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Die Eissphinx. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

Die Eissphinx - Jules Verne


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      Mit den Blicken folgte ich dem Boote, das an dem vom Wasser angenagten Rande der Scholle anlegte.

      Hurliguerly betrat sie an einer Stelle, die noch mehr Zusammenhang und Festigkeit zu bieten schien. Gratian stieg mit ihm aus, während Francis das Boot mittelst der Kette eines kleinen Dreggankers festhielt.

      Beide krochen dann mehr nach dem Cadaver hin, zogen ihn, der eine an den Armen, der andre an den Beinen, vollends herab und brachten ihn ins Boot.

      Mit einigen Ruderschlägen gelangten die Leute wieder nach der Goëlette. Der vom Kopf bis zu den Füßen steinhart gefrorene Leichnam wurde nahe dem Fockmast niedergelegt.

      Sofort ging der Kapitän Len Guy auf ihn zu und betrachtete ihn aufmerksam, als ob er den Mann zu erkennen suchte.

      Es war ein mit groben Stoffen bekleideter Seemann mit wollenen Beinkleidern, einer Jacke aus dickem Gewebe, einem Hemd aus dichtem Molton und mit einem Gürtel, der seine Taille zweimal umschlang. Offenbar war er schon seit mehreren Monaten todt... vielleicht schon bald nachher gestorben, als der Unglückliche auf der Scholle fortgetrieben worden war. Der Mann, den wir an Bord genommen hatten, konnte nicht älter als vierzig Jahre sein, trotz seines schon grau gesprenkelten Haars. Seine Magerkeit war erschreckend – ein Skelett, an dem die Knochen fast durch die Haut drangen.

      Gewiß hatte er auf der unfreiwilligen Fahrt, über fast zwanzig Breitengrade vom Polarkreise aus, alle Qualen des Hungers gekostet.

      Der Kapitän hob die vom Froste unversehrt erhaltenen Haare des Leichnams in die Höhe. Er richtete dessen Kopf auf und suchte das Auge zwischen den zusammengefrorenen Lidrändern zu sehen. Plötzlich rief er mit einem herzzerreißenden Seufzer:

      »Patterson!... Patterson!

      – Patterson?« entfuhr es auch mir.

      Ich glaubte, daß dieser Name, trotz seines häufigen Vorkommens, sich meinem Gedächtnis besonders eingeprägt habe... Wo hatte ich ihn doch nennen hören oder hatte ich ihn nicht irgendwo gelesen?...

      Still stehen bleibend, ließ der Kapitän die Blicke über den Horizont schweifen, als wolle er Befehl geben, das Schiff nach Süden umzulegen.

      Da griff der Hochbootsmann auf einen Wink Jem West's in die Taschen des Todten, worauf er ein Messer, ein Stück Kabelgarn, einen leeren Tabaksbeutel und schließlich ein ledernes Notizbuch mit metallenem Schreibstifte hervorzog.

      Der Kapitän Len Guy drehte sich um und sagte, als Hurliguerly das Notizbuch eben Jem West aushändigen wollte:

      »Gieb es mir!«

      Einige Seiten darin waren mit Schriftzügen bedeckt, die von der Feuchtigkeit fast ganz verwischt waren. Auf der letzten Seite aber befanden sich noch einige lesbare Worte, und der Leser wird sich meine tiefe Erregung vorstellen können, als ich diese vom Kapitän mit zitternder Stimme vorlesen hörte.

      »Die »Jane« – lauteten sie – unter drei und achtzig... da... seit elf Jahren... Kapitän... fünf Matrosen noch am Leben... Eilt, ihnen Hilfe zu bringen!...«

      Und unter diesen Zeilen ein Name... eine Unterschrift... Der Name Patterson....

      Patterson!... jetzt entsann ich mich.... Das war der zweite Officier der »Jane«, der Obersteuermann jener Goëlette, die Arthur Pym und Dirk Peters vom Wrack des »Grampus« aufgenommen hatte... der »Jane«, die bis zur Höhe der Insel Tsalal gekommen war, der »Jane«, die von den Insulanern überfallen und deren Trümmer durch die Explosion weithin verstreut wurden....

      Das war also doch alles wahr?... Edgar Poe hatte als Geschichtsschreiber, nicht als Romandichter gearbeitet? Hatte das Tagebuch Arthur Gordon Pym's als Unterlage besessen... war zu diesem in unmittelbare Beziehung getreten?... Arthur Pym lebte also oder hatte vielmehr gelebt... er... ein wirkliches greifbares Wesen?... Und er war todt... einem plötzlichen beklagenswerthen Tode unter Umständen verfallen, die niemand kannte, da es ihm versagt blieb, den Bericht über seine außergewöhnliche Fahrt zu vollenden!... Wie weit hinauf mochte er nach der Flucht von der Insel Tsalal mit seinem Genossen gekommen... wie mochten beide nach ihrer amerikanischen Heimat zurückgelangt sein?...

      Ich glaubte, der Kopf wollte mir zerspringen, ich müßte toll werden, ich der den Kapitän Len Guy dessen beschuldigte!... Nein, ich hatte mich verhört, hatte falsch verstanden! Das war alles nur ein Hirngespinnst von mir!

      Und doch, wie hätte ich dieses Beweisstück, das eben am Körper des zweiten Officiers der »Jane« gefunden wurde, ableugnen können, die Angaben dieses Patterson, die sich auf so bestimmte Vorkommnisse und Zeiten stützten? Doch auch der letzte Zweifel mußte schwinden, als es Jem West, der jetzt ruhiger, erschien, gelang, noch einzelne weitere Bruchstücke der Sätze zu enträthseln.

      »Seit dem 3. Juni nach Norden von der Insel Tsalal abgetrieben!... Da... noch immer... Kapitän William Guy und fünf Leute von der »Jane«... Meine Scholle treibt durch das Packeis... bald wird es mir an Nahrung fehlen... Seit dem 13. Juni... meine letzten Hilfsmittel erschöpft... Heute... 16. Juni... werd' ich wohl sterben...«

      Schon drei Monate lang lag der Leichnam Patterson's also auf der Eisscholle, der wir auf der Fahrt von den Kerguelen nach Tristan d'Acunha begegneten. Ach, warum hatten wir den Obersteuermann von der »Jane« nicht lebend retten können! Er hätte uns aufgeklärt über das, was wir nicht wußten, was vielleicht nie jemand erfahren wird... aufgeklärt über das Geheimniß jenes entsetzlichen Abenteuers!

      Jetzt mußt' ich mich wohl den Thatsachen fügen. Der Kapitän Len Guy, der Patterson kannte, hatte ihn in diesem gefrorenen Leichnam wiedergefunden.

      Er war es, der den Kapitän der »Jane« damals begleitete, als dieser auf den Kerguelen eine Flasche niederlegte, und darin befand sich der Brief mit den authentischen Angaben, an den zu glauben ich mich weigerte. Ja! Seit elf Jahren befanden sich die Ueberlebenden von der englischen Goëlette da unten... ohne Hoffnung, jemals erlöst zu werden!

      Da trat mir in der Erregung des Augenblicks wieder die Uebereinstimmung der beiden Namen vor Augen, die mir mehr und mehr das Interesse erklärte, das unser Kapitän für alles, was die Angelegenheit Arthur Pym's betraf, an den Tag legte.

      Len Guy wandte sich endlich nach mir um und fragte, mich scharf ansehend:

      »Glauben Sie denn nun daran?...

      – Ja... freilich... stammelte ich. Doch der Kapitän William Guy von der »Jane«?

      – Und der Kapitän Len Guy von der »Halbrane« sind Brüder!« antwortete er mit überlauter Stimme, so daß ihn die ganze Mannschaft hörte.

      Als wir dann wieder nach der Stelle, wo die Eischolle trieb, hinausblickten, hatte der doppelte Einfluß der Sonnenstrahlen und des ziemlich warmen Wassers seine Wirkung gethan – keine Spur davon war auf der Oberfläche des Meeres mehr übrig.

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