mitgebracht hatte, um die Kapitänswache zu halten; besser als Whalley selbst, der ja erst seit drei Jahren befehligte. Man konnte sich immer auf die „SOFALA“ verlassen, dass sie ihre Fahrten machen würde. Ihre Kompasse wurden kaum gebraucht.
Es machte durchaus keine Mühe, sie herumzuführen; es schien, als hätte ihr ihr hohes Alter Erkenntnis, Weisheit und Ruhe beschert. Sie kam auf einen Grad der Peilung genau in Sicht des Landes, und fast auf die Minute pünktlich nach dem Fahrplan. Kapitän Whalley konnte in jedem Augenblick, während er, ohne aufzusehen, auf der Brücke saß oder schlaflos in seinem Bett lag, sagen, wo er sich befand, und den genauen Standort angeben, indem er einfach die Tage und Stunden nachzählte. Auch er kannte sie gut, diese ewig gleichbleibende Hausierer-Tour, die Meerengen hinauf und herunter. Er kannte die Reihenfolge, die Aussichten und das Land. Als erstes Malakka, bei Tageslicht hinein, in der Dämmerung heraus, um dann, ein steifes, phosphoreszierendes Kielwasser hinter sich, diese Hauptstraße des Fernen Ostens zu überqueren. Dunkelheit und ein Leuchten da und dort über den Wassern, helle Sterne an einem schwarzen Himmel, vielleicht noch die Lichter eines heimwärts fahrenden Dampfers, der gerade in der Mitte seinen festen Kurs steuerte, oder auch der undeutliche Schatten eines Eingeborenenfahrzeuges, das unter Mattensegeln vorbeiflitzte – und bei Tageslicht das niedrige Land auf der anderen Seite in Sicht. Um Mittag die drei Palmen des nächsten Anlegeplatzes, am Oberlauf eines trägen Flusses. Der einzige Weiße, der dort hauste, war ein junger Seemann im Ruhestand, mit dem sich Whalley im Laufe vieler Reisen angefreundet hatte. Sechzig Meilen weiter war wieder ein Anlegeplatz, eine tiefe Bai, an deren Ufer nur ein paar Häuser standen. Und so weiter, hinein und heraus, wobei man der Küste entlang etwas Ladung einnahm; das Ende bildete eine ununterbrochene Fahrt von etwa hundert Meilen durch ein Gewimmel kleiner Inselchen, bis zu einer großen Eingeborenenstadt am Ende des Kurses. Dort gab es dann drei Tage Rast für das alte Schiff, vor dem Aufbruch in entgegengesetzter Richtung, wobei man dann dieselben Ufer in umgekehrter Reihenfolge sah, dieselben Stimmen an denselben Orten hörte; bis zum Heimathafen der „SOFALA“, an der großen Hauptstraße zum Osten, wo Kapitän Whalley dann fast gegenüber den großen Steinhäusern des Hafenamtes ein Zimmer nahm, bis es wieder Zeit wurde, die alte Rundfahrt über sechzehnhundert Meilen in dreißig Tagen anzutreten. Kein sehr aufregendes Leben das für Kapitän Whalley, Henry Whalley, auch Teufels-Harry genannt – den Whalley vom „KONDOR“, der seinerzeit ein berühmter Schnellsegler gewesen war.
Nein, kein sehr aufregendes Leben für einen Mann, der berühmten Firmen gedient, berühmte Schiffe (von denen mehr als eines sein Eigentum gewesen war) gesegelt, der berühmte Überfahrten gemacht hatte; der Pionier neuer Routen und neuer Handelszweige gewesen war, unerforschte Gebiete der Südsee durchkreuzt und die Sonne über Eilanden aufgehen gesehen hatte, die auf keiner Karte standen. Fünfzig Jahre zur See und vierzig Jahre im Osten (‚eine recht gründliche Lehrzeit’, pflegte er lächelnd zu bemerken) hatten ihn einer Generation von Reedern und Händlern in Ehren bekannt gemacht, von allen Häfen von Bombay ab bis dorthin, wo an der Küste der beiden Amerika der Osten in den Westen verläuft. Sein Ruhm blieb auf den Admiralitätskarten aufgezeichnet, nicht sehr hervorstechend, aber doch deutlich genug. Gab es nicht irgendwo zwischen Australien und China ein Whalley Island und ein Kondor-Riff? Auf jener gefährlichen Korallenformation war der berühmte Schnellsegler drei Tage lang gestrandet festgesessen; der Kapitän und die Mannschaft hatten sozusagen mit einer Hand die Ladung über Bord geworfen und mit der anderen eine Flottille von Kriegskanus der Eingeborenen abgewehrt. Damals führten weder das Eiland noch die Klippe ein amtlich anerkanntes Dasein. Später erkannten die Offiziere I. M. Dampfschiffs „FÜSILIER“, ausgeschickt, um die Route aufzunehmen, die Tat des Mannes und die Festigkeit des Schiffes an, indem sie die beiden Namen beibehielten. Überdies beginnt ja, wie jedermann, dem daran liegt, sehen kann, das ‚Allgemeine Handbuch’, Vol. II, Pag. 410, die Beschreibung der ‚Malotu- oder Whalley-Passage‘ mit den Worten: „Diese vorteilhafte Route, die zuerst von Kapitän Whalley in dem Schiff „KONDOR“ im Jahre 1850 entdeckt wurde...“ und endet mit einer warmen Empfehlung dieser Route für Segelschiffe, die aus chinesischen Häfen in den Monaten Dezember bis April nach Süden auslaufen.
Das war der ersichtliche